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Ein Jude in der Reichstheaterkammer

Eine Ausstellung im Filmmuseum Potsdam erinnert an Schauspieler als Nazi-Opfer

23.03.2005

Feuilleton - Seite 30

Jan Brachmann

Joachim Gottschalk war eine weiche, verträumte Erscheinung und als Schauspieler sehr beliebt im Dritten Reich, aber verheiratet mit einer jüdischen Frau. Goebbels wollte ihn zur Scheidung nötigen, Gottschalk brachte das nicht übers Herz, sowenig wie er und seine Frau Meta (geborene Wolff) es sich vorstellen konnten, ins Exil zu gehen. Am Abend des 5. November 1941 mischten sie ihrem achtjährigen Sohn Michael Veronal ins Abendessen; danach schluckten sie selbst das Schlafmittel und drehten den Gashahn in ihrer Berliner Wohnung auf. Zuvor hatten sie Geschenke an Freunde bereitgestellt und mit einem Abschiedsgruß versehen.

Im Filmmuseum Potsdam kann man derzeit eines dieser Geschenke sehen, in der Ausstellung "Verehrt, verfolgt vergessen. Schauspieler als Naziopfer". Im ersten Stock des Marstalls liegt dort in einer Vitrine ein flaches, silbernes Zigarettenetui, daneben ein Abdruck der Zeilen Gottschalks: "Lieber Otto Kulcke, fassen Sie sich ein Herz und bleiben Sie ganz ruhig, wenn Sie nun lesen, dass wir von Ihnen gegangen sind, ganz weit fort, um nicht mehr wiederzukehren. Die Menschen nennen's sterben: ein dunkles Wort, für uns ist es hell und klar. Leben Sie wohl und vergessen Sie nicht Ihre Gottschalks".

Die Ausstellung fußt auf dem gleichnamigen Buch des Kulturhistorikers Ulrich Liebe, das 1992 zum ersten Mal erschien und gerade vom Beltz-Verlag neu aufgelegt wurde. Im Buch wie in der Ausstellung werden sieben sehr prominente Opfer national-sozialistischer Verfolgung ausführlich porträtiert, ergänzt um zahlreiche Kurzbiografien. Es sind nicht, wie bei dem berühmten Kurt Gerron oder Fritz Grünbaum, ausschließlich rassische Gründe gewesen, die für die Verfolgung standen: Hans Otto kam schon 1933 ums Leben, weil er Kommunist war. Robert Dorsay, ein Liebhaber des Swing und des politischen Witzes, wurde 1943 wegen Wehrkraftzersetzung hingerichtet. Zu den Schicksalen, die es nahe legen, die Verstrickung des Einzelnen in politische Schuld tragisch zu denken, gehört auch das von Paul Otto: Er konnte seine jüdische Herkunft geheim halten, wurde 1937 zum Staatsschauspieler ernannt und übernahm fünf Jahre später sogar die Fachschaft Bühne in der Reichstheaterkammer. Paul Otto wurde also zum Funktionär national-sozialistischer Kulturpolitik - bis ihn 1943 ein Kollege enttarnte. Daraufhin nahmen sich Otto und seine Frau das Leben.

Wer die Ausstellung in Potsdam besucht, sollte viel Zeit und Geduld mitbringen, aber auch Kenntnisse in Filmgeschichte haben und die Fähigkeit, Handschriften (sogar in Sütterlin) zu lesen. Die Ausstellung setzt nämlich stark auf die reine Präsenz ihrer Exponate. Das ist einerseits schön, weil mit dem Verzicht auf jede Inszenierung die Kraft und Würde dieser Zeugnisse gewahrt bleibt. Andererseits ist es pädagogisch von Nachteil, weil in der kargen Beschriftung der Stücke der Kommentar zu kurz kommt.

Man muss schon wissen, wer Heinrich George oder Max Pallenberg waren, um anhand eines Besetzungszettels ermessen zu können, mit welchen Größen Kurt Gerron 1929 auf der Bühne des preußischen Schauspielhauses stand. Und warum kann neben einem Foto nicht geschrieben stehen, dass der kleine putzige Mann neben dem massigen Gerron der Schauspieler Curt Bois ist? Aus dem Buch von Ulrich Liebe erfährt man es. Soll die Ausstellung nur dazu nötigen, das Buch zu kaufen, indem sie einem die Hälfte des Wissens vorenthält? Das mag man kaum glauben.

Liebes Buch ist in anschaulichem Erzählton gehalten; eine schön gemachte CD mit Originalaufnahmen der Schellack-Ära liegt bei. Hinter die Überschrift von Buch und Ausstellung möchte man allerdings gern ein Fragezeichen setzen: Mögen die hier vorgestellten Schauspieler auch verehrt und verfolgt worden sein - vergessen wurden sie nicht alle. Das gilt weder für Kurt Gerron, noch für Hans Otto (zumal in Potsdam!), und über Joachim Gottschalk drehte der Defa-Regisseur Kurt Maetzig 1947 seinen ersten Spielfilm "Ehe im Schatten" nach Hans Schweikerts Novelle "Es wird schon nicht so schlimm".

Wie sichtbar die prominentesten dieser Schauspieler bis in unsere Gegenwart geblieben sind, belegt die Ausstellung unfreiwillig durch die Videoausschnitte von alten Filmen: In der linken oberen Ecke des Bildschirms kann man mitunter die Senderlogos von RTL oder auch ZDF sehen.

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Sehen und Lesen // Ausstellung: noch bis 6. April, täglich 10 bis 18 Uhr im Filmmuseum Potsdam, Marstall, Tel.: 0331-27181-12

Das Begleitbuch von Ulrich Liebe kostet 29,90 Euro.

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Foto: Joachim Gottschalk mit Brigitte Horney in dem Film "Aufruhr in Damaskus" (1939)