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Tarifkonflikt: Bahn-Gewerkschaft will branchenweiten Mindestlohn
Exklusiv Transnet fürchtet einen Wettlauf hin zum Lohndumping im Nahverkehr - und hofft auf Unterstützung von den Betreibern: Sie sollen den Antrag, die Tarifverträge allgemein verbindlich zu erklären, mittragen.Im Konflikt um Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Bahn (DB) und deren Konkurrenten schraubt die Gewerkschaft Transnet ihre Forderungen hoch. "Die Verhandlungen müssen zu einem verbindlichen Mindestlohn führen", sagte Transnet-Chef Alexander Kirchner der FTD. "Wir wollen, dass die Bahnunternehmen mit uns einen Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit stellen."
Ziel sei, den Antrag gemeinsam beim Tarifausschuss des Bundesarbeitsministeriums zu stellen. Der Ausschuss wird von den Spitzenverbänden der Arbeitgeber und Gewerkschaften besetzt. Anschließend soll Kirchner zufolge Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Branchentarif für alle Bahnen als verbindlich verordnen. Die Verhandlungen zwischen Transnet, ihrer Schwestergewerkschaft GDBA und den Bahnbetreibern treten am Mittwoch in die entscheidende Phase.
Bisher hatten sich Transnet und GDBA darauf beschränkt, einen Branchentarif zu verlangen. Nun wollen sie, dass dieser Vertrag mittels Regierungsverordnung auch gesetzesähnlichen Charakter erhält. So soll verhindert werden, dass sich Firmen wie Veolia oder Keolis mit der Bahn im Regionalverkehr einen Lohnwettbewerb nach unten liefern. Hintergrund ist, dass die Bundesländer ihre Regionalstrecken oft ausschreiben, ohne Tariftreue zu verlangen.
Durch Kirchners verschärfte Forderungen wird der Konflikt in der Bahnbranche noch komplexer. "Am Mittwoch muss der Einstieg in die konkreten Verhandlungen gelingen", sagte der Transnet-Chef. Er erwarte eine klare Selbstverpflichtung zu einem Branchentarif und die Zusage, dass dieser sich stufenweise DB-Niveau annähern werde. Am Donnerstag soll dann auch die Bahn selbst die verlangte Allgemeinverbindlichkeit akzeptieren. Die Gespräche in dieser Woche gelten als entscheidend dafür, ob die Branche auf einen langen Tarifkonflikt samt Streiks zusteuert.
Über die Allgemeinverbindlichkeit wurden schon etliche Branchenmindestlöhne eingeführt. Die Lage im Bahnsektor erinnert an den Post-Mindestlohn: Wie die Bahn war auch der Ex-Monopolist Deutsche Post durch kleinere Wettbewerber unter Druck geraten. Darauf setzten der Konzern und die Gewerkschaft Verdi politisch einen Mindestlohn durch - der aber von den Post-Rivalen nicht mitgetragen wurde und später wegen Formfehlern annulliert wurde.
Anders als bei der Post richtet sich der neue Vorstoß der Gewerkschaften nicht nur gegen die Wettbewerber, sondern auch gegen den Staatskonzern Bahn selbst: Das Unternehmen gründet seit Jahren nicht tarifgebundene Tochterfirmen für den Regionalverkehr aus und bezeichnet das als "Notwehr", um bei Streckenausschreibungen zu bestehen.
Offiziell unterstützt die Bahn einen Branchentarif. Zugleich will sie sich nicht festlegen, ihre Billigtöchter aufzugeben, sollte es tatsächlich zu einer Einigung kommen. "Die Bekenntnisse der DB zum Branchentarif bleiben scheinheilig, wenn sie keine Allgemeinverbindlichkeit anstrebt", so Kirchner. "Die Bahnen müssen Verpflichtungen eingehen, die ihnen neue Schlupflöcher wie die spätere Ausgründung von nicht tarifgebundenen Tochterfirmen versperren."
Transnet, GDBA und auch die konkurrierende Lokführergewerkschaft GDL nutzen turnusgemäße Tarifverhandlungen bei der Bahn, um ein Ende der Billiglohnpraxis in der Branche zu erzwingen. Kirchner bekräftigte, er werde die DB-Entgeltverhandlungen nicht abschließen, solange nicht die Eckpunkte eines allgemeinen Branchentarifs fest vereinbart seien. Die Bahn wiederum macht ihr für Donnerstag geplantes Lohnangebot von den Gesprächen am Mittwoch der Gewerkschaften mit den Konkurrenten abhängig.
Kirchner erwartet von der Bahn ein klares Bekenntnis zum Mindestlohn: "Erklärt sich der Konzern dazu am Donnerstag nicht bereit, kann es ab 1. August zu Streiks kommen." Dann läuft die Friedenspflicht aus. Transnet bereite Streiks bei mehreren Betreibern vor, drohte Kirchner.
Bei den Bahn-Rivalen bröckelt unterdessen die bisher fundamentale Ablehnung gegen einen Branchentarif. Aus Protest gegen die Verweigerungshaltung ist Keolis sogar aus seinem Arbeitgeberverband ausgetreten. Auch andere DB-Wettbewerber wie Veolia und Benex zogen es vor, bei ersten Sondierungsgesprächen selbst vertreten zu sein. "Wenn wir weiter Ausschreibungen gewinnen wollen, müssen die Billigtöchter der Bahn verschwinden", sagte Keolis-Chef Hans Leister die neue Gesprächsbereitschaft. Es ist dennoch unsicher, ob alle wichtigen Bahn-Rivalen einen Branchentarif akzeptieren - und erst recht, ob sie sich auf die Allgemeinverbindlichkeit einlassen.
Falls nicht, wollen die Gewerkschaften den Antrag beim Arbeitsministerium allein stellen - auf einer anderen gesetzlichen Grundlage. Kirchner zufolge soll der Branchenvertrag die relevanten Parameter der Personalkosten regeln. Durch Öffnungsklauseln seien aber leichte Abweichungen bei der Arbeitszeit oder leistungsabhängige Lohnbestandteile möglich. Die Arbeitgeber dringen darüber hinaus auf Lohnunterschiede zwischen den Regionen.
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26.07.2010
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