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Ein Fremdling überall

Paul Celan (23. 11. 1920 – 20. 4. 1970). Foto: Archiv

Paul Celan (23. 11. 1920 – 20. 4. 1970). Foto: Archiv

Von Christian Teissl

Der Dichter Paul Celan wäre dieser Tage 90 Jahre alt geworden. Sein Werk und seine Persönlichkeit sind ungebrochen präsent, nicht zuletzt in den Erinnerungen seiner Freunde und Weggefährten.

Kurz nachdem er auf der literarischen Szene erschienen war, wurde Paul Celan zu einer literarischen Figur; zunächst, 1950, in der Erzählung "Die Abreise" von Marie-Luise Kaschnitz, zwei Jahre darauf in dem Kriminalroman "Internationale Zone" von Milo Dor und Reinhard Federmann. Die beiden Autoren hatten Celan nach dem Krieg in Wien, im Kreis um die ebenso wegweisende wie kurzlebige Literaturzeitschrift "Plan", kennen gelernt und sich mit ihm angefreundet. Sie bewunderten Celans Gedichte, wussten um die tiefe Tragik seiner Existenz – seine Eltern wurden in NS-Vernichtungslagern ermordet –, kannten seine schwierige Lage als Staatenloser, als displaced person , teilten manche seiner Hoffnungen wie auch manche seiner Enttäuschungen und formten daraus das folgende, en detail zwar etwas ungenaue, im Ganzen jedoch akkurate und liebevolle Porträt:

"Petre Margul, Flüchtling, Journalist und Dichter, strolchte verloren über die abendliche Ringstraße. Um diese Stunde verließen tausende Angestellte, kleine Verkäuferinnen und Stenotypistinnen ihre Büros und Läden, die Straße war voll eilig wehender Sommerkleider, Geschwätz, Gelächter und klappernder Schuhe. Ein Hauch von der kindlichen Freude des Schulschlusses flog über die Gehsteige. Es war das wiedergewonnene Leben nach einem heißen Tag; ein Leben, das Petre Margul nichts anging. Er war hungrig und verzweifelt (. . .)

Schmerzlich empfand er wieder jenes Gefühl der Fremdheit, das ihn immer befallen hatte, wenn er die Redakteure mit ihren unverbindlichen Redensarten und Händedrücken verlassen hatte. Wozu man ihn brauchen konnte, das waren ein paar Artikel über die Verhältnisse im volksdemokratischen Rumänien gewesen. Eine Zeitschrift druckte sieben seiner Gedichte ab, ein Herausgeber lud ihn zu einer Künstlerparty ein, bei der er niemanden kannte. Er hatte das Gelächter, die Witze und Bonmots eine Weile angehört; dann war er sich unnötig vorgekommen und war gegangen. Ein Verleger pries ihn als einen der besten Lyriker deutscher Zunge und versprach ihm, den Gedichtband, dessen Manuskript Petre im Flüchtlingsrucksack mitgenommen hatte, herauszubringen, sobald er dazu imstande sein würde. Das war alles. Aber er wollte mehr."

Paris als Fluchtpunkt

Am Ende des Romans schließlich gelingt es Petre Margul, der Wiener Tristesse mit ihren Ruinen, ihren Schiebern und Schleichhändlern in Richtung Paris zu entkommen; Celan selbst hatte diesen Schritt bereits im Sommer 1948 getan. Das Gefühl der Fremdheit, existenzielles Grundgefühl aller Exilanten, wurde er zwar auch in Paris nie ganz los, doch gelang es ihm binnen weniger Jahre, sich schreibend in dieser Stadt zu verorten und in ihr jenen Atem zu schöpfen, den er für seine Dichtung brauchte.

Sein Brot verdiente er zunächst als Übersetzer – sein Spektrum reichte dabei von Maigret-Romanen bis zu Rimbauds "Trunkenem Schiff" –, später als Lektor für deutsche Sprache an der École normale supérieure; Celan heiratete die Graphikerin Gisèle de Lestrange und gründete mit ihr eine Familie.

Schon während seiner ersten Pariser Jahre trat er in Kontakt mit französischen Dichtern wie Henri Michaux, Yves Bonnefoy und René Char, woraus sich langjährige Freundschaften und fruchtbare Arbeitsbeziehungen entwickelten. Zum deutschen Literaturbetrieb und dessen Protagonisten hingegen hielt er Abstand. Die Autoren der Gruppe 47 bezeichnete er abschätzig als "diese Fußballer", von der deutschen Literaturkritik sah er sich geradezu notorisch missverstanden, und als Ende der 1950er Jahre die Witwe des Dichters Yvan Goll ihn als Plagiator verleumdete, indem sie ihn beschuldigte, dem lyrischen Nachlass ihres Mannes ganze Zeilen und Passagen entwendet zu haben, um sie in seinen Band "Mohn und Gedächtnis" einzubauen, wurde das von Teilen des deutschen Feuilletons dankbar aufgegriffen und, mit unüberhörbaren antisemitischen Untertönen, verbreitet.

Die "Goll-Affäre"

Diese Kampagne, die unter dem Namen "Goll-Affäre" unselige Bekannheit erlangte – ihre Ursprünge und ihr Verlauf ist dank der Arbeit von Barbara Wiedemann präzise dokumentiert –, bewirkte einen tiefen und schmerzlichen Einschnitt in Celans Leben und Schaffen. Er sah durch sie seine Existenz und seine Identität als deutsch schreibender jüdischer Dichter in Frage gestellt, er begann selbst seinen alten Freunden zu misstrauen und geriet in immer größere Isolation. Daran konnte selbst der Umstand, dass eine Reihe namhafter Kolleginnen und Kollegen öffentlich seine Partei ergriff, nur wenig ändern.

Zu Wort meldete sich damals auch Wieland Schmied, Lyriker und Kunsthistoriker; er veröffentlichte in der österreichischen Literaturzeitschrift "Wort in der Zeit" eine kurze und bündige Darstellung des "Falles" unter dem Titel "Literarischer Rufmord". Nachzulesen ist sie nun wieder in dem Bändchen "Paul Celan – Erinnerungen, Dokumente, Briefe", das Schmied jüngst im Rimbaud-Verlag herausgegeben hat. Es versammelt, wie im Untertitel bereits angedeutet, verschiedenartige Texte aus verschiedenen Zeiten, darunter auch eine überaus lesenswerte Rezensionen von Celans Gedichtband "Sprachgitter" (1959). Im Zentrum dieses Bändchens steht ein neuer, bisher noch unveröffentlichter Versuch Schmieds, sich an den Dichter und an persönliche Begegnungen mit ihm zu erinnern.

Der Autor tut dies auf denkbar uneitle Art, trachtet nicht danach, in der Rückschau eine Nähe herzustellen, die nicht gegeben war. Seine Perspektive auf Celan war und ist, damals wie heute, nicht jene des Freundes, sondern jene des Bewunderers – und dementsprechend von ehrfurchtsvoller, unaufhebbarer Distanz geprägt. Das Bild, das Schmied aus dieser Perspektive zeichnet, hat die Züge einer Ikone; die Dunkelheit, die manche Kritiker seinerzeit Celans Gedichten zugeschrieben, wo nicht gar vorgeworfen haben, erscheint hier als Teil seiner Aura und seines Charakters:

"Paul Celan konnte sein Gegenüber zugleich intensiv und zärtlich ansehen, und man meinte: er weiß alles von einem. Es war ein wissender Blick. Dieser Blick, das spürte man sogleich, galt nicht nur seinem Gegenüber. Es war ein Blick, dem nichts verborgen blieb und der die ganze Welt umfasste. Ein Blick, der voller Zärtlichkeit war und gleichzeitig voll Verstörung (. . .) Um ihn war Dunkelheit, als käme er aus ihr und hätte ein Stück Nacht mitgebracht. Das konnte er nicht abstreifen. Die ganze Welt stellte sich in seiner Gegenwart trüber, hoffnungsloser dar."

Geheime Zweisamkeit

Aus ganz und gar anderer Perspektive erzählt Brigitta Eisenreich ihre Erinnerungen an den Dichter in ihrem Buch "Celans Kreidestern". Kennen gelernt hat sie ihn mit 24 Jahren, anno 1952 als Studentin in Paris, durch ihren älteren Bruder, den österreichischen Erzähler und Romancier Herbert Eisenreich. Aus der Bekanntschaft wurde alsbald eine zehnjährige Liebesbeziehung, eine Zweisamkeit im Verborgen, die deutlichen Niederschlag gefunden hat in dem einen und anderen Gedicht Celans in jener Zeit.

Brigitta Eisenreich hat, wie aus ihren Erinnerungen deutlich hervorgeht, lebhaften Anteil genommen an Celans Schreiben, an seinen Dichtungen und Nachdichtungen, hat unter seinem Einfluss selbst eine Zeit lang Gedichte geschrieben, ehe sie als Anthropologin eine akademische Laufbahn einschlug. Ihr Buch ist eine behutsame Annäherung an den Geliebten von einst, und kommt ohne jedes Haschen nach Wind aus.

Die Autorin posiert nicht als heimliche Geliebte eines großen Dichters, prahlt auch nicht mit exklusivem Wissen, sondern ist schlicht und einfach der Überzeugung, dass ihre gemeinsame Beziehung für den Dichter in der fremdsprachigen Umgebung so etwas wie eine Sprachbrücke war, eine Möglichkeit, sich von Zeit zu Zeit in einem vertrauten Idiom zu bewegen.

Eine Sprachbrücke anderer Art eröffnete sich Celan in seiner letzten Lebensphase durch die Beziehung zu der in Jerusalem lebenden Dichterin Ilana Shmueli. Sie führte zurück in die versunkene Welt seiner Kindheit und Jugend, in die vielsprachige Bukowina, "eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten", wie Celan es in seiner berühmten Bremer Rede formulierte. Die gemeinsame Herkunft aus Czernowitz, dem heute ukrainischen Czerniwzi, und die gemeinsame Erfahrung, im Exil zu leben und zu schreiben, stiftete bei ihrer Wiederbegegnung nach vielen Jahren des Schweigens umgehend Vertrautheit.

Shmueli hat sich, nach langem Zögern, dazu entschlossen, aus ihren Erinnerungen an den Jugendfreund ein Buch zu machen. Vor zehn Jahren unter dem Titel "Sag, dass Jerusalem ist" erstmals erschienen und in der Zwischenzeit vergriffen, wurde es nun in der Reihe der Celan-Studien des Aachener Rimbaud-Verlages neu herausgebracht.

Die "andere Seite"

Ilana Shmueli hebt in ihren Erinnerungen die "andere Seite" von Paul Celans Perönlichkeit hervor – "seine Vitalität, seine Fähigkeit zu genießen, sein Einfallsreichtum an Witz und Spaß, sein Übermut, der mitreißend sein konnte" – und sie zitiert in diesem Zusammenhang den Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, der von einer Zusammenkunft mit Celan Folgendes zu berichten wusste:

"Der Tag war heiß, schwül, kein Wind, lastendes Blei. Wir spielten stundenlang Tischtennis, er war von einer ungeheuren, bärenstarken Vitalität, er spielte meine Frau, meinen Sohn und mich in Grund und Boden. Dann trank er zu einer Hammelkeule eine Flasche Mirabelle, einen starken Schnaps, seine Frau und wir tranken Bordeaux, er trank eine zweite Flasche Mirabelle, Bordeaux dazwischen, in der Pergola vor der Küche, am Himmel die Sommersterne. Er dichtete in das bauchige Glas hinein, dunkle, improvisierte Strophen, er begann zu tanzen, sang rumänische Volkslieder, kommunistische Gesänge, ein wilder, gesunder, übermütiger Bursche."

Übermut und Ausgelassenheit, gepaart mit einer unverhohlenen Lust am beziehungsreichen Spiel mit der Sprache, finden sich bisweilen auch in Celans Korrespondenz. So fordert er etwa seinen Wiener Schriftstellerfreund Reinhard Federmann in einem Brief vom 23. Februar 1962 auf, möglichst bald nach Paris zu kommen, und schließt mit den folgenden Zeilen:

"Kommst Du, so sag, Du fährst nach St. Pölten. Und beschimpf mich zuvor ein bißchen, wenn Du mit diesen oder jenen Fritschen auf mich nichtarischen deutschen Lyriker zu sprechen kommst. C'est de bonne guerre.

Herzlich
Dein alter Freund
und (Nichtnur-)Zwetschkenröster bzw. mit seinen
Zwetschken gerösteter/ Paul".

Christian Teissl, geboren 1979, lebt als freier Schriftsteller in Graz. Näheres unter http://www.christianteissl.at.

Bücher über Celan

Milo Dor/ Reinhard Federmann: Internationale Zone. Neuauflage. Picus Verlag. Wien 1994, 241 Seiten.
Barbara Wiedemann (Hrsg.): Paul Celan – Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer "Infamie". Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2000, 926 Seiten.
Wieland Schmied: Paul Celan. Erinnerungen, Dokumente, Briefe. Rimbaud-Verlag. Aachen 2010, 64 Seiten.
Brigitta Eisenreich: Celans Kreidestern. Ein Bericht. Suhrkamp, Berlin 2010, 266 Seiten.
Ilana Schmueli: Sag, daß Jerusalem ist. Über Paul Celan. Rimbaud Verlag, Aachen 2010, 120 Seiten.



Printausgabe vom Samstag, 27. November 2010
Online seit: Freitag, 26. November 2010 15:01:00

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