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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Miso, Sashimi und Bitterbohnen

Ein Ausflug in die gewöhnungsbedürftige Kulinarik Japans
Von Willy Puchner

Hätte Elly, meine Reisebegleiterin, sich nicht unermüdlich nach all den Namen der Speisen und kleinen Zutaten erkundigt, hätten wir viel gegessen, ohne die fremden Speisen mit ihrem Namen bezeichnen zu können. Als erstes lernten wir eine einfache Frage. Eine Kinderfrage. Vielleicht ist es auch die allererste Frage der Reisenden: Kore wa nan desu ka? Was ist das?

Ich erinnere mich noch an das plötzliche Erstaunen des jungen Koches, als er uns entlang des Frühstücksbuffets führte und Elly nichts anderes zu fragen hatte als: Kore wa nan desu ka? Ich notierte in mein kleines Notizbuch die Namen der sonderbarsten Dinge: umeboshi, rote Weichsel, nori, Algen, natto, Bitterbohnen und so weiter. "And that", und dabei deutete der Koch auf eine kleine Schüssel mit vielen bunten Gewürzen, "is the famous shichimi tougarashi! We use this for soba. That's very spice!"

Als Elly auf grüne längliche Spalten zeigte, hielt der junge Koch inne. Immer auf den Teller starrend, wiederholte er nun zu sich selbst: Kore wa nan desu ka? Es war ihm peinlich, dass ihm der Name der Speise nicht einfiel. "Suimasen!", sagte er und dann noch einmal "Suimasen" - ein Wort, das immerzu im höflichen Japan als Entschuldigung ausgesprochen wird. "Suimasen! But I don't know!" Er nahm ein kleines Stück in die Hand und verschwand hinter dem Buffettisch, sodass nur noch seine Kochmütze zu sehen war. Er nahm noch eines und aß sie alle. Nachdem er sich wieder aufrichtete, sagte er leise. "Suimasen. I don't know!" Und nach einer Pause: "Suimasen." Er griff zum Telefon und wenige Minuten später kam ein weiterer Koch mit einer noch größeren Kochmütze und einem englisch-japanischen Nachschlagewerk. Das gesuchte Wort stand auf der letzten Seite des Wörterbuches: "Zucchini. Suimasen, that is from the Greek dinner from yesterday!" Zucchinispalten, sagten wir erstaunt und wendeten uns dem Frühstück zu.

Das vollständige japanische Frühstück konnten wir erst nach einigen Wochen essen, denn es besteht aus gebratenem Fisch, heißer Suppe, Tofu, getrockneten Algen, rohen Lachseiern, eingelegten dunkelroten Weichseln, dunkelbraunen Bitterbohnen, Reis und grünem Tee. Mit einem solchen Frühstück ist man für die kulinarischen Genüsse Japans gerüstet. Wir bekamen immer mehr Lust auf die heiße Suppe, miso shiru - so sehr, dass wir sie schließlich täglich zu uns nahmen.

Hiro liebt es für seine Frau zu kochen. Takako ist Stewardess. Wenn sie in Tokio ist, steht er die meiste Zeit in der Küche. Wir kennen sie beide schon sehr lange. Als sie erfuhren, dass wir alles über miso-shiru wissen wollen, waren sie sehr aufgeregt. "Bis ins allerletzte Detail und jede nur erdenkliche Variation!", sagte Elly zu Hiro am Telefon. Als die beiden in der Küche standen, Takako und ich von einer kleinen Terrasse über die Großstadt blickten, fühlten wir uns sehr wohl, hatte ich doch für kurze Zeit die Illusion, Elly könnte mich in Zukunft auch mehr verwöhnen. Ich stellte mir vor, ich sitze an einem Text und sie wird zur leidenschaftlichen japanischen Köchin.

"Komm schnell!", rief sie plötzlich aus der Küche. "Das musst du dir ansehen!" Übermütig schwenkte sie einen kleinen Stoffbeutel.

"Fische", sagte ich und ein starker Duft drang in meine Nase.

"Das sind hijiki!", sagte sie. "Koree wa nan desu ka?"

Sardinen, getrocknete Sardinen! Sie lachte, während sie den Beutel mit den kleinen Fischen immer wieder ins Wasser tauchte. Gedrängt standen wir nun vor dem Herd und Hiro dozierte: Als erstes bringt man Wasser zum Kochen, schneidet Tofu in etwa zwei Zentimeter große Würfel, bereitet vier frische schwarze Pilze vor und gibt dashi ins kochende Wasser. Dashi ist mit einer milden Bouillon in Europa zu vergleichen und eine wichtige Grundlage der japanischen Küche. Meist kauft man es fertig als instant dashi.

Die Mischung enthält wakame, getrocknete Seetangblätter, katsuobushi-Pulver, fein zerriebene Blaufischflocken und manches mehr. Mit einem Fischbeutel getrockneter Sardinen kann man den Geschmack verbessern. Nachdem die Pilze und der Tofu eine Minute gekocht haben, wird Miso, Sojabohnenpaste, unter ständigem Rühren zugefügt. "Miso!", sagte er plötzlich und lachte zu Takako, "kann für alle japanischen Gerichte verwendet werden. Reismiso, Gerstenmiso, Sojabohnenmiso. Takako mag aber nur das Letzte."

Als wir bei Tisch saßen, wurden wir weiter unterrichtet. Die japanische Esskultur sei im großen Wandel. Das Erschreckendste daran, sagte Hiro, sei, dass Kinder kaum mehr japanisch essen könnten. Sie halten die Stäbchen in einer Faust und schaufeln Reis und Gemüse wie eine Suppe. Als Jugendliche laufen sie in amerikanische Fast-Food-Lokale, verschlingen Hamburger und bevorzugen Messer und Gabel.

Auch Takako und Hiro erleben seit einigen Jahren diese Veränderung. Hiro lebt mehr in der östlichen Tradition, liebt das Gewohnte, isst ausschließlich japanisch und arbeitet als Programmierer. Takako wiederum lässt sich von den westlichen Gewohnheiten, die ihr durch ihre Arbeit als Stewardess begegnen, beeinflussen. In ihren zwei Zimmern widerspiegeln sich ihre Vorlieben. Takako hatte lange Zeit für Tisch und Sesseln gekämpft, und ginge es nach Hiro, so würde er ein Leben lang auf der Tatami-Matte unter seinem Tokonoma verbringen und mit dem Computer spielen.

Als wir von Hiro gefragt wurden, in welchem Zimmer wir essen wollen, brauchten wir uns nicht mehr entscheiden. Takako hatte bereits das westliche Ensemble vorbereitet. Nachdem Miso-shiru, unser neuer Begleiter zu Reis, Fisch und Gemüse, serviert wurde, sagten wir noch "O hashi o kudasai!", "Stäbchen bitte!", und Messer und Gabel kamen wieder in die unterste Lade.

O hashi war das einzige Wort, das wir verstanden hatten, als wir in einem kleinen Restaurant in Yufuin tempura aßen, aus einem dünnen Bierteig herausgebackene Fische oder Gemüsestücke. Vom Nebentisch wurden wir für unsere Geschicklichkeit, mit Stäbchen zu essen, mit Komplimenten überhäuft. Zu Hause hatten wir dafür auch lange geübt. Das untere Stäbchen muss immer fest in der Hand ruhen, während das obere locker und elegant den Bissen ergreift und zum Mund führt.

Als Zeichen der Bewunderung, vielleicht auch der Annäherung, wurden vom Nebentisch zwei große Garnelen gereicht. Doch leider sprachen unsere Sitznachbarn nur eine Sprache: Japanisch. Da sie schon etwas betrunken waren, wollten sie von uns nicht mehr loslassen, ließen vom Kellner eine Flasche Sake bringen und wenige Minuten später tranken wir auf Inari, den Reisgott, auf den gegenwärtigen Tenno, den Kaiser, und schließlich auf uns. Kampaii! Zum Wohl!

Ständig blätterten wir in unseren Wörterbüchern. Nach einer Stunde konnten wir in Erfahrung bringen, dass unsere Sitznachbarn eine Kochschule leiten, als Kochlehrer arbeiten und am Rande der Stadt wohnen. Sie baten uns, sie zu begleiten. Wir wankten lange durch die Nacht, bis wir schließlich zu einem Haus in der Nähe von Reisfeldern kamen. Hatten wir zuerst noch gedacht, wir würden einen Kochkurs besuchen, also ins Herz der japanischen Kochkunst vordringen, saßen wir nun zu viert um einen niedrigen Tisch und lachten. Es lebe Inari und der Tenno!

Wie gerne hätte ich nun mehr über die japanische Küche erfahren, wie gerne hätte ich auch Gedanken ausgetauscht, von etwas erzählt, das ich bereits beobachtet hatte, etwa die Sauberkeit in professionellen Küchen, hätte den großen Nährwert der japanischen Gerichte hervorgehoben und die Eleganz, wie sie die Speisen anordnen und das Geschirr auswählen. Und liegt ein rotes Ahornblatt als Dekoration am Rande eines Tellers, hätte ich naseweis behauptet, ist der Herbst nicht mehr weit.

An diesem Abend sollten wir lernen, wie man eine Süßspeise auf alte Art zubereitet: chimaki. Auf dem Tisch lagen viele Bambusblätter, kleine Reisbällchen, mochi genannt, und bunte Schnüre. Die Reisteigbällchen wickelten wir nach einem ganz speziellen Ablauf in die Bambusblätter und verschnürten sie. Dabei tranken wir weiterhin Sake. Plötzlich des Suchens nach fremden Wörtern überdrüssig, begann Elly japanisch zu fantasieren. Hokupoku, shakushaku. Wir lachten. Dem Kochlehrer gefiel unser Übermut und er spielte sofort mit, verwendete die gleichen unsinnigen Wörter wie wir. Hokupoku, kichinichi. Und wieder lachten wir. Was für ein glücklicher Abend! Inzwischen waren die chimaki über Dampf heiß gemacht worden und während wir sie aßen, tranken wir weiter, bis die Frau des Hauses unsere Kindereien auf liebevolle Weise beendete. Sie hatte den Fotoapparat hervorgeholt. Wir stellten uns vor dem Herd auf und kicherten. Ein Blitz fixierte unser Bild auf dem Film.

Beinahe alle Verabredungen endeten mit Fotos der Protagonisten. Für die Köche in den Großküchen war es eine willkommene Abwechslung, die Frauen in den Kimonos lächelten scheu in die Kamera, und die Bauern auf dem Felde ließen sich bei ihrer Arbeit gerne beobachten. Japaner lieben es, abgebildet zu werden.

Als ich eines Tages Kinder fotografierte, die Muscheln aus dem Meer sammelten, war plötzlich in einem Moment alles neu. Ein Kind kam mit einigen Muscheln auf uns zu und gab uns eine davon, um sie zu kosten. Wir hatten damit Probleme. Als das Kind dies bemerkte, lutschte es das Muschelfleisch mit einem lauten Geräusch und schluckte es. In diesem Moment spürten wir unsere Distanz zum japanischen Essen.

Nachdem wir unsere Vorbehalte gegen rohe Meerestiere etwas überwunden hatten, besuchten wir gerne

Sushi-Lokale, in denen ein Fließband über der Theke montiert ist. Auf kleinen Tellern, in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Preisen, fuhren die Reisbällchen, belegt mit Thunfisch, Meerbrasse, Seeaal oder Tintenfisch, an uns vorüber. Wir gustierten oft sehr lange, viele Runden gondelten die Tellerchen an uns vorbei. Wir nahmen schließlich immer wieder die gleichen, uns vertrauten Fische.

An den Theken japanischer Restaurants werden auch andere Gerichte serviert: sashimi, rohe, hauchdünne Fischscheiben, yakitori, kleine Grillspieße mit Geflügel, Zwiebeln, Tomaten und grünen Pfefferschoten oder shabu shabu, Rindfleisch, welches in heißem Wasser neben Kohl, Karotten, Spinat und Pilzen gegart wird. Die Liste der japanischen Gerichte mit ihren klingenden Namen lässt sich noch lange fortsetzen. Teppanyaki, sukiyyaki, Grillspeisen, die der Koch vor den Augen und Nasen der Gäste zubereitet, oder soba, udon, ramen, große Schüsseln mit dünnen oder dicken Nudeln mit Lauch, Ei, geschnetzeltem Hühnerfleisch, manchmal Schweinefleisch und gelegentlich Miso. Eine Schale, an einem heißen Sommertag geschlürft, sagen die Japaner, sättigt und lässt den Körper in einer leichten Schwebe.

Japaner lieben es aber auch, lange und viel zu essen. Restaurants bilden den Hintergrund für Feste und Geselligkeit. Jemanden einladen ist meist auch ein Synonym für "in ein Restaurant gehen". Am Eingang der Lokale hängt immer ein kurzer Vorhang, noren genannt, hier muss man sich bücken oder ihn beiseite schieben. Betritt man das Lokal, hört man meist irasshaimas, einen Willkommensgruß.

Der Präsident eines kleinen Konzerns und sein Sekretär, der als Dolmetscher fungierte, luden zu einem Abendessen, um uns in die allerletzten Geheimnisse japanischen Essens einzuweihen. Fische, Muscheln und Schnäpse sollten unsere Beziehung stärken. Wir aßen das Menü des Hauses. Verblüfft bewunderten wir die großen Teller mit Seetang und Kaviareiern, Chrysantemenblättern und rohen Fischscheiben. Höhepunkt des Abends war eine riesige, schön geformte Muschel, in der kleine Stücke ein glänzend-grünes Etwas versteckten, den Darm einer Muschel. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst gewesen, dass Muscheln auch Gedärme haben.

Voller Neid blickte ich zum Präsidenten, der genussvoll seinen grünen Leckerbissen hinunterschlang und spürte Futterneid, weil ich nur etwas kleines Grünes hatte. Genauso gierig biss ich in mein Stück und musste feststellen, dass mit einem Mal die bittersten Essenzen in meinem Mund konzentriert waren. Sofort wollte ich das grüne Etwas wieder ausspucken, doch meine Erziehung erlaubte es nicht. Ich zwang mich, den Darm mit einem - japanischen - Lächeln zu schlucken. Zu Elly sagte ich: "Von Japans Küche habe ich nun genug gegessen", trank einen großen Schluck Sake, noch einen, während die nächsten Teller mit rohen Seeigeln und zuckenden Fischen auf den Tisch kamen . . .

Freitag, 10. August 2001

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