Der Pfarrer, der heiliges Feuer fing

Die «Nothilfe ist der stille Skandal des 21. Jahrhunderts», sagt Andreas Nufer. Seit fünf Jahren bekommen Personen mit einem Nichteintretensentscheid (NEE) und seit zwei Jahren abgewiesene Asylsuchende nur noch acht Franken pro Tag.

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Andreas Nufer, Initiant der Nothilfe-Landsgemeinde. Sie findet morgen in St. Gallen statt. (Bild: Ralph Ribi)

Andreas Nufer, Initiant der Nothilfe-Landsgemeinde. Sie findet morgen in St. Gallen statt. (Bild: Ralph Ribi)

Der Pfarrer, der heiliges Feuer fing

Die «Nothilfe ist der stille Skandal des 21. Jahrhunderts», sagt Andreas Nufer. Seit fünf Jahren bekommen Personen mit einem Nichteintretensentscheid (NEE) und seit zwei Jahren abgewiesene Asylsuchende nur noch acht Franken pro Tag. Nufer kennt in St. Gallen Familien, die seit zwei Jahren mit täglich 21 Franken leben. «Eine Schande für die reiche Schweiz.» Die Vorreiterin der sozialen Wohlfahrt werde sich selber untreu und schaffe «staatlich verordnete Bettelexistenzen». Komme hinzu, dass die Zahl der Nothilfebezüger laufend steige.

«Fromm, nicht links»

Solche Aussagen zur Asylpolitik sind in der Pfarrerschaft selten. Politisch hält man sich zurück. Für Nufer der falsche Weg: «Wenn sich die Kirche gesellschaftlich nicht einmischt, ist sie keine Kirche mehr.» Der 46-Jährige, seit zehn Jahren in der Ökumenischen Gemeinde Halden in St.Gallen tätig, will sich aber nicht als linker Ideologe verstanden wissen. Er sei in keiner Partei, hingegen «sehr fromm» und verstehe die Bibel in einer einfachen Art. Wenn sich Jesus den Armen zuwende, müsse er dies als Pfarrer auch tun.

Ist das Motivation genug, um sich mit dem Ausländeramt anzulegen und von kirchlich Konservativen in die linke Ecke gestellt zu werden? «Mag sein, dass mich ein Feu sacré gepackt hat.»

70 000 Franken Spenden

Als Flüchtlinge, die am Bahnhof St. Fiden übernachten, an seine Tür klopfen, gilt es ernst. Noch in der Rückschau nach fünf Jahren wird Nufers Stimme energisch. «Ich wusste: So geht es nicht.» Das Solidaritätsnetz Ostschweiz wird gegründet, Nufer ist sein Kopf.

Heute hat das Solinetz – «eine soziale Bewegung» – 1200 Mitglieder aus der ganzen Ostschweiz und ist schweizweit das einflussreichste seiner Art. Jedes Jahr fliessen gegen 70 000 Franken an Spenden.

Mit 200 Freiwilligen betreibt man Mittagstische an mehreren Orten, berät NEE-Betroffene, baut eine Schule für Asylsuchende auf und plant ein «Solidaritäts-Haus». «Das ist keine Sozialromantik, sondern knallharte Arbeit.» Es gehe oft darum, unmissverständlich klarzumachen, warum Deutschlernen ein Muss sei. Oder wann eben rechtlich Ende der Fahnenstange sei.

Asylpolitik als Nagelprobe

Auf diesem Feld kann der Halden-Pfarrer streitbar werden. Natürlich weiss er, dass die Nothilfebezüger illegal in der Schweiz sind. Darum achtet man in der Solinetz-Arbeit genaustens darauf, nicht in eine rechtliche Grauzone zu geraten. Damit ist das Thema für Andreas Nufer aber nicht erledigt. Flüchtlingspolitik ist für ihn ein Schlüsselthema: «Sie ist die Nagelprobe für den humanitären Staat.» An ihr zeige sich, welches Gewicht der Staat der Menschenwürde gebe – was eine religiöse Dimension habe.

Das Solinetz habe zum Ziel, diese Leute als Menschen zu behandeln und sich für eine menschliche Behandlung für sie einzusetzen. Morgen zieht im St. Galler Waaghaus eine Tagung Bilanz nach fünf Jahren Nothilfe. Sie fällt für Nufer, Sohn eines Klotener Stadtrates, der in den 1970er-Jahren für Waldlehrpfade eintrat, deprimierend aus: «Ich habe die Schweiz humanitärer eingeschätzt.» (kl)