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  09.09.2010, 09:00    

Parteiausschluss: Sarrazin-Rausschmiss würde SPD schaden

Leitartikel Eine Volkspartei sollte stark genug sein, Minderheitenmeinungen hinnehmen zu können. Es wäre daher ein Zeichen von Schwäche, Thilo Sarrazin rauszuschmeißen - und ihn zum Märtyrer zu machen.
Sigmar Gabriel scheinen die Argumente zu fehlen: Um den Parteiausschluss von Thilo Sarrazin zu begründen, wirft der SPD-Vorsitzende ihm nun vor, dessen Menschenbild verstoße gegen die "deutsche Leitkultur". Das ist schon deshalb höchst verwunderlich, weil die Sozialdemokraten bislang diesen Begriff als volkstümelnd und nationalromantisch abgelehnt haben. Gabriel selbst sagte 2009: "Wenn jemand nach der deutschen Leitkultur fragt, kann ich nur auf die Verfassung verweisen."
Thilo Sarrazin   Thilo Sarrazin
Der Fauxpas zeigt, wie sehr der SPD-Chef sich im Fall Sarrazin verrannt hat. Es lässt sich viel Kritisches über die Äußerungen des Noch-Bundesbankers und sein Buch sagen. Sarrazins Statistiken sind methodisch fragwürdig, seine Behauptungen wissenschaftlich widerlegbar, und mit seinen Thesen zur angeblichen dümmeren Unterschicht und Minderwertigkeit des Islam rückt er in die Nähe zu Rassisten. Doch nur weil seine Ansichten streitbar sind, sollte die SPD ihn noch lange nicht rauswerfen. Eine Volkspartei muss auch krude Äußerungen ihrer Mitglieder ertragen können - solange sie nicht gegen Gesetze verstoßen.
Eine staatliche, parteiübergreifende Institution wie die Bundesbank darf von ihren Vertretern verlangen, sich neutral und zurückhaltend zu verhalten. Wenn ein Vorstand gegen diesen Ethikkodex verstößt, kann er sich über einen Rauswurf nicht beschweren. Anders ist es bei Parteien. Für sie sind Meinungspluralität und Kontroverse konstituierend. Darum ist auf dem Beitrittsformular kaum mehr als Name, Adresse und Bankverbindung anzugeben, ein Gesinnungstest ist nicht vorgesehen. Die Parteilinie soll nicht von oben diktiert werden, sondern verändert sich durch ständige Debatten und Beschlüsse an der Basis - ohne dass die Minderheit dann rausfliegt.
Sarrazin propagiert ein Menschenbild, das in der SPD wohl nicht mehrheitsfähig sein dürfte: Er macht Intelligenz von der Herkunft abhängig. Das widerspricht dem Parteikonsens, laut dem es jeder zu etwas bringen kann, sofern er von der Gemeinschaft die Möglichkeiten dazu erhält. Dabei kann die SPD auf ihre Kanzler verweisen, die zum Beispiel als Kinder einer Verkäuferin (Brandt) oder einer Putzfrau (Schröder) zur Welt kamen.
So etwa hätte Gabriel argumentieren und Sarrazin inhaltlich ins Abseits stellen können. Doch lieber warb er gleich für den Parteiausschluss. Nun liegt es nicht mehr am Parteichef, sondern an parteiinternen Schiedskommissionen, in womöglich jahrelangen Verhandlungen zu entscheiden - wie immer es ausgeht, Sarrazin steht als Märtyrer und Gabriel als Verlierer da.
Selbst wenn der Rauswurf sich sogar juristisch begründen lässt: Der politische Schaden, der der SPD dadurch entsteht, wird so schnell nicht wiedergutzumachen sein. Fortan gilt sie als Partei, die unbequeme Meinungen unterdrückt und zu schwach oder unsouverän ist, sie ertragen zu können. Die Sozialdemokraten können nur hoffen, dass dieser Eindruck sich nicht bis zu den nächsten Wahlen hält.
  • 09.09.2010
    © 2010 Financial Times Deutschland
Kommentare
  • 09.09.2010 20:29:22 Uhr   Flüchtling: Elefanten im Porzellanladen

    Mittlerweile scheint es in allen Talkshows, wie auch beim Thema Sarazin, System zu sein, die Gegner zur gewollten Meinung zwar einzuladen, als Statisten, um sie dann, wenn sie gefragt werden, in der Antwort sofort abzuwürgen. Sie kommen kaum zum Luftholen und zur Antwort und die Moderatoren quatschen schon wieder dazwischen oder man lässt die reden, die gar nicht gefragt wurden. Im schlimmsten Falle schmeißt man sie nach der Einladung (Kerner) gleich aus der Sendung. Das Linke Spektrum kann ihr inhaltsloses Zeug ohne Unterbrechung labern bis zum umfallen. Die Moderatoren Illner, Will u.a. werden unverständlicherweise seit Jahren in dieser einseitigen gelenkten Primitivmoderation nicht gestoppt. Daraus kann nur ein Schluss gezogen werden, dass die Diskussionen in einer ganz bestimmten Meinungsrichtung gesteuert werden sollen. Als Fazit ist zu ziehen, die gesamte Medienwelt der Talkshows ist bereits bewusst oder unbewusst links unterwandert. Gemerkt haben es die wenigsten.
    Herr Gabriel und die meisten anderen Politiker stampfen zur Zeit wie eine Herde Elefanten im Porzellanladen Deutschland umher und meinen Politik zu machen. Sie haben sich damit endgültig disqualifiziert. Andere auf dem ersten Platz liegende Bücher, wie von der jetzt toten Richterin Heisig hat man bewusst schlicht übersehen. Sie hat sich jahrelang den Mund fusselig geredet, ohne dass ein Politiker in Berlin auf sie gehört hätte. Dort konnte man ja alles als Einzelfälle abtun und in der Versenkung verschwinden lassen, um weiter in der Schlafhaltung der Politik zum Thema zu verweilen. Jetzt kommt ein Sarazin, der plötzlich nicht von Einzelfällen spricht, sondern den Versuch macht, die Problematik statistisch zu erklären und seine Warnungen damit, natürlich in überzeichneter Form, massiv zu untermauern versucht. Statistiken sind immer irgendwie angreifbar, aber die Tendenz ist richtig und ist ja als Anregung zum Nachdenken und Handeln gedacht. Die Politik kann nur durch extremes Anklopfen zum Handeln getrieben werden. Dies kann jetzt wieder gut beobachtet werden. Plötzlich werden die Schlafenden munter und versuchen die Gesamtproblematik mit politischem Gelaber mundtot zu machen unter Verkennung wissenschaftlicher Erkenntnisse und merken nicht einmal, dass der Schuss gewaltig nach hinten los geht.

  • 09.09.2010 18:35:11 Uhr   Laura Friedmann: "Repräsentative" Demokratie
  • 09.09.2010 16:36:55 Uhr   Karl Murx: @Minderheitenmeinung?
  • 09.09.2010 12:06:24 Uhr   Weisenheimer: Heute zeigen nur noch Hofnarren ZIVILCOURAGE�...
  • 09.09.2010 12:02:49 Uhr   Viktoria: Meinungsfreiheit
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