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Lieber tot als genussunfähig

Frankreich -Der kulinarische Mittelpunkt der Welt?
Von Michael Amon

Gourmet und Gourmand: Zwei Wörter, die im deutschen Sprachraum nicht nur gerne verwechselt werden, sondern mit "Feinschmecker" und "Vielfraß" auch nur unzulänglich übersetzbar sind.

Auf der Seite der Gourmets finden wir etwa Alexandre Dumas den Älteren (siehe bitte auch obenstehenden Artikel - d. Red.). Gourmet ist Dumas schon deshalb, weil er etwa die Zubereitung eines Schweins auf trojanische Art verrät: ein Schwein, das mit allerlei Geflügel und einer einzigen Olive gefüllt wird, wobei der wahre Feinschmecker nach Fertigstellung des Bratens nur die köstliche Olive verspeist.

Wo anders als in Frankreich ist es denkbar, dass ein Philosoph und Schriftsteller der Romantik zum Namenspatron einer Speise wird: François René de Chateaubriand. Ein deutscher Sauerbraten "Chamisso" ist dagegen nur schwer vorstellbar (dabei kam der Mann aus der Champagne).

Der erste große Koch Frankreichs, Antonin Carême, Leibkoch von Tayllerand, setzte 1833 erstmals Tournedos à la Rossini auf die Speisekarte. Richard Wagner hat es nicht einmal zu einem kleinen Eintopfgericht gebracht.

In Frankreich wurde schließlich auch das moderne Restaurant erfunden. Dank der Arbeit der Guillotine war ein Großteil der französischen Adeligen entweder kopflos geworden oder kopflos geflohen. Zurück blieb ein riesiges Heer von arbeitslosen Köchen, die sich selbstständig machen mussten, um zu überleben. Die neu entstandene bürgerliche Oberschicht kam so in den Genuss der feinen Herr-schaftsküche, die dem Bürgertum bis dahin unbekannt war.

Der Schlachtruf von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" landete so alsbald in den Kochtöpfen der Grande Nation und wurde um den Schrei nach Genuss ergänzt. So kam es auch, dass nach dem Sturz der Jakobiner der vor der Terrorherrschaft geflüchtete Jean Anthelme Brillat-Savarin nach Frankreich zurückkehrte und mit seinem epochalen Werk "Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen" zum ersten Gastroautor avancierte.

Es kann also nicht weiter verwundern, dass es wiederum ein Franzose war, der auf die glorreiche Idee kam, die Wonnen des Genusses zum Motiv einer Parabel auf die alles verschlingende Gier der kapita-listischen Gesellschaft zu machen. Der französische Sozialist Paul Lafargue, der sich mit der Schrift "Lob der Faulheit" bereits bei seinem Schwiegervater Karl Marx unbeliebt gemacht hatte, schuf mit seiner Erzählung "Ein verkaufter Appetit" (in: Paul Lafargue - Essays zur Geschichte, Kultur und Politik, herausgegeben von Fritz Keller bei Dietz/Berlin) ein höchst originelles Gleichnis über die Beziehung zwischen Kapital und Arbeit. Dass der reiche Käufer der Verdauungswerkzeuge eines hungernden Mitmenschen in Lafargues Erzählung nicht in der Rolle des Gourmets sondern in der des Gourmands auftritt, ist da natürlich zwangsläufig.

Der Mann hatte eine Methode gefunden, zwar selbst Unmengen fressen zu können, die Verdauungsarbeit aber anderen zu überlassen. Dass diese aber - ange-sichts seiner Unersättlichkeit - beim Verdauen vor die Hunde gehen, ist dem Vielfraß egal. Lafargue selbst war übrigens das Musterbeispiel eines jeder Askese abholden Sozialisten.

Das ging soweit, dass er gemeinsam mit seiner Frau beschloss, dem Leben ein Ende zu setzen, "bevor mich das gnadenlose Alter schrittweise nach und nach der Freuden der Existenz beraubt". Bevor die beiden zur Tat schritten, wurden noch Gäste reich bewirtet. Lieber tot sein als genussunfähig.

Die Genussfreude der Franzosen wäre natürlich völlig unvollständig behandelt, würde man darauf verzichten, auf die hochentwickelte Weinkultur einzugehen. Natürlich kann jeder, der einmal durch Frankreich gereist ist, bestätigen, welch ungenießbare Getränke einem mitunter zu höchsten Preisen auf den Tisch gestellt werden. Im Burgund begegnen einem die grausamsten Gesöffe, während man sich - einen Weinberg vorher - noch im siebenten Himmel wähnte. In Bordeaux ist es nicht viel anders.

Doch die besten Weine dieser berühmten Regionen sind tatsächlich unüberbietbar. Da mögen die Amerikaner ihre kalifornischen Weine noch so schönen, holzen, chapitalisieren und was es sonst noch so an teuflischen Tricks der Weinmacher gibt - den größten Bordeaux-Weinen kommen sie nicht nahe, den besten Burgundern können sie nicht den Stoppel reichen. Würde Hemingway noch leben, er würde seine Enkeltochter nach wie vor "Margaux" nennen und niemals "Opus One", "Dominus" oder "Monte Bello" (um nur einige der berühmtesten Weine Kaliforniens zu nennen).

Über die diversen Australier, Neuseeländer usw. kann man ohnedies nur gerührt schweigen - dessen sind sich die Franzosen absolut sicher. Was sie jedoch traurig stimmt, ist die Tatsache, dass ausgerechnet ein vermutlich ahnungsloser Amerikaner heute darüber entscheidet, welche Preise sie für ihre Spitzengewächse erzielen. Robert Parker jr., der wichtigste weil einflussreichste Weinkritiker der Welt, hat mit seinem 100-Punkte-System nicht nur die Franzosen, sondern die gesamte Weinwelt das Fürchten gelernt.

Dabei kann dieser Parker unmöglich ein Genießer sein. Der Mann verkostet alljährlich eigenen Angaben zufolge 10.000 verschiedene Weine, bis zu 200 an einem Tag. Hier wird Genuss zur Arbeit. Kein Wunder, dass die französischen Winzer diesem Mann misstrauen (auch wenn sie es nicht laut sagen).

Für die Subtilität eines traditionell ausgebauten Bordeaux-Weines hätte Parker, wenn man den einschlägigen Kritikern des Kritikers trauen darf, kein Gespür, von der fragilen Schönheit der besten Burgunder hätte er keine Ahnung. Dass dieser impertinente Amerikaner österreichische Süßweine oft höher bewertet als einen Château d'Yquem irritiert die Franzosen nicht nur, es empört sie. Mit Recht.

Denn immerhin haben sie mehrere hundert Käsesorten, die das Land - einem bekannten Bonmot von de Gaulle zufolge - unregierbar machen.

Freitag, 27. September 2002

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