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WM-Schiedsrichter: Wenn Tröten pfeifen
Millionen Menschen sind Tag für Tag Zeuge haarsträubender Fehlentscheidungen der WM-Schiedsrichter. Nur die Fifa sieht das anders und lobt die Leistungen der Referees.Bilden Sie sich ihr eigenes Urteil", sagt José María García-Aranda und lacht. Der Spanier ist Schiedsrichterobmann des Weltverbands Fifa. Anders als Millionen Menschen weltweit, die täglich in Superzeitlupe und aus vielerlei Kameraeinstellungen die haarsträubenden Schiedsrichterfehler dieser WM vorgeführt bekommen, hat García-Aranda einen ganz anderen Eindruck gewonnen. Er ist nicht nur zufrieden, sondern sogar: "Sehr, sehr zufrieden! Wir haben bisher exzellente Schiedsrichterleistungen gesehen."
Die Einschätzung verblüfft. Der Spanier wird auf dem Trainingsgelände der WM-Schiedsrichter in Pretoria von einer Horde ungläubig staunender Journalisten belagert. Gebetsmühlenartig wiederholt er seine Thesen. Eine Reporterin der "Washington Post" will schließlich wissen, ob nicht die Glaubwürdigkeit der ganzen Sportart auf dem Spiel stehe, nach allem, was man täglich so an Fehlern sehe, ob diese WM deshalb zur Farce verkomme? García-Aranda sieht das anders. Er referiert routiniert über den "menschlichen Faktor" und Fehler, die zum Spiel gehören. Wenn ein Superstar den Ball weit über das Tor oder in Richtung Eckfahne schieße, stelle auch niemand gleich die Glaubwürdigkeit des ganzen Spiels infrage. Außer García-Aranda und einigen seiner Mitarbeiter aus dem Schiedsrichterstab der Fifa, die auf der Tribüne über ihm sitzen, lacht niemand über diesen Witz.
Franz Beckenbauer, Mitglied im Fifa-Exekutivkomitee, äußerte sich am Montag fassungslos über die Arbeit der Unparteiischen: "Warum kriegt man das nicht hin? Früher hat man das Schiedsrichtergespann von allen Erdteilen zusammengestellt. Jetzt hat man Teams aus einem Land, und trotzdem funktioniert's nicht." Deutschlands ehemaliger WM-Schiedsrichter Markus Merk sprach am Sonntag von "Wettbewerbsverzerrung" und kritisierte besonders Schiedsrichterchef García-Aranda. "Die Diskrepanz in der Regelauslegung bei der WM ist gravierend", sagte Merk. "Und es sind ja keine Einzelfälle."
García-Aranda, bei der WM 1998 und der EM 2000 selbst als Referee aktiv, widerspricht: Die 29 Schiedsrichtertrios, die über einen langen Zeitraum ausgewählt und ausgebildet wurden, würden sich allesamt an die Vorgaben der Fifa halten. "Alle halten sich an die Regeln, einheitlich und konstant!"
Gestern durften die Journalisten ein Training der Schiedsrichter beobachten und mit allen Referees sprechen. In den Stadien selbst sind den Unparteiischen Interviews verboten. An alles ist gedacht bei diesem Training, auch an den Lärm der Vuvuzelas, eingespielt über Lautsprecher, um den Ernstfall zu simulieren. Einer aus dem Stab der Fifa führt stolz die Videotechnik vor. "Wir spielen Referee gegen Spieler", sagt er. Immer wieder werden Abseitsszenen simuliert. Die Entscheidungen werden sofort ausgewertet. "Ja, richtig", schreit der Mann von der Fifa. "1:0 für die Schiedsrichter!" Er fordert die Journalisten zum Beifall auf. Diese Szenen erklären das Dilemma der Branche: Hier beim Training ist der Videobeweis hilfreich und erwünscht, im Ernstfall aber verweigert die Fifa technische Hilfsmittel. Etliche Fehlentscheidungen in diesem Turnier hätten sich leicht korrigieren lassen.
Mit wem man auch spricht, ob mit Wolfgang Stark (Deutschland), Massimo Busacca (Schweiz) oder Howard Webb (England): Sie sind kollektiv gegen den Videobeweis. Sie sehen sich als Teil einer großen Schiedsrichterfamilie. Sie müssen und wollen mit Fehlern leben und nehmen in Kauf, dass sie als Buhmann dastehen, wenn sie falsch entscheiden. Kommentare zu Spielszenen oder zur Leistung der Unparteiischen sind ihnen auch am Montag strikt untersagt. Nicht einmal zu eigenen Spielen dürfen sie sich äußern. Stark etwa, der die Partie zwischen Argentinien und Nigeria gepfiffen hat und vor dem Siegtreffer der Argentinier vielleicht ein Foulspiel übersah, erklärt nur: "Dazu gibt es von mir keine Auskunft."
Alle zwei bis drei Tage gibt es im gesamten Team ein Briefing, bei dem die strittigen Szenen per Video diskutiert werden. "Was nicht lief, wird uns aufgezeigt", sagt Jan-Hendrik Salver, einer der Assistenten von Wolfgang Stark. Das ist manchmal bitter für die Betroffenen. Doch es hat für das Turnier keine positiven Folgen.
Bei einem dieser kollektiven Auswertungen hat der spanische Schiedsrichter Alberto Undiano, der im Spiel zwischen Deutschland und Serbien zwölf Gelbe Karten verteilte, seine Leistung als gut befunden. "Ich muss mich nicht entschuldigen", sagte Undiano am Montag. "Es gab nichts, was ich mir vorwerfen muss." Streng genommen hat Alberto Undiano damit gegen die Fifa-Regeln verstoßen. Denn eigentlich dürfen sich Schiedsrichter ja nicht äußern - sie dürfen sich nicht einmal loben.
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21.06.2010
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