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Energiespeicher und Dickmacher

Lebensnotwendig, aber unpopulär: das Fett
Von Ingeborg Hirsch

Amerika kann einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen, nicht nur mit seiner Nahostpolitik oder mit seiner Einstellung zu Klimaschutzbündnis und Internationalem Strafgerichtshof, sondern in ganz banalen Dingen des Alltags. Zum Beispiel, wenn man in New York ein dickes, cremiges Joghurt mit Kaffeegeschmack und mindestens 10% Fettanteil kaufen möchte. Das ist so gut wie unmöglich und löst auf Nachfrage beim Verkaufspersonal Reaktionen zwischen Unverständnis und Abscheu aus. Die Sichtung des Kühlvitrineninhaltes ergibt nur Altbekanntes: Joghurt mit 0,5% Fett, Joghurt mit 0,05% Fett, Joghurt mit 0,0% Fett und die fettfreie Frühstücksmilch, die im Glas so schöne hellblaue Reflexe zeigt.

Kein Wunder, wenn man dann, um das bohrende Gefühl der Unzufriedenheit in Magen und Psyche zu besänftigen, in einem Lokal landet und sich richtig vollstopft. Vielleicht endet man sogar bei der Fastfoodkette, gegen die zur Zeit in den USA eine Klage angestrengt wird, weil sie ihren Konsumenten vorgaukelt, gesundes Essen zu servieren, und sie anstelle dessen heimtückisch verfetten lässt. Über Amerikas äußere Feinde mag man geteilter Meinung sein, der gemeinsame innere Feind ist klar definiert: Fett in allen Lebenslagen. Kein anderes Land beschreibt den Inhalt seiner Lebensmittel so gewissenhaft, nicht einmal Mineralwasser kommt um die Angabe des Fettgehaltes herum. Die Fettphobie hält Amerika fest in ihren Klauen, Fett - diese amorphe unappetittliche Masse, die sich um den Bauch ringelt, die Hüften großflächig besiedelt und an den Oberschenkeln parasitiert, wird mit Disziplinlosigkeit, Faulheit und mangelndem Gesundheitsbewusstsein gleichgesetzt. Der Vertrieb von fettfreien und leichten Produkten boomt - inzwischen sind es rund 15.000 einschlägige Artikel, die angeboten werden.

Die USA sind auch die Heimat von Olestra, einem synthetischen Lebensmittelfett, das - wenn man auf Fett halt doch nicht verzichten kann - nicht verdaut und mit einigen Nebenwirkungen wieder ausgeschieden wird. (Siehe dazu auch Artikel auf Seite 5) Gleichzeitig gibt es in diesem Land so viele übergewichtige Menschen, dass man vom "Amerikanischen Paradoxon" spricht. Hochrechnungen gehen davon aus, dass gerade in den niedrigeren sozialen Schichten mehr als zwei Drittel der Bevölkerung an Fettsucht leiden. Vor allem Frauen aus diesem Milieu fühlen sich mit ihrem Übergewicht wohl, empfinden es als Schutzschicht gegen das raue Umfeld, in dem sie sich bewegen müssen, und wollen gar nicht abnehmen. Auf den höheren sozialen Schichten lastet mehr Druck, um dem Idealbild des schlanken Menschen zu entsprechen - da wird auf Fett komm raus geturnt, gehungert und abgesaugt. Das ist die Zielgruppe, die sich die zusätzlichen Kosten auch leisten kann. Fettvermeidung ist zum obersten Credo geworden, oder mit den Worten einer gertenschlanken Amerikanerin: "Ich kann nicht sagen, wie Fett schmeckt, ich habe mir abgewöhnt, es zu mögen."

Doch der ausschließliche Fokus auf die negativen Effekte des Fettes dürfte seinen Teil zur "Übergewichtsepidemie" beigetragen haben. Das Angebot an vielen fettarmen Lebensmitteln wird inzwischen von einigen Experten als Ursache für Fettsucht und Diabetes Typ II angesehen, denn gerade bei kalorienreduzierten Produkten besteht die Tendenz, einfach mehr davon zu essen. Und auch dem Zusammenhang von fettreicher Ernährung und dem Ansteigen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen mehrere Studien gegenüber, die genau das Gegenteil behaupten oder sich zumindest die Frage stellen, warum manche Bevölkerungsgruppen bei fetter Kost ein geringes Herzinfarktrisiko haben.

Was wäre die Welt ohne Fett?

Fett erfüllt in einigen Lebensbereichen wichtige Funktionen und hat damit auch seine Daseinsberechtigung. In einer anarchischen Welt ohne Fett könnten Fische nicht mehr richtig schwimmen und Säugetiere ihre Sexualpartner nicht mehr finden. Enten würden bis auf die Haut nass und Bären müssten den Winterschlaf absagen. Küssen würde ohne die aus Fett bestehenden Lippen nur noch halb so viel Spaß machen, Finger- und Zehenspitzen sich knochig anfühlen. Die Augäpfel kullerten unkontrolliert in ihren Höhlen herum, lagern doch auch sie in einer dichten Schicht aus "Baufett". Babies könnten ohne den Bichertschen Fettpfropf in den Wangen nicht trinken und wären auch nicht so nett pausbäckig. Mit abgespeckter Ferse würde sich der Gang des Menschen beträchtlich verändern. Beim Laufen oder schnellen Gehen wird dieser Fettpolster um ein Drittel komprimiert und ein Teil der aufgenommenen Energie in Wärme umgewandelt - auch ein Grund, warum Gehen warme Füße macht. Das Gehirn besteht zu rund 60% aus Lipiden - und kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, hier abzuspecken.

Evolutionär gesehen ist Fett eine geniale Erfindung, ob als Baumaterial und Schutz vor mechanischen Belastungen, als Isolation gegen Hitze und Kälte, als Transportmittel für fettlösliche Stoffe oder als idealer Energiespeicher für Hungerzeiten. Viele Winterschlaf haltende Tiere fressen sich einen Vorratsspeck an und überstehen die kalte Jahreszeit ohne Nahrungsaufnahme. Im Frühjahr tauchen sie etwas schlanker, aber ohne Muskelabbau und den beim Menschen so üblichen Nebenwirkungen des Fastens wie Kälte und Unbehagen wieder auf. Woraus man zumindest schließen kann, dass der Mensch nicht dazu geeignet ist, einen Winterschlaf zu halten - selbst wenn das einige energische Gegenstimmen einfordern. Auch der Mensch kann gut Fett anlagern, und wahrscheinlich wurde er im Laufe der Evolution dahingehend selektioniert, um nahrungstechnische Durststrecken mit eigenen Reserven überdauern zu können. Bei der Besiedelung Polynesiens dürfte diese Fähigkeit eine große Rolle gespielt haben, denn nur besonders gute "Energiespeicherer" konnten die langen Reisen zwischen den Inseln überstehen. Das könnte eine Erklärung für den traditionell hohen Anteil an dicken Polynesiern sein - die Übernahme von westlichen Lebensgewohnheiten hat ihnen noch zusätzliches Gewicht beschert.

Während Fett in einem Lebensraum mit schwankenden Ressourcen ein idealer Energiespeicher ist, überfordert es Menschen (und auch Haustiere), die mit einem permanenten Nahrungsüberangebot konfrontiert sind. Da isst es sich eben leicht ein bisschen mehr, konkret auf den Österreicher umgelegt sind das rund 600 Kalorien pro Tag zu viel. Schon ein regelmäßiger Überkonsum von 1% schlägt sich pro Jahr mit einem Kilo Übergewicht nieder, das in Form von Lipiden in den Fettzellen gespeichert wird. Diese Adipozyten sind kugelig und in ihrer Größe (je nach eingelagertem Lipidtropfen) sehr variabel. Ihre Farbe kann abhängig von der Ernährung zwischen weiß, tiefgelb und hellrosa schwanken. Das Fettgewebe ist gut ans Wachsen und Schrumpfen angepasst, wobei sich die Anzahl der Adipozyten nicht ändert, sondern nur ihr Volumen; erst wenn das reine Fettgewicht eines Menschen mehr als ca. 30 kg überschreitet, werden aus Vorstufen neue Fettzellen gebildet.

Der Leptinspiegel

Ein wichtiger Regulator für die Fetteinlagerung ist das Protein Leptin, das zwischen Fettgewebe und dem Hypothalamus, der unser Essverhalten kontrolliert, vermittelt. Nach einem kräftigen Essen ist der Leptinspiegel hoch und die Bereitschaft, noch mehr Nahrung aufzunehmen, gering. Ein niedriger oder fehlender Leptinspiegel drängt zu hemmungslosem Essen - das ist eine Erklärung für die Heißhungerattacken während einer Diät. Hungern ohne Bewegung bringt zwar eine Fettreduktion, aber auch einen Abbau der Muskelmasse, da die Muskelproteine für die Energieproduktion herangezogen werden. Bei körperlichen Höchstleistungen wird auf die Glukosereserve zurückgegriffen, da die Fettmobilisierung zu langsam verläuft. Der ideale Stimulus für den Fettabbau ist langsame Bewegung in Kombination mit mäßiger Nahrungsaufnahme. Das klingt einfach und hat doch einen Haken: die lange propagierte kohlenhydratreiche Ernährung bewirkt einen Anstieg des Insulinspiegels und damit wieder einen Anreiz zur Fetteinlagerung.

Professor Sylvia Kirchengast vom Institut für Anthropologie der Universität Wien beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fettmessungen - oder, wie sie gleich korrigiert, mit Messungen der Körperzusammensetzung, wobei neben Fett auch Muskeln und Knochen bestimmt werden. Sie weist auf die zwei geschlechtstypischen Formen der Fettverteilung hin: Frauen lagern Fett bevorzugt an Oberschenkeln, Hüften und Gesäß ab; das wird als "Birnentyp" bezeichnet. Diese Silhouette ist ein gutes Zeichen für Fertilität und wird vom Gegenüber blitzschnell als typisch weiblich erkannt - schließlich ist der Mensch seit Jahrtausenden darauf trainiert, Informationen aus der Körperform abzuleiten. Nach der Menopause beginnen Frauen durch den absinkenden Östrogenspiegel Fett verstärkt im Oberbauch einzulagern und nähern sich damit dem männlichen "Apfeltyp" an, der ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Arteriosklerose und Diabetes mellitus mit sich bringt.

Wie positiv oder negativ eine typisch weibliche Figur bewertet wird, hängt mit der aktuellen Stellung der Frau in der Gesellschaft zusammen. In Zeiten extremer Konkurrenz zwischen Mann und Frau, wie etwa in den zwanziger Jahren oder während der sexuellen Revolution, wird die weibliche Idealfigur androgyner. Auch heute geht der Trend in diese Richtung.

Probleme mit dem Fett

Generell ist der Umgang mit Fett in Europa gelassener. Den in Ernährungsratgebern angepeilten 30%igen Anteil von Fett in der Nahrung überschreiten die Österreicher locker, und das Schnitzel rangiert noch immer unter den absoluten Lieblingsspeisen. Allerdings scheiden sich die Geister: Während die ältere Generation, die den Nahrungsmangel der Nachkriegszeit miterlebt hat, Schmalz eher positiv bewertet, ruft Fett bei jüngeren Leuten, die nie Nahrungsengpässe erfahren haben, eher Abscheu hervor. Dr. Kirchengast erzählt von den Problemen, Probanten für Fettmessungen zu finden; erst die Umbenennung in "Untersuchung des Ernährungsstatus" ließ die Zahl der Freiwilligen beträchtlich ansteigen.

Das Bild des gemütlichen Dicken hat längst ausgedient. Als man Kinder befragte, mit wem sie am liebsten spielen möchten, rutschten Dicke auf die letzten Plätze und wurden durchwegs als hinterhältig und negativ bewertet. In einer Studie der Kinderfreunde über die Ängste von Kindern rangiert das Dicksein im vorderen Feld.

Inzwischen rechnet man, dass bis zu 25% der österreichischen Kinder und Jugendlichen in den Bereich der Übergewichtigkeit fallen. Trotzdem sieht Dr. Kirchengast, die beide Kulturen kennt, die Situation in Österreich nicht so dramatisch wie in den USA. Fastfoodketten haben sich hierzulande nicht so stark durchgesetzt, und auch die Bewegungskultur ist eine andere. Während man in den USA und Kanada schon aufgrund der räumlichen Distanzen viele Wege mit dem Auto erledigt, lassen das europäische Stadtstrukturen und ihre Parkplatzbewirtschaftung gar nicht zu. Vielleicht ist das ein Anreiz, beim nächsten, mühsam und weit vom Ziel entfernt gefundenen Parkplatz kurz in Dankbarkeit für die Stadtverwaltung zu verharren.

Literatur: Caroline M. Pond: The Fats of Life. Cambridge University Press 1998.

Uffe Ravnskov, Udo Pollmer: Mythos Cholesterin. Die zehn größten Irrtümer. Hirzel Verlag 2002.

Freitag, 25. April 2003

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