Sonntag, 29. August 2010

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Opernserie (7): Stars, Triumphe, Skandale

"Herren am Ring": Egon Seefehlner holte Karajan zurück nach Wien, wurde von Lorin Maazel abgelöst und folgte diesem wieder nach. Von Clemens Hellsberg.

schlagzeile: Tenor schmiss karajan das schwert und die Rolle hin KURIER-Titelblatt 1978: Einer der größten Wiener Opernskandale. DruckenSendenLeserbrief
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Als Egon Seefehlner am 1. September 1976 sein Amt als Direktor der Wiener Staatsoper antrat, hatte er bereits den denkbar spektakulärsten Erfolg verzeichnet: Die Rückkehr Herbert von Karajans war fixiert - im Mai 1977 dirigierte der Maestro nach 13-jähriger Abwesenheit vom Haus am Ring je drei Aufführungen von "Il Trovatore", "Le nozze di Figaro" und "La Bohème".
Selbst nach 33 Jahren hat jene "Karajan-Stagione" nichts an Faszinationskraft verloren. Und als Musiker, der ebenfalls mit 1. September 1976 Angehöriger des Staatsopernorchesters wurde, bin ich noch heute für den künstlerischen Standard dankbar, mit dem Seefehlner das Haus prägte.

Idealzustand

Egon Seefehlner  (1912–1997) und Lorin Maazel, der heuer seinen 80er feierte: Sie setzten auf Symbiose mit dem Orchester Egon Seefehlner (1912–1997) und Lorin Maazel, der heuer seinen 80er feierte: Sie setzten auf Symbiose mit dem OrchesterIn seiner Direktionszeit kam es zu einer unerhörten Dichte an Abenden, die von den führenden Dirigenten der damaligen Zeit geleitet wurden. Leonard Bernstein, Herbert von Karajan und Carlos Kleiber dirigierten TV-Übertragungen von "Fidelio", "Il Trovatore" und "Carmen", Karl Böhm betreute eine Premiere der "Entführung", und Sir Georg Solti debütierte mit "Falstaff": Musikalische Herausforderungen, die den Idealzustand der "Symbiose" Staatsoper / Wiener Philharmoniker realisierten.
Es ist daher von beinahe symbolhafter Bedeutung, dass Böhm im Oktober 1980 das letzte philharmonische Konzert seines Lebens während einer von Seefehlner verantworteten Staatsopernreise nach Japan dirigierte.
Selbstverständlich wird man einem Operndirektor nicht gerecht, wenn man ihn "nur" an den Dirigenten misst, die er engagierte; auch das Repertoire der Ära Seefehlner I bot bleibende Erlebnisse.
Seine erste Premiere, Hector Berlioz' monumentale "Les Troyens" am 17. Oktober 1976, bildete einen Meilenstein in der Geschichte der Staatsoper. Zwei Monate später bescherte er dem Haus am Ring mit Gottfried von Einems "Kabale und Liebe" die erst 3. Uraufführung nach der Wiedereröffnung des Jahres 1955. Unvergesslich bleibt die Premiere von "Lucia di Lammermoor" (1978): Edita Gruberovas überragende Beherrschung der Stimme musste jedem Instrumentalisten Vorbild und Impuls sein.


Einfühlvermögen

Zeitgenossen "Kabale und Liebe" war nicht der einzige Tribut an das zeitgenössische Musiktheater. "Der junge Lord" von Hans-Werner Henze (1978) und Friedrich Cerhas "Baal", nach der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen 1981 von der Staatsoper übernommen, bewiesen Seefehlners Einfühlungsvermögen auf diesem Gebiet, das ohne Zweifel auf seine Tätigkeit als Generalsekretär der Wiener Konzerthausgesellschaft in den aufregenden Jahren 1946 bis 1951 zurückging.
Ebenso glücklich war sein Bemühen um hochwertiges Kindertheater: Giancarlo Menottis Einakter "Amahl und die nächtlichen Besucher" und "Hilfe, Hilfe, die Globolinks" bezauberten junges und jung gebliebenes Publikum.
Naturgemäß blieben Seefehlner Misserfolge nicht erspart. Der größte Fehlschlag war das Scheitern der Neuproduktion des "Ring". Trotz des souveränen Dirigats von Zubin Mehta wurde Filippo Sanjusts Auseinandersetzung mit der Tetralogie bereits nach "Rheingold" und "Walküre" (März bzw. November 1981) abgebrochen, was für das Orchester eine tief greifende Einschränkung bedeutete - der "Ring" stellt eine der größten Herausforderungen dar, und auf diese mussten wir bis zur Saison 1992/93 verzichten.

Abgang

Leonard Bernstein war seltener und hoch geschätzter Gast in Wien Leonard Bernstein war seltener und hoch geschätzter Gast in WienDen spektakulärsten Skandal der Ära Seefehlner I bildeten allerdings die Vorgänge um die TV-Produktion von "Il Trovatore", als Franco Bonisolli, entnervt durch (unangebrachte) Buhrufe während der öffentlichen Hauptprobe (!), die Bühne verließ, Karajan die "Stretta" ohne Tenor unter tumultartigen Begleitumständen dirigierte, die Eurovision abgesagt und die TV-Übertragung verschoben werden musste, um Plácido Domingo einzufliegen.
Die weiseste Entscheidung Seefehlners in der aufgeheizten Stimmung der Hauptprobe war es, nicht selbst vor den Vorhang zu treten, sondern jenen Mann mit dieser scheinbar unlösbaren Aufgabe zu betrauen, der wie kein anderer zuvor und danach Seele und Geist des Hauses verkörperte: Marcel Prawy hielt eine so brillante und gleichzeitig sensible Ansprache, dass Karajan mit einem spontanen "Bravo" reagierte.
Die "Verkaufte Braut" in der Inszenierung von Otto Schenk (April 1982) war als letzte Premiere Seefehlners vorgesehen - aber es kam anders. Der nächste Skandal um die Staatsoper fiel zwar nicht in seine Ära, betraf ihn aber unmittelbar: Nach dem vorzeitigen Rücktritt seines Nachfolgers Lorin Maazel im April 1984 wurde Seefehlner "reaktiviert" und leitete das Haus bis September 1986.

Sensation

Die 1979 erfolgte Bestellung von Lorin Maazel zum Operndirektor bildete eine internationale Sensation, und die Wiener Philharmoniker, die in der Person des damaligen Vorstands Alfred Altenburger maßgeblich zu dieser Ernennung beigetragen hatten, verstärkten die Bindung des Maestros an Wien: Von 1980 bis
1986 dirigierte er nicht nur alljährlich das Neujahrskonzert, sondern leitete mehr als hundert weitere Konzerte unseres Orchesters.
Seine erste Premiere im Oktober 1982 stand unter keinem guten Stern: Reiner Goldberg, der Sänger des "Tannhäuser", verließ wegen schwerer Indisposition auf offener Szene die Bühne - zweifellos ein Moment tiefster Tragik. Anspruch In der Folge sorgte Maazel für beeindruckende Höhepunkte: "Lulu" in der von Friedrich Cerha komplettierten dreiaktigen Version, "Turandot" und "Aida" mit Luciano Pavarotti demonstrierten seine Virtuosität und Entschlossenheit, an das Haus die höchsten Ansprüche zu stellen. Dazu kam Claudio Abbados Debüt mit Verdis "Simon Boccanegra".
Mit der Professionalität von Maazels Arbeit hielt das Lobbying in eigener Sache nicht Schritt, und nach einer regelrecht inszenierten öffentlichen "Treibjagd" gegen ihn resignierte er - zweifellos zum Nachteil der Staatsoper, wie auch das größtenteils von ihm vorbereitete Programm der "Ära Seefehlner II" bewies: Berios "Un re in ascolto", "Herzog Blaubarts Burg", "Erwartung" und "Die tote Stadt" bildeten in der Kombination etwa mit "Faust", "Cavalleria rusticana / Pagliacci", "Die Entführung aus dem Serail", "Maria Stuarda", "Manon Lescaut" oder "La Gioconda" ein faszinierendes Kaleidoskop des Opernschaffens.
Ein besonderes Ereignis stellte die Premiere von Ernst Kreneks "Karl V." dar - 50 Jahre nach der von Clemens Krauss geplanten, aber aus politischen Gründen verhinderten Uraufführung hielt sie Einzug am Ring.

Versöhnung

Edita Gruberova brillierte 1978 als Lucia. Edita Gruberova brillierte 1978 als Lucia.Es war verständlich, dass ein so außergewöhnlicher Künstler wie Lorin Maazel von den durchaus auch persönlichen Angriffen zutiefst verletzt war und nach 1984 Wien jahrelang mied. Unter diesem Gesichtspunkt kommt der Tatsache, dass er am 6. März 2010 seinen 80. Geburtstag auf Einladung unseres Orchesters in Wien feierte, mehr zu als "bloß" die Bedeutung eines Festes. Seine Zusage stellte die Aussöhnung eines führenden Maestros mit der "Welthauptstadt der Musik" dar.
Egon Seefehlner und Lorin Maazel - ihre zehn Direktionsjahre schärften den Sinn für die ausschließliche Fokussierung auf die Kunst, für das unablässige Postulat höchster Qualität. Die Zeichen sind überaus günstig, dass die "symbiotisch" denkende, das "Gesamtkunstwerk" Staatsoper/Wiener Philharmoniker begreifende und fördernde Direktion, die in vier Tagen ihr Amt antritt, an die einstigen Höhenflüge anschließt.

Zum Autor

Clemens Hellsberg Clemens HellsbergClemens Hellsberg ist Vorstand der Wiener Philharmoniker.



Artikel vom 27.08.2010 17:43 | KURIER | Clemens Hellsberg


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