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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Die Geschichte des Wiener Schnitzels und anderer Nationalgerichte

Panier statt Blattgold

Von Franz Severin Berger

Meine Lieblingsspeise in der Jugendzeit war gerösteter Zwiebel auf Schwarzbrot. Das kann man sich heute kaum mehr vorstellen, erzählt der Küchenchef. "Aber die offizielle, die österreichische und im Besonderen die Wiener Küche ist keine Nationalküche, wie man sich das mit Schlagworten herkömmlicher Art gerne vormacht. Sie hat in der Geschichte so viele Einflüsse und Einwanderungen aus ganz Europa erlebt und verarbeitet, dass sie eine perfekte Mischung der besten Spezialitäten geworden ist. Und gerade jetzt erlebt sie wieder entscheidende Veränderungen, besonders aus der asiatischen Küche.

Wer das nicht sieht, der versteht nichts von der Sache oder er will es einfach nicht sehen." Franz Zodl, weithin bekannter TV-Küchenchef und Direktor der Wiener Gastgewerbeschule, kann zum Thema Leibspeisen und "Nationalküche" natürlich eine Menge aus seinem reichen Erfahrungsschatz und Wissen sofort erläutern.

"Es gibt keine nationale Küche", definiert der Journalist und Gastronomiekritiker Christoph Wagner, "weil Nationen, Staaten, Länder zwar politische Grenzen haben. Aber die Frage, was es wo zu essen gibt und was daher regional typisch ist, hat mit der Wirtschaft und Landwirtschaft zu tun. Wenn irgendwo hauptsächlich Erdäpfel und Kürbisse wachsen, dann wird sich eine regionale Küche herausbilden, die Spezialitäten aus Erdäpfeln und Kürbissen anbietet. Das ist natürlich. Und so etwas hält sich nicht an Ländergrenzen. Da aber die Menschen immer unterwegs waren und sind, sind auch regionale Speisen und Küchen mitgewandert. Sie haben sich anderen Bedingungen angepasst, wurden verändert, verfeinert, kamen in Mode und auf Grund geänderter Lebensbedingungen können sie auch wieder vergessen werden."

"Die Küche im regionalen und internationalen Sinn beinhaltet viele merkwürdige und interessante Botschaften." Die Motivforscherin Helene Karmasin "decodiert" die Normen und Regeln von Küche und Essen als Botschaften der Eingrenzung, aber auch der Ausgrenzung.

Als politische Manifestationen, denn was andere essen, wird nur zu gerne als schlecht oder minderwertig bezeichnet, während die eigene Küche als die einzig genießbare definiert wird. Stammesgesellschaften in Asien, Afrika, Südamerika neigen dazu, in ihrer Polemik sogar stets zu argumentieren, dass das, was andere Stämme essen, ja gar keine menschliche Nahrung sei, sondern Viehfutter. So krass mögen diese Auseinandersetzungen in der "zivilisierten" Welt nicht geführt werden, aber was Europäer über die amerikanische Küche sagen und wie Amerikaner die europäische Küche einschätzen, darüber ließen sich Bände voll gegenseitiger Geringschätzung schreiben. Zusätzlich darf nicht übersehen werden, dass Küche und Essen auch höhere Vorschriften und Regeln kennen, nämlich religiöse.

Aber, wie der Anthropologe Marvin Harris nachweist und erklärt, es sind auch die göttlichen Gebote wie z. B. das Schweinefleischtabu für Juden und Muslime durch ökologische und ökonomische Hintergründe und Ursachen ausgelöst worden. Präferenzen und Tabus, Wohlgeschmack und Widerwillen, Einschluss oder Ausgrenzung, richtig oder falsch in der Küche und beim Essen sind also tatsächlich soziale Signale, die auf alten Ursachen, Wurzeln und Traditionen beruhen - und sich trotzdem überraschend schnell ändern können.

"Als Kind war meine Leibspeise Kässpätzle ganz dick mit Zucker überstreut, damit man den Käs nicht schmeckte", erzählt Hanni Rützler, Ernährungswissenschaftlerin und Psychologin. Die gebürtige Vorarlbergerin schaudert heute noch bei dem Gedanken daran, aber die Lieblingsspeisen der Kindheit und der Jugend haben viele überraschende Facetten. Seit einem besonders prägenden Erlebnis in einem Vazuder Spitzenrestaurant - eine Inszenierung eines Festessens an einer großen Tafel - liebt die Ernährungsfachfrau bis heute das lustvolle Essen an großen Tafeln gemeinsam mit vielen Menschen.

Die Speisen der Kindheit sind lebenslange Symbole der Geborgenheit, der Zuwendung, des familiären Glücks oder auch des genauen Gegenteils. "Besonders spannend finde ich es", überlegt Hanni Rützler, "wie dann ein Mensch später zum Feinschmecker wird. Oder seine Essgewohnheiten und Vorlieben radikal ändert. Solche Lernprozesse werden zumeist durch Liebe und Zuneigung ausgelöst. Viele Liebesbeziehungen junger Erwachsener verändern nicht nur das Weltbild, sondern auch die Lieblingsspeisen. Essen ist eben Kommunikation im unmittelbarsten Sinn."

Vorbild Hofküche

Zwei Kaiserhäuser prägten indirekt wie auch direkt die Wiener Küche. Da waren zuerst einmal die oströmischen Kaiser. Dem Basileus in Byzanz - heute Konstantinopel - wurden an der Tafel die erlesensten Fleischstücke mit Blattgold überzogen serviert. Eine Prunkgeste, die sich in der Nouvelle Cuisine zuletzt noch bei der Verschönerung von Gemüsebeilagen wie Broccoli usw. erhalten hat. Dem Kaiser wurde also "goldenes Fleisch" gereicht - und was bei Kaisern üblich ist, das wird im Adel, bei den Bürgern, bei den Reichen imitiert. Blattgold war auch damals schon relativ teuer und so wurde von findigen Köchen die Methode des Panierens und in Fett Ausbackens als Ersatz erfunden. Auch in heutigen Kochbüchern steht ja, dass man das Schnitzel zu "goldgelber" Farbe auszubacken habe. Die Methode des Panierens wanderte mit byzantinischen Juden, mit arabischen Händlern und vielen anderen Kulturträgern nach Nordafrika, nach Südeuropa und langsam nach Norden weiter.

Panierte Speisen finden sich schon in barocken Kochbüchern, aber das Wiener Schnitzel gab es noch lange nicht. Es kam erst Mitte des 19. Jahrhunderts nach Wien. Und zwar aus Mailand, wo es der legendäre Feinschmecker und Rückzugsspezialist Radetzky als cotoletto milanese entdeckt haben soll. Der Vater Radetzky hat das bestimmt nicht persönlich getan, aber er ist mit der österreichischen Geschichte in diesem Punkt zumindest sympathisch verwoben. Das gebackene Schnitzel wird interessanterweise über die bäuerliche Hochzeitsküche des Weinviertels populär. Dort wurde und wird es als Zwischenspeise oder als Mitternachtsspeise gereicht. Und erst nach 1900 zieht es unter dem Titel "Wiener Schnitzel" in die Kochliteratur ein. Die Edle Prato, die mit der "Süddeutschen Küche" das Standardkochbuch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schuf, auf dem die späteren Apologeten der Wiener Küche wie Franz Ruhm aufbauten, kannte den Begriff Wiener Schnitzel noch gar nicht. Welches Wirtshaus jeglicher Kategorie könnte es heute wagen, ein solches nicht innen und außen auf Schautafeln und Speisekarten anzupreisen?

Für den zweiten fleischlichen kulinarischen Höhepunkt Wiens sorgte aber ein ganz besonderer österreichischer Kaiser, eben jener Franz Joseph I., von dem man sagt, er sei der "gute alte" gewesen. Ungeachtet jeder historischen Beurteilung war er aber als strohtrockener Bürokrat auch beim Essen ein Langweiler und daher auch ein Sparmeister. Die private Hoftafel war ihm zu üppig, zu aufwendig. Er verlangte nach billiger und einfacher Kost - gekochtes Rindfleisch mit Beilagen musste genügen. Außerdem aß S. M. bei jedem Gang nur wenige Bissen und dies blitzschnell. Nach der strengen Hofetikette durfte aber niemand vor oder nachdem der Kaiser das Besteck weggelegt hatte, selber essen. Wer immer an der Hoftafel verpflegt wurde, musste nachher ins Sacher essen gehen, sonst wäre er verhungert. Die Kaiserin Sisi ausgenommen, die war sowieso magersüchtig. Das "billige Rindfleisch" war auf Grund der reichlichen ungarischen Rinder und Mastochsen am Markt. Das beste Stück zum Sieden war eben der Tafelspitz. Wien, nicht anders als Byzanz, Österreich nicht anders als Ostrom, kopierte die stereotype Essgewohnheit des Kaisers umgehend und erhob den Tafelspitz mit den klassischen Beilagen Schnittlauchsauce, Semmel- und Apfelkren, Gemüsen und gerösteten Erdäpfeln (Röstkartoffeln) umgehend zur Delikatesse und zur Norm großbürgerlicher sonntäglicher Beamtenernährung. In Joseph Roths Meisterwerk "Radetzkymarsch" ist dies liebevoll ironisch, aber durchaus identisch beschrieben. Ins Sacher strömen heute noch Prominente und internationale Persönlichkeiten sowie Touristen zwischen L. A. und Tokio, nur um gekochtes Rindfleisch mit bis zu zwei Dutzend Beilagen zu essen.

Der Kaiserschmarren aber, jene duftige, köstliche Nachspeise aus zerrissenen Biskuitomeletts, hat trotz aller Legenden mit dem Kaiser vom Ursprung her nicht das Geringste zu tun. Mag sein, dass es ihn auch an der Hoftafel gab, aber Franz Joseph hätte kaum zwei Bissen gegessen und Elisabeth schon gar nicht, weil sie schlechte Zähne hatte und daher jede Süßigkeit scheute. Nein, dieser Superschmarren hieß ursprünglich Kaserschmarren, weil er eine deftige, derbe Almspeise der Senner und Mägde auf den Hochalmen war, die über offenem Feuer hergestellt werden konnte. Verfeinert wurde diese Schwerarbeiterkost natürlich in der Hauptstadt der Monarchie und wie vieles andere auch aus Werbegründen oder aus vorauseilendem Gehorsam und Untertänigkeit dem Kaiser "in den Mund geschoben".

Türkei als Strudelheimat

Zu den prominenten Immigranten der österreichischen Küche gehören nicht nur das immer wieder sofort zitierte Gulasch, von dem jedermann weiß, dass es als Suppe aus getrocknetem Fleisch aus Zentralasien stammt und dass der erst viel später dazukommende feurige Paprika als Spanischer Pfeffer aus der "Neuen Welt" kommt. Weniger bekannt ist die Herkunft des hauchzarten und deliziösen original Wiener Apfelstrudel - so wie sämtlicher Strudel aus ausgezogenem Nudelteig, sei es der deftige burgenländische Bohnenstrudel, die raffinierten Kraut- und Fleischstrudel, der üppige Milchrahmstrudel usw. Ihre Heimat ist die Türkei und ihre Vorformen - die türkischen Pasteten - marschierten mit den Janitscharen des Osmanischen Reichs nach der Eroberung von Byzanz 1453 über den Balkan bis Wien. Und was dann die Wiener daraus machten, gilt eben international als unvergleichliche Spezialität.

Die Salzburger Nockerln kamen als Souffles aus der französischen Küche, die Powidltatschkerln aus der Erdäpfel-Mehl-Küche Böhmens und Mährens, die hauchzarten Palatschinken aus Ungarn, die Kärntner Kasnudeln aus Italien und davor höchstwahrscheinlich aus China. Und die Kette von kulinarischen Einwanderern ist schier endlos. Geselchtes, Kraut und Knödel, das ist autochthon wie man überspitzt sagen könnte, also bodenständig. Denn die Knödelküche aus steinhartem Altbrot ist wirklich älpisch und nicht mit der gesottenen, gebackenen oder in Dampf gegarten Knödelküche der böhmischen Köchinnen zu verwechseln.

Pizza statt Schnitzel?

International wird die österreichische Küche, besonders die Wiener Küche, hoch geschätzt. Wonach alle auf der Welt zwischen Japan und Kalifornien sich die Finger besonders lecken, wenn sie Österreich hören, das sind "unsere" kalten und warmen Mehlspeisen. Obwohl die Österreicher ausgeprägte Naschkatzen sind, führen in der Ernährungsgewohnheit überlegen die Fleischspeisen. Voran das Schnitzel, das aber bereits in der Jugendszene von Spaghetti und Pizza, den kulinarischen Aufsteigern im letzten Viertel des Jahrhunderts, hart bedrängt wird. Es kann sein, das zeigt das Ergebnis der jüngsten Ernährungsuntersuchung des Marktforschungsinstitutes A. C. Nielsen, dass in zehn Jahren das Schnitzel den ersten Platz wird räumen müssen. Aber - und alle Schnitzeltiger schließen kämpferisch die Reihen - es wird sich verteidigen. Denn das Schnitzel und seine Freunde haben eine gemeinsame geheime Botschaft.

"Das Auffällige unserer Küche ist, dass so unzählig viele Lebensmittel - Fleisch, Geflügel, Fisch, Gemüse, Käse, Obst - paniert und ausgebacken werden, sei es in Bröseln oder in Backteig. Was kann das bedeuten? Was kann es uns erzählen und verraten? Es scheint so zu sein als ob es die Österreicher lieben, den Dingen auf dem Teller ein nettes, ordentliches Hemdchen zu geben. Man will nicht unbedingt dem nackten Fleisch ins Auge sehen, man schätzt diese kulinarisch üppige Umhüllung, diese lustvolle Erotik des Versteckens. Aber auch die Ordentlichkeit, eben dieses Einkleiden, Einpacken und damit auch Uniformieren."

Die Motivforscherin Helene Karmasin stellt dies als These in den Raum der Wiener Küche und insbesondere der Schnitzelwelt. In der Panier stecken also neben der lustvollen und kalorienträchtigen Veredelung des Nahrungsmittels auch alte Traditionen und Bewusstseinsschichten aus der immer wieder zitierten "guaten alten Zeit". In der es klare Strukturen gab, Ober- und Untertanen, Pflichterfüllung und Gehorsam und selbstverständlich ständiges Verstecken und Behübschen der Wirklichkeit. Insofern ist das echte Wiener Schnitzel auch ein geheimes Denkmal unserer Lebenslügen. Es wird sich daher von Spaghetti und Pizze wohl nicht so schnell vertreiben lassen.

Literatur:

Franz S. Berger und Christiane Holler: Mutters Küche. Von alten Rezepten, jungen Köchinnen und vergangenen Zeiten. Ueberreuter, Wien 2000, 200 Seiten mit zahlreichen Abbildungen.

 

Freitag, 15. Dezember 2000 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:03:00

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