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Versorgungsstation en miniature

Der Kiosk -ein Element des Großstadtlebens mit langer Tradition
Von Barbara Schleicher (Text und Fotos)

Kiosk, Kiosko, Kioski, Kiosque, Chiosco - so klingt es von Skandinavien bis zum Balkan und in den Mittelmeerländern. Platziert an belebten Straßen und Plätzen, erfüllen die Mini-Einkaufsstätten Wünsche aller Art. Hier kann die tägliche Morgenzeitung und Zigarettenration sowie die Burenwurst mit Mineralwasser - unabhängig von den üblichen Ladenöffnungszeiten - erstanden werden. Der Kiosk ist aus unserer Lebenswelt nicht mehr wegzudenken, selbst wenn er im scheinbar unbedeutenden Alltäglichen verschwindet. Klein und bescheiden sieht er aus, doch seine Geschichte ist reich an historischen, architektonischen und sozialen Facetten.

In Europa breitete sich das Verkaufshäuschen erst im 19. Jahrhundert aus. Woher kommt es ursprünglich? Die Spurensuche führt bis ins alte Ägypten, wo zur Huldigung von Göttern und Pharaonen so genannte "kjosk" in den Tempelanlagen errichtet wurden. Dabei handelte es sich zumeist um reich bemalte Holzgehäuse oder um kunstvolle Steinsäulen mit farbenfrohen Baldachinen.

Osmanisches Lusthäuschen

Der Durchmischung der Völker ist es zu verdanken, dass Jahrhunderte später der Kiosk bei den osmanischen Herrschern in Mode kam. Errichtet in den weitläufigen Palast- und Parkanlagen, nutzten ihn Sultane und Hofstaat bei offiziellen Empfängen - oder privat als Gartenpavillon oder Lusthäuschen. Die Kiosk-Architektur war damals rund, polygonal und rechteckig. Viele der einstöckigen Gebäude verfügten nur über einen Raum; andere zweistöckige Bauten waren mit mehreren Räumen, Säulenvorhallen und/oder Arkaden ausgestattet. Prachtvoll waren auch die "köshk-Zelte", die eigens für Paraden und Beschneidungsfeste angefertigt wurden. Wertvolle Einzelheiten berichtete der Weltreisende Ibn Battuta im 14. Jahrhundert von seiner Audienz beim Sultan von Turkestan: "Ich fand ihn in einem Zelt auf seinem Throne sitzend, der mit goldbestickter Seide belegt war. Das Zelt war mit goldfarbigem Seidentuch ausgeschlagen, und eine mit kostbaren Steinen und Juwelen besetzte Krone hing etwa eine Elle hoch über dem Kopf des Sultans." In jenen Tagen dienten Kioske den osmanischen Würdenträgern als Prestigeobjekte, gleich den Moscheen und Koranschulen. Mehr als 50 dieser kleinen Prachtgebäude ließ Sultan Mehmed IV. in seiner 40-jährigen Regentschaft allein in seiner Palastanlage errichten.

In dieser Zeit entstanden im öffentlichen Raum die ersten Brunnenhäuschen, die an vorbeieilende Passanten kostenlos Trinkwasser ausschenkten. Finanziert wurden sie durch die Herrscherfamilie, durch Würdenträger und Kaufleute, die damit dem Gesetz der "Scharia" folgten, das zur religiösen und sozialen Spende anhält. Die so genannten "sebils" waren künstlerisch anspruchsvoll gestaltet. Ihre architektonische Besonderheit waren bauchig geschwungene Fenstergitter und dekorative Flachreliefs. Der kleine Innenraum diente ausschließlich der Aufbewahrung von Wasservorräten und als Arbeitsplatz. Klein war auch die Fensteröffnung, durch die das erfrischende Nass gereicht wurde. Damit war die Geburtsstunde des modernen Straßenkiosks gekommen.

Sichtbare Zeichen des Kulturaustausches zwischen Orient und Okzident sind die englischen Landschaftsgärten des frühen 18. Jahrhunderts. Neue Gestaltungsprinzipien lassen der Natur in all ihrer Unregelmäßigkeit und Mannigfaltigkeit mehr Raum. Blickfang sind neuartige Staffagebauten wie osmanische Tempel und Moscheen, chinesische Teehäuser und romanische Ruinen, die an historische Vorbilder anknüpfen. "Unter der großen Zahl phantasievoller Gartenarchitektur jener Zeit befinden sich solche, die den türkischen Bauten sehr ähnlich sind, in den Plänen und Beschreibungen aber nicht als Kiosk, sondern als Pavillons, gelegentlich auch als Lustpavillon bezeichnet werden", erklärt die Kiosk-Historikerin Elisabeth Naumann. Dem englischen Vorbild folgend, ließen auch die Herrscher von Versailles, Sanssouci und Schönbrunn diese theatralisch-historische Kleinarchitektur in ihren Parkanlagen errichten. Besondere Berühmtheit erlangte der "Maurische Kiosk", der 1867 bei der Pariser Weltausstellung für Furore sorgte. Später gelangte das fabrikmäßig hergestellte Gartenhaus in den Besitz des Märchenkönigs Ludwig II., der es im Schlosspark Linderhof aufstellen ließ. Die deutsche Presse war begeistert: "Dies reizende architektonische Gedicht der altmaurischen Märchenpoesie übertrifft alle orientalischen Prachtgebäude des Parks an idealer Schönheit und sauberer Ausfertigung."

Am 18. Juni 1859 wurde der erste Verkaufskiosk in Berlin eröffnet. Frankfurt, Hamburg und Bremen folgten. Spektakulär war, dass der damals berühmte Architekt Martin Gropius diese "beweglichen Trinkhallen" entwarf. Zehn Jahre später erregten auf den neuen Pariser Boulevards die ersten Verkaufshäuschen mit der deutschen Aufschrift "Trinkhalle" die Aufmerksamkeit der Betrachter. Anfangs kam nur reines Quellwasser aus Tonkrügen und Kupferkesseln zum Verkauf, ab 1870 wurde das mit Kohlensäure angereicherte Mineralwasser in Flaschen angeboten. Da die Fabrikanten zugleich Inhaber der Trinkhallen waren, war die Rentabilität bei niedrigen Preisen vorerst gesichert.

Schrittweise wurden verschiedene Nahrungs- und Genussmittel in das Sortiment aufgenommen. Attraktivität und Umsatzsteigerungen kennzeichneten die Anfangsjahre des Straßenkiosks. Der Ausschank von Alkohol war bis Anfang der 1920er Jahre streng verboten, was das bestehende Vorurteil entkräftet, der Kiosk sei von Anfang an nichts anderes gewesen als ein Trinkertreffpunkt. Mit dem Verbot sollte der

in Arbeiterkreisen grassierenden Trunksucht Einhalt geboten werden. Ähnliche Interessen verfolgten die Fabrikherren, die auf ihren Werksgeländen kleine Trinkhallen errichten ließen, die ausschließlich Mineralwasser zum Selbstkostenkostenpreis verkauften oder gratis an die Belegschaft abgaben.

Der Zeitungskiosk

Dem Aufkommen der Massenpresse folgte die Gründungswelle von Zeitungskiosken. In der theatralischen Miniarchitektur verbanden sich neo-barocke, neo-klassizistische, maurische, orientalische, chinesische und zeitgenössische Stilelemente. Weithin sichtbar waren die ausladenden, geschwungenen Linien des Daches. Ein zeitgenössischer Kunsthistoriker schrieb: "Der Unterteil sockelartig aus roten, irisierenden Fliesen. Der eigentliche Körper aus Eisen. Oben, unter dem Dach, eine breite Zone, die für Plakate gedacht ist. Das ganze in seiner farbigen Wirkung interessant, in der Form vorzüglich."

Die 20er Jahre setzten auf Neue Sachlichkeit. Befreit vom Schnörkel der Jahrhundertwende, entstand eine Kioskarchitektur, in der die Funktionalität zum obersten Prinzip erhoben wurde. Das Geschäft mit Tageszeitungen, Boulevardblättern, Illustrierten, Modezeitschriften usw. blühte. Knapp zehn Jahre später schalteten die braunen Machthaber die Medien gleich. Schlechte Zeiten brachen an - auch für (Zeitungs-) Kioske.

Nur wenige Miniaturhäuschen überstanden den Krieg, und von den übrig Gebliebenen landeten die meisten während des eiskalten Winters 1946/47 als Brennholz im Ofen. Die Währungsreform brachte den Straßenhandel wieder in Schwung. Zusammengezimmerte Bretterbuden boten echten Bohnenkaffee, Schlagobers, Erfrischungen und amerikanische Zigaretten feil. Andere haben sich auf Filmentwicklung, Kleiderverkauf oder das Anzeigengeschäft spezialisiert. Elisabeth Naumann schreibt: "Es hat den Anschein, als seien die unscheinbaren Buden - neben den kleinen Läden - die ersten gewesen, die einen Neuanfang signalisierten. Kein anderer Ort war offenbar so gut geeignet für die typischen Handelsgeschäfte jener Zeit, wie geschaffen auch zum Improvisieren." Aufgrund dieser existenziellen Versorgungsfunktion unterstützen die Stadtverwaltungen den "Budenhandel." Erst Anfang der 50er Jahre kommt der Zeitungsverkauf hinzu, was auf die bis dahin eingeschränkte Medien-Verordnung der Alliierten zurückzuführen ist.

Erfrischungen und Imbisse

In der heutigen Kiosklandschaft gibt es fünf Haupttypen, die entweder Printmedien, Erfrischungen, Tabakwaren, Imbisswaren oder Obst, Gemüse und Blumen anbieten. Während diese im Bahnhofsbereich gleichermaßen vertreten sind, dominieren im Stadtgebiet die Imbisskioske. Burenwurst, Döner-Kebap, Pizzaschnitte, Langos - knusprig braun, heiß, scharf oder mild? Kunden aller gesellschaftlichen Schichten schätzen die kulinarischen Genüsse der Imbissbude - obwohl es sich um standardisierte Schnellgerichte handelt. Auf Schnelligkeit sind auch Bestellung, Bewirtung und Verzehr ausgerichtet. "Gegessen wird, entgegen anders lautender Vorurteile, gesittet", haben die Feldforschungen der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Naumann ergeben. Die Geschlechter unterscheiden sich deutlich voneinander: "Männer stehen demonstrativ lässig an den Bierfasstischen und stützen die Ellbogen auf. Frauen bewahren eher Haltung und lassen sich viel häufiger etwas zum Mitnehmen einpacken. Geredet wird wenig. Nach maximal sieben Minuten ist man sowieso wieder weg." Selbst Politiker aller Couleur suchen zu Wahlkampfzeiten gerne einen Wiener Würstlstand auf. Neben den kulinarischen Genüssen spielt das Erscheinungsbild der Versorgungsstation eine maßgebliche Rolle. Ein prüfender Blick auf Umgebung, Kücheneinrichtung, Wandverkleidung, Theke, Ausgabefenster und auf den Grill entscheidet, ob ein Passant stehen bleibt - oder ob es Ärger mit der "Lebensmittelpolizei" gibt.

Historische Kioske erfreuen sich bei Touristen als Fotomotiv wachsender Beliebtheit. Darunter fallen Prachtstücke wie die Nachbildungen alter Brunnenhäuschen, klassischer Bäderpavillons oder Rundtempelchen, die meist originalgetreu restauriert worden sind. Anders als diese "Schmuckstücke der City" bezeichnen Fachleute den modernen Bautypen als "decorated shed" (dekorierter Schuppen, Stall). Kastenförmig ist die Grundstruktur, doch springen gravierende Unterschiede zwischen dem hölzernen Blockhaus, dem stabilen Metallcontainer, dem achteckigen Glasmodell usw. ins Auge. Die Popularität des Kiosk ist ungebrochen. Wie ein vertrauter Fixpunkt erstrahlt er in der Hektik der Großstadt. Er liegt auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, nach Hause. Je nach individueller Bedürfnislage bleiben Passanten stehen, bestellen, bezahlen und gehen - oder lassen ihn links liegen. Für die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Naumann jedenfalls ist und bleibt der Kiosk "eine facettenreiche Alltagserscheinung, ein wirklich bemerkenswerter, ein merk-würdiger Ort, - er ist es wert, bemerkt zu werden."

Elisabeth Naumann: Kiosk. Entdeckungen an einem alltäglichen Ort. Jonas Verlag, Marburg, 240 Seiten.

Freitag, 03. Dezember 2004

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