FTD-Serie: Horst von Buttlar - Die Kolumne
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Kolumne: Horst von Buttlar - Deutsche Bahn und deutscher Wahn
Die Bahn macht Fehler. Die Aufregung über ihre Probleme ist aber übertrieben und hysterisch.In meiner Jugend fuhren wir oft über Nacht im Autoreisezug nach München und dann weiter zum Skilaufen oder nach Narbonne in Südfrankreich und weiter an die Costa Brava.
Die Nächte im Liegewagen waren schön und schrecklich zugleich, so richtig schlafen konnte man nie. Ich erinnere die braunen Sitze, die immer etwas widerlich waren, die braunen Decken und brummelnden Schaffner. Am nächsten Morgen war das Abteil heiß und stickig, und der brummelnde Schaffner brachte Tabletts mit Frühstück, zwei trockene Scheiben Schwarzbrot, Marmelade, schlechter Kaffee.
Es war die Zeit, in der man die Fahrkarten am Schalter kaufte und dicke Fahrpläne wälzte, in der man auf der Toilette beim Spülen die Schienen unter sich sehen konnte und die Seife als Pulver aus einem schwarzen Drehkreuz kam.
Verhöhnte alte Schaffner
Wenn man damals Bahn fuhr, ertrug man sie oder nahm sie hin, so wie man den Gang zur Behörde hinnahm, das Gute wie das Schlechte, es gab keine Hotlines, keine Service Points und kein "Thank you for travelling". Wenn wir zu spät kamen, kamen wir zu spät, das interessierte weder die Bahn noch die "Bild"-Zeitung. Und wenn es heiß war, streckten wir den Kopf aus dem Fenster, das man kaum öffnen konnte, ohne sich beim - Ruck! - irgendwo wehzutun.
Als vergangene Woche die Bahn in der Hitze dieses Sommers kollabierte, saß ich fast jeden Tag in irgendwelchen Zügen. Einige wurden nun von emsigen kleinen Privatbahnen betrieben, andere von der Deutschen Bahn. Ich hatte wohl Glück, denn alle Züge waren pünktlich und klimatisiert. Erstmals buchte ich die Tickets über das iPhone, dort sah ich Verbindungen und Verspätungen, das Ticket kam per MMS und wurde vom Schaffner gescannt.
Irgendwo zwischen den Schienen unter dem Klo und der Bahn-App, dachte ich immer, ist doch ganz schön viel passiert. Mit der Bahn, aber auch mit uns.
Seit einigen Dekaden versuchen wir nun, eine "Dienstleistungsgesellschaft" zu werden, und vielleicht ist die Bahn so etwas wie Deutschland in Klein, denn ob nun Einwohnermeldeamt, Post, Arbeitsamt oder Telekom, überall gab es plötzlich nur noch "Kunden" und "Service". Die Bahn vollzog ihren Wandel so wie der Rest des Landes, mit all den Erfolgen und Schlappen, den neuen Fähigkeiten und Unzulänglichkeiten.
Mir taten die Schaffner, die nun englische Durchsagen machen mussten und dafür verhöhnt wurden, leid, genauso wie mir alte Postbeamte leidtaten, die genötigt wurden, mir neben Briefmarken noch eine Riester-Rente zu verkaufen. ("Dies ist flexibel", sagte mir mal einer und zeigte auf das Wort "flexibel" auf dem Flyer. )
Und trotzdem sind es nicht mehr die Schaffner meiner Jugend. Sobald der Zug hält, meldet sich eine Stimme und erklärt die Gründe für den Halt, so wie ein Pilot die Fluggäste beruhigt, weil es Turbulenzen gibt. Schaffner gehen mit Reisenden die Anschlüsse und Verbindungen durch, viele kümmern sich um jeden einzeln. Und: Von Hamburg nach Berlin brauche ich nur anderthalb statt zweieinhalb Stunden.
Teil 2: Der Druck war im System
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20.07.2010
© 2010 Financial Times Deutschland
Kommentare
- 22.07.2010 19:40:00 Uhr A.Mädorf: "übertriebene Hysterie" um Deutsch...
- 22.07.2010 18:04:06 Uhr dlogic: @focus
- 22.07.2010 10:35:41 Uhr Michael Stelter Freiburg: Deutsche Bahn
- 22.07.2010 09:09:03 Uhr focus: @dlogic
- 21.07.2010 12:54:15 Uhr ProRheintal: Bahn-Wahn im Ghetto-Express
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Noch vor kurzem wollte Gevatter Mehdorn das halbe Bahn-Volksvermögen des Steuerzahlers für gerade ca. 3.Mrd. über die Börse verscherbeln, die Bahn brauche sofort "Barmittel für Weltexpansion".
Man vergießt, dass die Bahn größter Immoblienbesitzer der Republik mit ca. 150-200 Mrd. Immobilienvermögen ist, jeder Cent mit Steuern gegründet.
Bei der geplanten Privatisierung sollten noch 75 Mrd. Instandhaltungskosten dem Steuerzahler für nächste 15. Jahre aufgehalst werden.
Dabei verpulvert die Bahn für zweckfremden Wahnsinn seit Jahren zig-Milliarden z.B. irgendwelche Verladehäfen in Wladiwostok (ähnlich Daimler: 30 Mrd für Chrysler).
Oder mal eben 4-8.Mrd in Stuttgart fürs Bahnhofverbuddeln, einfach weil’s ultimativ ist und der Kickback der lokalen Baufirmen so besser flutscht.
Und in Deutschland fahren die ICEs seit Enschede wissentlich weiter mit zerbröselnden Achsen, Türen fliegen raus, die Bahndämme zerfallen und die Züge schleichen nur noch überfüllt rum.
Die Wartungsintervalle der Züge werden nach wirtschaftlichen Vorgaben von fachfremden Beamtenhengsten bestimmt und in der Hauptstadt der drittgrößten Handelsnation laufen Besucher monatelang zu Fuß, weil die Bahn jahrelang die S-Bahn mutwillig ausbeutet und mangelnd Instand hält.
Und wenn wieder mal ne Ortschaft wegen Radbruch abfackelt, dann können sich die Angehörigen durch drei Instanzen 10 Jahre klagen, weil alles ja unvorhersehbar war.
Genauso die Situation bei Autobahnen - vom Steuerzahler zehnmal bezahlt. Jährlich werden 65 Mrd. an verkehrzugehörigen Steuern und Abgaben vom Staat kassiert, in Instandhaltung der Straßen fließen aber gerade 4.Mrd p.a. zurück (mal eben unauffällige Aufhebung der "Zweckbindung der Steuerabgaben" bereits unter Kohl!).
Nun muss die Hälfte der Autobahnen nicht mehr preiswert saniert sondern komplett ersetzt werden.
Und dank PPP wird der Steuermichel ungefragt noch doppelt geschröpft, genauso wie bei Wasserversorgung, Kläranlagen, Gebäudeleasing quer in der Republik.
Nun also wieder mit großem Pathos und "fürs Vaterland" die PKW-Maut, Pickerl an Privatautobahnen und Benzinverteuerung fürs Klima.
Auch die neue Nationalaufgabe "Schlaglöcher" - früher hat keiner darüber geredet, es wurde als Kernpflicht der staatlichen Infrastrukturfürsorge einfach getan, nun produziert sich Ramsauer täglich halbes Jahr darüber - und trotzdem brechen wie früher in der DDR überall die Achsen.
Ähnlich glorreich die "Privatisierung" der Post.
Mittlerweile besitzt sie die Post in halb Lateinamerika und alle Luftdrehkreuze in USA, hier aber kann der Steuerzahler Pakete bei Tante Emma an der Wursttheke aufgeben.
.. und die Rente war ja bekanntlich "sicher", weil wir mit Ökosteuer seit 15 Jahren "für die Rente tanken"!