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  08.04.2010, 11:35    

Solvency II: Stoppt die Brüsseler Regentänze!

Kommentar Die Europäische Union will den deutschen Versicherern ein neues Regelwerk zum Eigenkapital aufzwingen, dessen Nutzen äußerst fragwürdig ist. von Ulrich Jansen
Ulrich Jansen ist Vorstandsvorsitzender der Provinzial Rheinland Versicherungen
Schon vor 2400 Jahren hat Sokrates erkannt: Scio nescio, "ich weiß, dass ich nichts weiß". Diese intellektuelle Demut hat seitdem viele Menschen veranlasst, vor Scheinwissen zu warnen. Einer davon war Karl Popper (1902-1994). Für ihn gibt es nur vorläufiges Wissen. Jede Erkenntnis ist nur so lange wahr, bis das Gegenteil bewiesen ist. Er warnte daher vor jeder Form von Ideologie und Modellgläubigkeit.
Wie wichtig eine solche skeptische Haltung ist, hat uns die Finanzkrise gezeigt. Denn sie hat unser vermeintliches Wissen über den Markt und seine Gesetze komplett infrage gestellt. Trotzdem gibt es weiterhin Institutionen, die an sicheres Wissen glauben. Lediglich ihre Methoden haben sich geändert. Früher gab es rituelle Regentänze, um die Götter um Regen zu bitten. War das erfolglos, wurden die Tänze verfeinert, und die Betroffenen konnten weiter hoffen. Heute gibt es Modelle und Richtlinien - besonders aus den Reihen der Europäischen Union.
Wovon rede ich? Was den Banken ihr Basel II war, ist seit zehn Jahren Solvency II für die Versicherer. Ausreichend Eigenmittel für Unternehmen, ein auf vielen Zahlen basierendes Risikomanagement und zusätzliche Berichtspflichten an die Aufsicht - das ist der Kern des Regelwerks.
Die EU-Kommission hat mit Solvency II ein umstrittenes Regelwerk ...   Die EU-Kommission hat mit Solvency II ein umstrittenes Regelwerk geschaffen
Damit wir uns recht verstehen: Ich bin weder gegen Regulierung noch gegen ausreichendes Eigenkapital. Zunächst muss man sich allerdings fragen, welches Problem Solvency II eigentlich lösen soll. Die überwältigende Mehrheit der deutschen Versicherer ist fast ausschließlich auf dem heimischen Markt engagiert, ausreichend kapitalisiert und bisher mit ihrer Bilanzierung nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) gut gefahren. Die europäische Initiative zu Solvency II will dagegen die Eigenkapitalregeln der dramatisch unterschiedlichen nationalen Versicherungsmärkte in der EU "harmonisieren".
Das dazugehörende Regelwerk wird seit zehn Jahren entwickelt. 2010 wird europaweit die fünfte quantitative Auswirkungsstudie (QIS 5) durchgeführt, um anhand der Ergebnisse die Regeln erneut zu verfeinern, damit 2012 Solvency II endlich eingeführt werden kann. So der Plan.
Der Umfang aller Ausführungsvorschriften und Kommentierungen beträgt mittlerweile rund 20.000 Seiten, zumeist in englischer Sprache. Das allein ist schon eine disqualifizierende Schwäche. Das dürfte unsere deutsche Finanzaufsicht BaFin ähnlich sehen, denn sie hat sich immer wieder für praxisnahe Lösungen eingesetzt. Man muss nicht nur an Griechenland denken, um eine europaweit korrekte Anwendung von Solvency II für illusorisch zu halten. Hinzu kommt: Wer soll das alles verstehen, geschweige denn die daraus entstehenden Kennziffern angemessen beurteilen? Hier wird nach meiner Überzeugung lediglich eine erneute Kontrollillusion erzeugt.
Solvency II ist sperrige Kost. An inhaltlicher Kritik will ich nur ein paar Punkte hervorheben. Als hätte es die krisenverstärkende Wirkung der angelsächsisch geprägten Marktwertbetrachtung nicht gegeben, soll sie trotzdem unter Solvency II eingeführt werden. Dies gilt dann insbesondere auch für die Schadenrückstellungen der Versicherer. Sie haben vor allem in den Haftpflichtsparten einen erheblichen Umfang und werden teilweise über Jahrzehnte abgewickelt. Mit Solvency II sollen sie künftig diskontiert (abgezinst) werden, wobei der alles entscheidende Zinssatz in Wahrheit aus der Luft gegriffen ist. Ebenso übrigens die anzunehmende Verteuerung. Wer die Effekte unterschiedlicher Zinseszins-Entwicklungen kennt, ahnt, welche Scheinwelten hier aufgebaut werden.
Außerdem: Die deutschen Schadenversicherer sind offenbar gut mit Eigenkapital ausgestattet - wenn man sich mit der von Solvency II geforderten maximalen Ausfallwahrscheinlichkeit von einem halben Prozent zufriedengibt. Statistisch gesehen dürfte demnach ein Versicherungsunternehmen alle 200 Jahre pleitegehen. Bei rund 5000 Versicherern in Europa wären 25 Pleiten im Jahr zu erwarten. In Deutschland hat es seit Kriegsende gerade einmal ein Unternehmen getroffen.
Ein anderes Risiko ist aus meiner Sicht von wesentlich größerer Bedeutung: Die "überflüssigen" Eigenmittel der Unternehmen werden das Begehren vor allem der sogenannten Analysten wecken. Sie werden entweder mehr Ausschüttung oder mehr Risiko fordern. Das Ergebnis ist dann in jedem Fall nicht mehr, sondern weniger Sicherheit.
Da hilft dann auch kein Regentanz der Europäischen Union weiter. Es wird Zeit, die Bürokraten der EU zu stoppen.
  • 08.04.2010
    © 2010 Financial Times Deutschland
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