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  20.09.2010, 17:07    

Streit über Abschiebungen: So leben Roma in Deutschland

Frankreich lässt Tausende von Roma abschieben, laut Präsident Sarkozy plant Deutschland Vergleichbares. FTD.de zeigt, was an dem Vorwurf dran ist. von David Böcking  und Stefan Tillmann 
Eigentlich hatte Nicolas Sarkozy nur Streit mit EU-Justizkommissarin Vivane Reding. Diese hatte die Regierung des französischen Präsidenten in die Nähe des NS-Staates gerückt, weil das Innenministerium laut einem Rundschreiben die Abschiebung von Roma besonders vorantreibt.
Einmal in Rage über diese Aussage, warf Sarkozy Deutschland vor, genau dieselbe Politik zu betreiben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe die Absicht geäußert, "in den nächsten Wochen mit der Räumung von Lagern zu beginnen. Dann wird man sehen, ob die Ruhe in Deutschland anhält."
Von einer Räumung von Lagern kann zwar, wie die Bundesregierung umgehend mitteilen ließ, nicht die Rede sein. Doch tatsächlich droht auch in Deutschland bald Tausenden von Roma die Abschiebung:
Sinti und Roma sind eine ethnische Gruppe, die seit Jahrhunderten in Europa beheimatet ist. Von Außenstehenden wurden sie in der Vergangenheit häufig abwertend als "Zigeuner" bezeichnet. Im Deutschen wird zwischen den aus Mitteleuropa stammenden Sinti und den südeuropäischen Roma unterschieden.
In Deutschland leben Sinti und Roma seit dem 15. Jahrhundert. Während der NS-Zeit wurden in Europa über 500.000 Sinti und Roma ermordet. Heute gibt es rund 70.000 Sinti und Roma mit deutscher Staatsbürgerschaft. Die Mehrheit lebt in Ballungszentren wie Hamburg, Berlin, im Raum Köln-Düsseldorf oder im Rhein-Main-Gebiet.
In der aktuellen Diskussion geht es um 12.777 Ausreisepflichtige aus der früheren jugoslawischen Teilrepublik Kosovo, von denen 8500 Roma sind. Seit den 1990er-Jahren ist der größte Teil der Roma und Aschkali aus dem Kosovo geflüchtet, zum Teil bereits wegen Verfolgung durch das Regime des früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic.
Roma müssen bis heute mit zahlreichen Vorurteilen und Benachteilungen leben. Laut einer Uno-Studie ist keine andere Volksgruppe in Europa häufiger von Armut betroffen. Die Schulbildung von Roma ist schlecht, entsprechend hoch ist ihre Arbeitslosigkeit. Da sie oft keinen ausreichenden Zugang zum Gesundheitssystem haben, sterben Roma nach Schätzungen der EU-Kommission zwischen zehn und fünfzehn Jahren früher als Angehörige anderer Volksgruppen.
In Deutschland ist insbesondere die Situation der aus dem Kosovo geflüchteten Roma prekär. Die Lage in ihrer Heimat rechtfertig aus Sicht der deutschen Behörden meist keinen grundsätzlichen Anspruch auf Asyl. Deshalb wurde ihre Abschiebung bislang lediglich im Abstand von wenigen Monaten aufgeschoben. Diese sogenannten "Kettenduldung" kann jederzeit beendet werden - wie es jetzt im Fall der betroffenen 8500 Roma geschehen soll.
Das Bundesinnenministerium ist laut einem Papier zu der Einschätzung gekommen, dass mittlerweile im Kosovo keine "unmittelbare Gefährdung nur auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie besteht". Eine Rückkehr sei unter dem Sicherheitsaspekt nunmehr zumutbar.
Dieser Einschätzung widersprechen nicht nur Flüchtlingsvertreter. Auch die Uno-Zivilverwaltung im Kosovo (Unmik) hält eine Wiedereingliederung der Roma derzeit nicht für möglich, unter anderem, weil es an ausreichendem Wohnraum mangele. Josef Winkler, Fraktionsvize der Grünen und flüchtlingspolitischer Sprecher, nennt die Abschiebungen auf Grund der Zustände in den Aufnahmelagern "humanitär nicht vertretbar und "politisch und wirtschaftlich nicht notwendig"
Auf die Kritik, das Kosovo könne die Zahl nicht aufnehmen, entgegnet das Ministerium: "Wirtschaftliche oder soziale Aspekte im Zielstaat sind grundsätzlich nicht ausschlaggebend für die Frage einer Rückführbarkeit".
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat mit seinem kosovarischen Amtskollegen Bajram Rexhepi Mitte April ein Abkommen geschlossen, dass die Art der Rückführung regelt, nicht den Grund. Grundsätzlich entscheiden aber die Länder. Von dort kommt bereits Kritik an den Regelungen. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sieht laut "Spiegel" die Gefahr, dass Abschiebungen in nicht gesicherte Gebiete erfolgen". Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD), in dessen Land rund 3700 ausreisepflichtige Roma leben, sagte: "Massenabschiebung wird es nicht geben."
Das Abkommen mit dem Kosovo trat im September in Kraft und begrenzt die jährliche Zahl der Rückführungen auf 2500. Faktisch sank die zahl der Rückführungen in den vergangenen Jahren von 1517 im Jahr 2005 auf 541 im vergangenen Jahr. Bis Juli 2010 wurden 364 Menschen in das Kosovo abgeschoben, darunter 364 Roma.
Neben einem Mangel an Wohnraum und extrem hoher Arbeitslosigkeit droht Roma im Kosovo nach Einschätzung des Menschenrechtskommissars des Europarates, Thomas Hammarberg, auch weiterhin Verfolgung. "Obwohl sich die Sicherheitslage verbessert hat, bleibt die Lage im Kosovo angespannt, wobei es sporadisch zu ethnischer Gewalt kommt." In der nördliche gelegenen Stadt Mitrovica lebten Roma zudem in einem bleiverseuchten Lager, das sofort geschlossen werden müsse. Als besonders problematisch gilt die Rückkehr junger Roma. Diese machen fast die Hälfte der Flüchtlinge aus und sind oft deutschsprachig aufgewachsen. Das Kinderhilfswerk Unicef kommt in einer aktuellen Studie zu dem Schluss, dass für Roma-Kinder im Kosovo weder Unterkunft noch Gesundheitsversorgung gewährleistet seien. Zudem "verpufften" deutsche Investitionen in die Bildung der Kinder, von denen laut Umfragen drei Viertel nach der Rückkehr keine Schule mehr besuchen. "Die Abschiebungen könnten eine verlorene Generation entwurzelter Flüchtlingskinder hervorbringen", warnt Unicef.
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    © 2010 Financial Times Deutschland
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