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Bühnen der Kulinarik

Zur Kulturgeschichte und Gegenwart der Erlebnis-Gastronomie
Die farbenfrohe Käse- und Milchbar im neuen

Die farbenfrohe Käse- und Milchbar im neuen "Steirereck" in Wien.

Den Wienerwald zu Füßen: Das Hotel-Restaurant Hanner in Mayerling bietet ein Gesamtkonzept aus Kulinarik, Design und Naturerlebnis.  Fotos: Stummerer

Den Wienerwald zu Füßen: Das Hotel-Restaurant Hanner in Mayerling bietet ein Gesamtkonzept aus Kulinarik, Design und Naturerlebnis. Fotos: Stummerer

Von Martin Hablesreiter

Mit rund 5.000 offiziell eingetragenen Gastronomiebetrieben besitzt Wien ein breites Spektrum an gepflegter Gastlichkeit. Vom 1447 gegründeten Griechenbeisl, das gemeinhin als älteste Gaststätte der Stadt gilt, bis hin zum schicken Designertreff: Auswärts zu speisen ist nicht nur eine Frage des guten Essens, sondern auch des richtigen Ambientes. Etwa 200 Neugründungen beleben die Szene jährlich, das reichhaltige Angebot schließt Schäferpicknicks in einem Altwiener Bergbauernhof genauso mit ein wie Austernschlürfen in einem orientalischen Dampfbad.

Das Konzept, Mahlzeiten in eigens dafür eingerichteten Räumlichkeit gegen Geld zu servieren, ist vergleichsweise jung. Fremdgekochtes zu essen bedeutete jahrhundertelang keineswegs Luxus, Geselligkeit und Zeitvertreib, sondern diente schlicht der alltäglichen Nahrungsaufnahme. Von der Antike bis ins Mittelalter erwarb man warme Mahlzeiten (oft in Ermangelung eines eigenen Herds) zum Mitnehmen, sozusagen in einer Frühform des "take away". Die erstandenen Speisen wurden entweder rasch im Stehen verzehrt oder eingepackt und mitgenommen. Es ist durchaus vorstellbar, dass die alten Römer ihr Mittagessen ebenso auf den Stufen zum Senat verspeisten, wie das Büroangestellte heutzutage vor der Wall Street in New York tun.

Erst im 16. Jahrhundert reifte in Großbritannien die Idee, Mahlzeiten auch in Trinkstuben anzubieten. In London servierten die Besitzer von "alehouses", "taverns" und "inns" ihren Gästen nicht mehr nur Alkohol, sondern auch dazu passende Gerichte. Das Ganze war eher rustikal – und blieb es auch über mehrere Generationen hinweg, ehe Noblesse und Gastronomie zusammenfanden.

Das Auge isst immer mit

1760 eröffnete – natürlich in Paris – das erste Restaurant der Welt, ursprünglich eine Suppenküche, die in erster Linie die Gesundheit ihrer Gäste fördern sollte. Serviert wurden Früchte, Molkereiprodukte und nahrhafte Bouillons. Letztere verliehen der neu entstandenen Institution schließlich auch ihren Namen: Die stärkenden Suppen, die die körperlichen Kräfte "restaurieren" sollten, trugen den Beinamen "restaurant".

Diese neuen Restaurants unterschieden sich nicht nur durch die Auswahl der Speisen von den althergebrachten Wirtsstuben, in denen die Besucher essen mussten, was auf den Tisch kam, sondern auch durch ihre Architektur. Den Gästen wurden einzelne Tische zugestanden, die Speisesäle mit Kunstgegenständen und aufwändigen Dekorationen geschmückt. Das Auge isst bekanntlich immer mit – und so zierten bald riesige Spiegel die Räumlichkeiten, die dadurch heller und großzügiger wirkten. Die Gastronomie hatte damit den Sprung von der einfachen Ausspeisung zum kulinarischen Gesamterlebnis vollzogen. Zwischen den unterschiedlichen Etablissements entstand ein regelrechter Wettkampf hinsichtlich Prunk und Ausstaffierung. Als 1780 auch Frauen Zutritt erhielten, entwickelten sich die neuen Lokale schnell zu einem beliebten Treffpunkt für Liebespaare, was der Ausstattungslust weiteren Furor verlieht.

Für lange Zeit blieb das Vergnügen eines Restaurantbesuchs – mit oder ohne Liebschaft – der Oberschicht vorbehalten. Die volle Breitenwirkung erzielte die Gastronomie erst nach dem Zweiten Weltkrieg, vorerst hauptsächlich in New York. Als Diners-Club-Gründer Frank McNamara 1950 die Kreditkarte erfand, die – wie der Name schon sagt – nicht nur in Geschäften, sondern auch in vielen Restaurants akzeptiert wurde, erfuhr die Entwicklung der kulinarischen Szene einen kräftigen Impuls. Immer effizientere Kühl- und Transportsysteme sowie die steigende Nachfrage nach Gerichten aus anderen Kulturkreisen trugen zur Belebung der Branche bei.

Damit wurden Restaurantbesuche auch für die Mittelschicht erschwinglich und in Folge zu einem beliebten Zeitvertreib. Ob zum romantischen Date in Little Italy oder zum Sehen und Gesehen-Werden in Robert DeNiros japanischem Lokal in Tribeca: Wie die Restaurants in Paris, wurden nun auch jene in New York zum gesellschaftlichen Parkett persönlicher Selbstdarstellung. Inneneinrichtung und Dekor spielten dabei eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie das Essen.

Zahlreiche Filmemacher entdeckten die Repräsentationsmöglichkeiten von Restaurants, die nun immer öfter als Kulissen dienten. In "Broadway Danny Rose" etwa setzte Woody Allen seinem Lieblingsrestaurant "Carnegie Delicatessen" ein filmisches Denkmal, und auch das Damenquartett von "Sex and the City" trifft sich mit Vorliebe in Designerlokalen.

Gastronomie und Prestige

In Wien haben Gasthäuser und Wirtsstuben zwar eine lange Tradition, das Konzept, gehobene Gastronomie mit einem entsprechenden Ambiente zu verknüpfen, ist für den heimischen Gast jedoch verhältnismäßig neu. Erst in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stiegen Restaurants unter der Leitung von Köchen wie Werner Matt, Rudolf Kellner oder Heinz Reitbauer zu Institutionen von gesellschaftlichem Rang auf. Die " Rôtisserie Prinz Eugen", der "Altwienerhof" und das "Steirereck" verschrieben sich einer "Neuen" Wiener Küche nach französischem Vorbild und bedienten nicht nur die Mägen, sondern auch das soziale Prestige ihrer Kunden. Ein Restaurantbesuch verspricht eben nicht nur kulina rische Genüsse und Unterhaltung, sondern auch Ansehen, Autorität und ein erhöhtes Selbstwertgefühl.

Stattete man in Wien Speisesäle viele Jahre hindurch völlig selbstverständlich mit traditionellem Mobiliar und Dekor aus, so erwacht in den letzten Jahren die Lust am Mahl in zeitgemäßen Designerstühlen zwischen knalligen Kunststoffpaneelen und Nurglas-Wänden. "Restaurants sind Bühnen, Orte kulinarischer, künstlerischer und gesellschaftlicher Inszenierung" , meint Heinz Reitbauer jun., mittlerweile Chefkoch und Besitzer des "Steirereck". Um diese Idee räumlich perfekt umzusetzen, nützte der Jungunternehmer kürzlich die Gunst der Stunde und mietete sich in der Meierei im Wiener Stadtpark ein.

Das einst legendäre Lokal im dritten Wiener Gemeindebezirk übersiedelte somit an den Wienfluss, wo Reitbauer der Wiener Leidenschaft, sich opulent in Szene zu setzen, ein kulinarisches Podium errichtete. Überdimensionale Muranoluster, dunkelrote Bezüge, goldfarbene Möbel und aufwändig drapierte Vorhänge erwecken bewusst Assoziationen zu (Burg-)Theater und (Staats-)Oper. Alles glänzt und glitzert – und das auf drei Etagen.

Mit dem neuen "Steirereck" eröffnete ein zeitgemäß gestaltetes Haubenlokal – quasi ein Stück New York mitten in Wien, das auf seine Art dennoch sehr wienerisch ist. So entstand im Untergeschoß des alten Gebäudes eine Käse- und Milchbar, die – wie das Haus – den Namen Meierei trägt, eine Anleihe an die frühere Funktion des Gebäudes als städtische Vertriebsstelle für Milch und Molkereiprodukte. In einem klinisch weißen Raum entlang der Wienflusspromenade werden rund 150 Käsesorten zu erlesenen Rotweinen serviert. Der Fußboden ist handbemalt, hinter der Bar leuchten säuberlich arrangierte Milchflaschen in hellgrünem und rosarotem Licht. Detailaufnahmen verschiedener Käsesorten wirken auf den ersten Blick wie Wandverkleidungen aus Marmor. Reitbauer meistert die Gratwanderung zwischen schickem Designerlokal und Nobelrestaurant, zwischen großstädtischem Flair und volkstümlichem Stadtpark auf eindrucksvolle Weise.

Ein ähnliches Konzept verfolgt Heinz Hanner in seinem gleichnamigen Hotel-Restaurant in Mayerling. Der Starkoch recherchierte über drei Jahre lang in aller Welt, um seine Vorstellung eines perfekten kulinarischen Gesamtkunstwerkes in die Tat umzusetzen. Reisen nach Paris, Barcelona und New York inspirierten ihn dabei ebenso wie ein ausführliches Studium der sogenannten Eat Art . Hanners Ziel war die Schaffung einer österreichweit einzigartigen, hochwertigen Erlebnis-Gastronomie, bei der vom Teelöffel bis zum Bodenbelag, vom Käse bis zum Lippenstift der Kellnerin nichts dem Zufall überlassen bleibt.

Das junge Architektenteam PlanNet, das den kürzlich eröffneten Um- und Zubau gestaltete, schuf die perfekte Hülle für den Gastro-Event im Wienerwald. In dem Ausflugslokal wird das Naturerlebnis groß geschrieben. Hinter raumhohen Glasscheiben liegt den Gästen ein Wienerwald-Panorama zu Füßen. Im Inneren korrespondiert die minimalistisch-elegante Einrichtung mit den betont puristischen Gerichten des Heinz Hanner. Wie die Zutaten der 3-Hauben-Küche, so stehen auch sämtliche Materialien des Restaurants in direktem Zusammenhang mit der Umgebung. Für die Innenraumgestaltung wählten PlanNet ausschließlich im Wienerwald heimische Hölzer. Neben Buche, Eiche und Nuss bilden Natursteinböden und natürlich Glas den Rahmen für das kulinarische High-Class-Erlebnis.

"running breakfast"

In Kooperation mit der Galeristin Andrea Jünger dient das Restaurant auch als Ausstellungsraum für moderne Kunstwerke – von Hermann Nitsch bis Jakob Gasteiger. Ein spezielles Erlebnis bietet auch das Frühstück: In Anlehnung an die "running sushi-bars" serviert Hanner ein "running breakfast", bei dem Eier, Toasts und Omeletts auf einem Förderband an den Gästen vorbeifahren.

So kurios diese Ideen manchen Gästen auch erscheinen mögen, ein Grundgedanke des Restaurantkonzepts war schließlich von jeher, dem Gast mehr zu bieten als bloß gutes Essen. Perfektioniert wurde das Konzept des einheitlichen Designs von Essen, Logo, Servicepersonal, Möbel, Farben und Architektur vor allem von Fast-Food-Lokalen in den USA. 1920 wurde in den Vereinigten Staaten das "White Castle" eröffnet, das erste Speiselokal, das mit einem speziellen Design warb. 1926 folgte der "White Tower" vom selben Gastronomen, ehe 1955 die erste Filiale von McDonald’s eröffnete. Die Besitzer und Geschäftsführer der Hamburger-Ketten trugen nicht unwesentlich zur Entwicklung jener Designkonzepte bei, die seit einigen Jahren – in adaptierter Form – nun auch in der gehobenen Gastronomie zum Einsatz kommen.

Martin Hablesreiter , geboren 1974, lebt als Architekt, Designer und Autor in Wien. Jüngste Publikation (gemeinsam mit Sonja Stummerer): "Food Design", Springer Verlag, 2005.

Freitag, 19. August 2005

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