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Ein Geschmack – besser als Sex?

"Umami" heißt die fünfte Geschmacksrichtung, die Asiaten vertrauter ist als Europäern
Japanische Gerichte, die alle die Geschmacksrichtung Umami – also Glutamat – enthalten, wie etwa hier das Tofugericht Dengaku . . . Fotos: Arnold

Japanische Gerichte, die alle die Geschmacksrichtung Umami – also Glutamat – enthalten, wie etwa hier das Tofugericht Dengaku . . . Fotos: Arnold

 Die Suppe Miso nikomi udon wird in der Gegend von Nagoya besonders geschätzt.

Die Suppe Miso nikomi udon wird in der Gegend von Nagoya besonders geschätzt.

 . . .  oder Hitsumaboshi in der Holzschüssel, in die Reis und Aal geschichtet  werden.

. . . oder Hitsumaboshi in der Holzschüssel, in die Reis und Aal geschichtet werden.

Von Martin Arnold

Tomaten, überbacken mit Parmesankäse, geräucherter Schinken oder in Butter gebratene Champignons – wer liebt diese würzigen Speisen nicht? Doch warum? Die Antwort heißt: Umami. Sie kommt von Kikunae Ikeda, einem japanischen Professor, der 1908 in Tokio eine Seetangbrühe schlürfte und sich fragte, was sie denn so wohlschmeckend mache. Dashi heißt die Bouillon der Japaner. Sie wird verschiedenen Speisen beigegeben. Doch "umami" ist noch weit mehr: Der Begriff umschreibt generell eine wohlschmeckende Speise. Es gibt viele Vorschläge, wie er zu übersetzen wäre: sie reichen von "pikant" über "süßlich-salziger Geschmack von eiweißreicher Nahrung" bis zu – "besser als Sex".

Beißend wie Knoblauch

Nach Forschungsarbeiten des deutschen Psychologen Hans Hening zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging man in der westlichen Welt davon aus, dass es vier Geschmacksrichtungen gibt: süß, sauer, salzig und bitter. Die chinesische Küche kannte aber schon lange eine weitere: Als "xian" oder "xiang" bezeichnet, beschrieben sie diesen Geschmack als beißend und kräftig wie Knoblauch oder Frühlingszwiebeln und herzhaft wie Fleischbrühe. Den Xian-Geschmack erreichte man mit einem Spritzer Sojasauce. In Japan heißt diese Geschmacksrichtung "umami". Professor Kikuanae Ikeda bezeichnete sie chemisch korrekt als Monosodium-Glutamat. Glutaminsäure ist eine Aminosäure und damit ein Grundbestandteil von Eiweiß. In besonders großer Menge kommt Glutaminsäure im Sojaeiweiß vor, aber auch in Milch- und Weizeneiweiß. Das Salz der Glutaminsäure machte der Umami-Forscher Ikeda zum ersten synthetischen Geschmacksverstärker. Er verkaufte ihn an das Unternehmen Ajinomoto, das bereits ein Jahr später mit der Produktion begann.

Was Ikeda von Anfang an behauptete, ist inzwischen wissenschaftlich bewiesen: Neben süß und salzig, bitter und sauer ist umami der fünfte Geschmack, für den bestimmte Rezeptoren empfänglich sind. Manche mögen in dieser Auflistung die Geschmacksrichtung scharf vermissen, doch Schärfe spricht direkt jene Nervenzellen an, die auch das Signal für Schmerzen ins Hirn leiten. Auch das Signal für metallischen Geschmack wird auf gleichem Wege übertragen. Uns ist das Zusammenspiel von Riechen und Schmecken intuitiv vertraut, naturwissenschaftlich ist es jedoch noch kaum erschlossen.

Im Großraumbüro der Firma Ajinomoto an der belebten Kyobashi Straße in Tokio versucht uns die Biologin Komiko Ninomiya Umami zu erklären. "Es ist für Europäer schwer zu verstehen, dass es einen fünften Geschmack gibt. Das liegt vermutlich daran, dass in vielen europäischen Speisen natürliches Umami steckt, etwa in geräuchertem Schinken, reifen Tomaten oder gut gelagertem Parmesankäse. Natürliches Umami entsteht in der Endphase der Reifung" , erklärt die Verantwortliche für Wissenschaft und Öffentlichkeitsarbeit. "Ein Fisch ist beispielsweise einen Tag nach dem Fang schmackhafter, als wenn er sofort gegessen wird. Beim Abbauprozess entsteht Umami. Mit anderen Worten: es wird Glutamat gebildet, eine Aminosäure, die den Geschmack transportiert. " Mit Reis, dem mit Abstand wichtigsten Nahrungsmittel der Asiaten, hat diese Küche sozusagen von Natur aus ein Umami-Defizit. "Reis besitzt fast kein Umami, und deshalb haben unsere Küchen kontrastreiche Zutaten mit viel Umami entwickelt" , erklärt Komiko Ninomiya. Damit stellten die asiatischen Frauen instinktiv ein Gleichgewicht des Geschmackes her, dem Professor Ikeda auf die Spur kam. Eigentlich war es ja der deutsche Wissenschaftler Karl Ritt-hausen, der das Glutamat identifizierte, doch erst der Japaner stellte die Verbindung zum Geschmacks-empfinden her.

In Kioto trafen sich im Juli dieses Jahres Spitzenköche und Wissenschaftler und diskutierten über das neue Gebiet Molekulargastronomie. Diese Richtung beschäftigt sich mit biochemischen und physikalisch-chemischen Prozessen bei der Zubereitung und dem Genuss von Speisen, aber auch mit der Genussfähigkeit beim Essen.

Vor allem ältere Menschen beklagen sich oft, das Essen schmecke ihnen nicht mehr. Das liegt aber nicht an den Geschmacksrezeptoren auf der Zunge. Diese Menschen haben die Sensibilität für den Geruch verloren – und dafür ist die Nase zuständig. Für die Forschung über die Geruchsrezeptoren der Nase haben die amerikanischen Wissenschaftler Linda Buck und Richard Axel den diesjährigen Nobelpreis für Medizin erhalten. Wer sich je während des Essens die Nase zugehalten hat, kennt die Irritation darüber, wie langweilig die Speise plötzlich schmeckt.

Es ist eine Mischung aus Reizen, Geruch, Geschmack, Beschaffenheit und Temperatur, welche die Qualität eines Essens ausmachen. Darüber hinaus spielen weitere Faktoren eine Rolle: die Farbe des Essens, die Präsentation und auch der Umgebungslärm. Das Empfinden ist individuell, denn es hängt auch vom Wohlbefinden des jeweiligen Essers ab, von seiner Gesundheit, der sozialen Situation und dem kulturellen Hintergrund.

Auf Umami geeicht

Von diesen vielen Faktoren abgesehen, gehört Umami zu den Grundelementen, die ein Essen schmackhaft machen. Es ist, wie erwähnt, im japanischen Dashi, in der Fischsauce der südostasiatischen Küche und in unserer Bouillon zu finden. Fest steht, dass Menschen auf Umami "geeicht" werden. Schon in der Muttermilch ist es reichlich vorhanden.

Zurück zur Frage, was wir genau schmecken, wenn wir umami schmecken. Biochemiker sagen, es sei eine Art "Fleischrezeptor", der angesprochen werde. Bei einem Workshop wurden einer Gruppe von Journalisten verschiedene Hühnersuppen zur Verköstigung gegeben. Drei Viertel von ihnen bevorzugten die Glutamatsuppe. Sie wurde als "vollmundiger" und "hühnersuppiger" bezeichnet, aber niemand brachte den Geschmack mit "Umami" in Verbindung.

Geschmacksrichtungen haben auch eine kulturelle Bedeutung – als Metapher für Gemütsregungen. Man kann erbittert oder sauer sein, oder "ach wie süß!" ausrufen. Könnte es sein, dass man eines Tages auch etwas "umami" findet?

Während Umami im Westen erst seit kurzer Zeit für eine Geschmacksrichtung steht, wird es in Japan schon seit rund 1.500 Jahren geschätzt. Mit dem Ausdruck wird die perfekte Ausgewogenheit für Speisen im Zenit ihrer Reife und Güte beschrieben. Viele Speisen enthalten Umami, aber es braucht Erfahrung und Kenntnis, es wahrzunehmen.

Früher gewann Ajinomoto sein Glutamat aus Weizen. Doch wegen häufiger Weizenallergien ist der Rohstoff für die Herstellung von Monosodium-Glutamat nun meist Zucker. Bei der Herstellung wird die Melasse vom Zuckerrohr getrennt. Der dicke, dunkle Sirup wird daraufhin fermentiert, also vergoren. Er bildet die Energiequelle für die Bakterien, welche die Melasse in Glutaminsäure verwandeln. Der Vorgang ist gleich wie bei der Herstellung von Bier oder Essig. Während der Erwärmung bilden sich Kristalle, welche schließlich abgefüllt werden.

30 Geschmacksrichtungen

Als Rohstoff für die Glutamatherstellung dienen auch Mais, Zuckerrüben oder Reis. Es gibt heute 30 bekannte verschiedene Geschmacksrichtungen, die umami ausmachen. Neben dem Glutamat sind auch Inosinate und Guanylate von Bedeutung. Natürliches Inosinate ist reichlich in getrockneten Sardinen, in Blaufischflocken, die in der japanischen Küche verbreitet sind, in Makrelen, aber auch in geringer Menge im Fleisch vorhanden.

Guanylate findet man in Shitake-Pulver, aber auch in Trüffeln und Fleisch. Auch sie werden vor allem aus Zucker gewonnen. Für die Gärung werden aber andere Bakterien verwendet. In dem, was Ajinomoto als Streuwürze in den Handel bringt, ist zu über 90 Prozent Glutamat, zu 8 Prozent sind Inosinate und etwa zu 2 Prozent Guanylate enthalten.

Die industriellen Abnehmer können sich die Zusammenstellung aber aussuchen. Sie verwenden Glutaminsäure in den verschiedensten Nahrungsmitteln, vor allem in Fertiggerichten, Tiefkühlprodukten, Konserven, Suppen, Brühwürfeln und Fertigwürzmischungen – gekennzeichnet sind sie als E 620 bis E 625. Glutamat wird vom nüchternen Magen schlecht abgebaut. Aus diesem Grund wird in China die glutamatreiche Wantang-Suppe erst zum Schluss des Essens gereicht.

Glutamat war weltweit der erste industriell hergestellte Geschmacksverstärker. Ajinomoto besitzt heute 105 Niederlassungen in 23 Ländern, darunter auch in der Schweiz und Deutschland. Doch das Zentrum des Verkaufs der jährlich 1,5 Millionen Tonnen Glutamat ist der Ferne Osten. Während asiatische Hausfrauen die Produkte von Ajinomoto als weiße Kristalle unters Essen mischen, wird es bei uns Fertigprodukten beigemischt oder ist Bestandteil von Streuwürze – mit dem Motto: "Aromat macht das Essen delikat."

Martin Arnold , geboren 1961, ist Mitbegründer des "Pressebüros Seegrund" und lebt als Journalist in St. Gallen.

Freitag, 19. August 2005

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