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Städtereise: Berlin-Mitte
Charlottenburg brachten sie mit einem Pudel auf den Punkt – und auf den Titel ihres bejubelten, als Kunstbuch gefeierten Magazins "Berlin haushoch": Drei Grafikerinnen ziehen jeweils für ein Jahr in ein Stadtviertel, um es zu porträtieren. Nun ist Mitte dran
Ausgerechnet Mitte. Was gibt es denn aus diesem Bezirk noch Neues zu berichten?
Wahrscheinlich wird kein anderer Bezirk so auf das Geringste
reduziert wie Mitte, nämlich auf Sehenswürdigkeiten und
Schickimicki.
Weil da ein trendy Mädel oder ein hipper Mitte-Boy langläuft, schaut man nicht auf die Omi, die ihren Trolli
hinter sich herzieht. Aber gerade die hat vielleicht eine interessante
Geschichte zu erzählen.
Ihr zeigt keine Sightseeing-Spots? Nichts Offensichtliches?
Sehenswürdigkeiten gehören ganz klar dazu. Aber wir suchen
das, was hinter dem touristischen Eindruck steckt. Wir wollen
die Sehenswürdigkeiten anhand von Geschichten darstellen,
die drumherum passieren, zum Beispiel durch die Leute, die am
Alex als Straßenkünstler auftreten oder Würstchen verkaufen.
Ein Foto sieht dann etwa so aus: im Vordergrund ein Porträtfoto,
im Hintergrund der Fernsehturm, aber nur ganz klein.
Und dazu müsst ihr wirklich dorthin ziehen?
Nicht, um dort zu wohnen, aber mit unserem Studio. Wir wollen
ja die Atmosphäre einfangen, und das geht eben nur, wenn
wir auch Teil des Alltags sind. Wie sollten wir sonst die
Leute kennenlernen? Wir malen ja ein echtes Porträt des Stadtteils
aus Interviews, Geschichten und Wohnzimmerbesuchen.
In den Fotostrecken erhöhen wir alltägliche Orte zur perfekt gestalteten
Bühne, zur Theaterkulisse. Ein Jahr nehmen wir
uns dafür Zeit, auch, damit wir alle Jahreszeiten mitkriegen.
Und dann wird selbst ein Plattenbaukoloss wie Marzahn interessant?
Eigentlich haben wir da nur nach Ausstellungsflächen gesucht.
Als wir anfingen, mit den Leuten zu reden, merkten wir: Es
bringt gar nichts, unsere fertigen Sachen hierherzutragen, das
Viertel an sich ist viel spannender! Also ging unser erstes
Heft um Marzahn. Danach kam der Wedding dran, und
dann zogen wir in die Hundehochburg Charlottenburg. Deshalb
sitzt auf dem Cover auch ein weißer Königspudel mit matschigen
Pfoten kurz vor dem Friseurtermin. Das Titelblatt bringt das
Viertel nochmal auf den Punkt.
Kartenansicht wird
geladen ...
Was ist denn nun das Besondere an Mitte, das,
was man nicht so schnell mitbekommt?
Ganz viel Kommunikation zwischen dem Alten und dem
Neuen. Das sieht man an der Architektur, am Stadtbild, an den
Menschen. Geschichte ist total präsent, und ohne sie kann
man das Jetzt nicht erzählen. Der Bezirk ist vom Visuellen her
unheimlich vielfältig. Und wir wollen zeigen, dass Mitte
eben nicht nur aus den Hackeschen Höfen besteht: Da gibt es
die Puppenstube Nikolaiviertel, das Scheunenviertel, das
vom namengebenden Heulager bis hin zum jüdischen Stetl eine
Menge miterlebt hat. Hier, in den winkeligen Höfen, liegt
übrigens unser aktuelles Büro. Es gibt die riesige Karl-Marx-Allee, den Platz vor der Volksbühne mit echtem Ost-Feeling,
drumherum moderne Gebäude, dann wieder Plattenbauten
– und das alles in einem Bezirk!
Warum heißt Euer Magazin "haushoch"?
Manche Bezirke gewinnen eben immer haushoch, andere
verlieren. Wir wollen beide Seiten zeigen. Denn immer wohnen
da Menschen, und die sind es wert, gezeigt zu werden.
Fällt euch der Abschied jedes Mal schwer?
Es ist schon traurig, auf Wiedersehen zu sagen, weil eine
Bindung entsteht, wenn man so intensiv in einem Stadtteil arbeitet.
Aber wenn wir später in die Viertel zurückkommen,
staunen wir, dass es wieder ganz viel Neues zu erzählen gäbe.
Wenn wir die restlichen 19 ehemaligen Berliner Bezirke
auch noch porträtieren wollen, müssen wir nun mal immer
weiterziehen.
Mitte-Tipps von den "Haushoch"-Macherinnen
Ansehen:
Der Rosa-Luxemburg-
Platz zwischen
der Volksbühne und dem alten
Kino Babylon versetzt einen
in Ost-Zeiten. Wer mag, hört
dazu Musik: Sven, der den
kleinen Plattenladen "leilam."
betreibt, hat zwei Holzsitze
mit Kopfhörern auf den Platz
gestellt. Der kleine Volkspark
am Weinberg samt
Seerosenteich ist ein einziger
sanfter Hügel mit Hang zur
Sonne. Er ist nach Südwesten
ausgerichtet und deshalb
die perfekte Liegewiese.
Einkaufen:
Nach einer
durchzechten Rave-Nacht hat
sich der Neuseeländer Paul
Snowden Gedanken über die
deutsche Jugend gemacht.
Ergebnis dieser Reflexion ist
der Markenname: Die
T-Shirts von Wasted German
Youth gibt es nicht
mehr nur online,
sondern seit April auch
in dem winzigen Plattenbau-Laden zu kaufen. Wodka
der neuseeländischen Marke
42 below steht auf der Theke
(Memhard-Str. 1, Tel. 0177-
248 48 58, www.wasted-german-youth.com ; Shirts ab 39 Euro).
Pantoffelhelden: "Kaufen, reinschlüpfen, wohlfühlen" in Schreibschrift über der verwitterten Holztür. Bei Jünemann’s Pantoffeleck gibt es in vierter Generation und seit nunmehr 102 Jahren ein Sortiment klassischer Filzpuschen in museumsreifen Holzregalen (Torstr. 39; ab 10 Euro; samstags geschlossen).
Essen und Trinken:
Tea-Time auf Vietnamesisch: Im
Innenhof von Chén Chè
wachsen Moos-Inseln, Bambus
und Orchideen, und an der
Theke lauern exotische
Versuchungen
wie "Bánh ìt trân", kleine
Reiskuchen
mit Erdnuss,Sesam und warmer Kokoscreme.
Dazu sprudelt frischer
Bio-Tee aus gusseisernen
Kannen
(Rosenthaler Str. 13,
Tel. 030-28 88 42 82, www.chenche-berlin.de ).
Köstliche Streuselschnecken, Prasselkuchen, Bobbes, Pfannkuchen und handgemachte Brote gehen seit 1926 über die Glastheke der Bäckerei & Konditorei Waltraut Balzer. Einziges Problem: Die Stammkundschaft kommt früh und lässt nicht viel übrig! (Sophienstr. 30/31, Tel. 030-282 65 37).
Nachmittags sitzen die Gäste bei Kaffee und Kuchen auf Sammlerstücken aus Berliner Wohnzimmern, ab 20 Uhr wird das Café Forum dann zur "Weinerei" und öffnet das Buffet. Der Eintritt kostet zwei Euro, hinterher zahlt jeder Gast, was ihm der Wein und das Essen wert waren (Fehrbelliner Str. 57, Tel. 030-440 69 83, www.weinerei.com).
Die gemütliche alte Bar ist mit Skurrilitäten wie Campingklappstühlen eingerichtet. Der Name steht dem in nichts nach: Muschi Obermaier. (Torstr. 151, www.muschiobermaier.de ; montags geschlossen).
Übernachten:
Auch
wenn die "Haushoch"-Mädels
meinen, in Mitte wird
nicht geschlafen, da machen
alle durch, haben sie uns
doch Tipps verraten: Das
Amano ist neu und geradlinig
designt. Von der
Dachterrasse des Hotels fällt
der Blick auf Fernsehturm
und Rotes Rathaus (Auguststr.
43, Tel. 030-809 41 50, www.hotel-amano.com ; DZ ab 85 Euro).
Schlicht, hell und fast wie zu Hause schlafen Touristen im Weltempfänger. Morgens gibt es grandiosen italienischen Kaffee (Anklamer Str. 27, Tel. 030-44 35 69 81, www.weltempfaenger-berlin.de ; DZ/F ab 90 Euro).
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