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Die Wahrheit mit Witzen sagen

Erfolgreiches Einmann-Unternehmen mit verlässlicher Crew: Woody Allen, hier in Cannes 2010. Foto: epa

Erfolgreiches Einmann-Unternehmen mit verlässlicher Crew: Woody Allen, hier in Cannes 2010. Foto: epa

Von Andreas Walker

Auch wenn Woody Allen, der am 1. Dezember 75 Jahre alt wird, als ernster Filmemacher gelten will, berühmt geworden ist er doch als Komödiant.

"Tut mir leid, dass ich an Ihrem fünfundsiebzigsten Geburtstag nicht anwesend sein kann, aber ich hoffe, dass Sie zu meinem erscheinen": So erteilte der dreißigjährige Woody Allen seinem Idol Groucho Marx telegraphisch seine Absage. Er konnte nicht nach Beverly Hills reisen, er hatte in New York zu tun. Zudem erinnerte ihn Marx zu sehr an seinen "jüdischen Onkel". Dabei hat Woody Allen gar nichts gegen Partys – sofern er sie selbst veranstaltet. Allerdings lässt er sich dort dann konsequenterweise kaum blicken.

Was für Feste gilt, gilt – nahezu – für das gesamte Projekt Woody Allen: Eine beinahe egomanischen Kontrolle zeichnet sein Werk aus. Er ist Star, Drehbuchautor und Regisseur für die meisten seiner Filme in Personalunion. Und wenn ein anderer Schauspieler die Hauptrolle bekommt, dann häufig als Alter Ego von Woody Allen. Zuletzt durfte Larry David ein solches in "Whatever Works" (2009) verkörpern.

Von Identifikation mit Rollen hält Allen nicht viel. Seine Schauspieler erhalten vor den Dreharbeiten nur jene Passagen des Scripts, die für sie relevant sind. Es gibt kaum Proben und die Darsteller haben ihre Sätze so natürlich wie möglich zu sprechen. Gern verwendet Allen die Einstellung der Totalen, was von den Schauspielern verlangt, dass sie mehrere Minuten lang vor der Kamera sind. Weder diese Arbeitsweise noch die geringen Gagen hielten Stars wie John Malkovich, Sean Penn, Julia Roberts oder jüngst Anthony Hopkins aber davon ab, in einem Woody Allen-Film mitzuwirken.

Script nur eine Vorlage

Es ist beinahe Ironie, dass Woody Allen der erfolgreichste Drehbuchautor der USA ist – zumindest was seine 14 Oscar-Nominierungen betrifft. Zweimal wurde er für ein Drehbuch mit der begehrten Trophäe – die ihm selbst angeblich nichts bedeutet – ausgezeichnet: für "Der Stadtneurotiker" (zusammen mit Marshall Brickman) und für "Hannah und ihre Schwestern". Dabei gibt es üblicherweise vor Dreharbeiten nur ein Script, das die Funktion einer Vorlage hat. Im Laufe der Dreharbeiten wird es zigmal umgeschrieben. Immer wieder werden Nachaufnahmen gedreht, bis Geld und Zeit aufgebraucht sind.

Doch selbst ein Einmannunternehmen bedarf einer verlässlichen Crew. An jeweils mehreren Allen-Werken waren der "Pate"-Kameramann Gordon Willis, Carlo di Palma oder der Bergman-Kameramann Sven Nykvist beteiligt, die – jeder auf seine Weise – für eine bestimmte Farbe und eigene Stimmung der Filme sorgten. "You Will Meet a Tall Dark Stranger", der nächste Woche in Österreich anläuft, wurde von Vilmos Zsigmond aufgenommen, der auch schon bei "Cassandras Dream" (2007) und "Melinda und Melinda" (2004) dabei war.

Seit 1979 verfügt Woody Allen, der seit seinen ersten Filmen die technische Endfassung seiner Filme begleitet, über ein eigenes Studio samt Vorführraum. Bis 1998 ("Celebrity") übernahm Susan E. Morse das Editing, von da an besorgte Alisa Lepselter den Schnitt. Auch beim Casting vertraut Allen einer Frau: Juliet Taylor ist seit "Die letzte Nacht des Boris Gruschenko" (1975) für die Besetzung zuständig. Die Musikauswahl behält sich Allen selbst vor. Dass ihm die Produktionsfirmen freie Hand lassen, hält er ohnehin für selbstverständlich.

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Woody Allen am Set seines jüngsten Films, "Midnight in Paris", den er im Juli 2010 u.a. mit Carla Bruni-Sarkozy (rechts) drehte. Foto: epa

Das cineastische Universum (bisher 45 fertig gestellte Filme als Regisseur) des schmächtigen Mannes funktioniert nicht nur exzellent, es hat auch die Filmsprache verändert. Innovative surrealistische Momente und ein Semi-Dokumentarstil dominieren bereits 1969 "Take the Money And Run" ("Woody, der Unglücksrabe"). Den "Stadtneurotiker" (1977) zerlegte er durch eine nonlineare Erzählform, wie sie sich Jean-Luc Godard kaum besser hätte ausdenken können. Die Liebeserklärung an seine Wahlheimat "Manhattan" (1979) oder das fellineske "Stardust Memories" (1980) sind Schwarzweiß-Gemälde. "Zelig" (1983) ist ein Vorläufer der Dokusoaps. "The Purple Rose of Cairo" (1985) ist Allens Antwort auf die Medientheorie. "Ehemänner und Ehefrauen" (1992) ist im Handkamerastil gedreht, ehe ganz Film-Europa vom Dogmastil eines Lars von Trier schwärmte. Mit "Deconstructing Harry" (1997) nahm Allen sich handstreichartig der Dekonstruktion an. In "Match Point" (2005) wurde nach Art Chabrols mit der eleganten Oberfläche auch deren Brüchigkeit thematisiert, in "Vicky Christina Barcelona" (2008) die Bindungslosigkeit verführerischer Leichtigkeit (2008). Woody Allens Trick besteht darin, keine Erwartungen zu erfüllen. Darin ist er sich von Anfang an treu geblieben.

Athletischer Bursche

Geboren am 1. Dezember 1935, wuchs Woody Allen als Allan Stuart Königsberg in Brooklyn auf. Die Familie seiner Mutter Nettie Cherry stammte aus Wien, die seines Vaters Martin Königsberg aus Russland. Obwohl er im jüdischen Glauben erzogen wurde, hielt er nicht viel davon. Dem äußeren Anschein widersprechend, war er durchaus athletisch. Er war ein guter Base- und Basketballspieler. Statt in der Schule verbrachte er seine Zeit jedoch lieber in Lichtspielhäusern. Seit der Entdeckung von Bob Hope und Bing Crosby keimte ihn ihm schon früh eine Ahnung davon auf, was er einmal werden wollte. Und noch zwei weitere Leidenschaften neben dem Kino dominierten seine Jugendzeit: die Jazzmusik und die Zauberei. Sein Klarinettenspiel, das er bis heute jeden Montag im Carlyle in Manhattan darbietet, brachte er sich fast alleine bei, und im Vorführen von Zauberkunststücken entwickelte er eine ansehnliche Geläufigkeit.

Im Frühjahr 1952, als er beschloss, Komödien zu schreiben, änderte Allan seinen Namen. Die Wahl fiel ziemlich willkürlich auf Woody. Schon bald hatte er mit seinen Witzen und Einzeilern, die er an New Yorker Klatschkolumnisten schickte, Erfolg. Als Gagschreiber für Komiker verdiente er bald genug, um sich eine Wohnung in Manhattan zu leisten. 1957 durfte er seine Sketches bereits selbst für die Bühne inszenieren. Charles Joffe und Jack Rollins, der auch Harry Belafonte, Robin Williams und Billy Crystal förderte, entdeckten sein Talent und ermutigten ihn, selbst aufzutreten. Bis Woody Allen seine Scheu überwand, gerieten die Auftritte zu einem Fiasko, da er die Texte nur herunterbetete und seine Witze nicht pointierte.

Doch Joffe und Rollins glaubten an ihn – und wenig später konnte er bereits ganze Hallen füllen. Als der Produzent Charles K. Feldman nach einem Drehbuchautor für eine Komödie Ausschau hielt, bekam Allen sein erstes Film-Engagement. Das Ergebnis war "What’s New, Pussycat?" (1965), in welchem er neben Peter Sellers, Peter O’Toole und Romy Schneider auch eine Rolle bekam. 1966 folgte "Casino Royale", wieder mit Allen als Schauspieler. 1969 startete mit "Take the Money and Run" das Einmannunternehmen Woody Allen: Er übernahm die Hauptrolle, die Regie und schrieb – zusammen mit Mickey Rose – das Drehbuch.

Waren seine ersten drei Filme noch reine Sketchkomödien, so änderte sich dies mit "Der Schläfer" (1973). Hier könnte man keine Szenen des Films entfernen, ohne sein gesamtes Konzept zu gefährden. Gleichwohl blieb Allen bis zum ernsten, an Bergman erinnernden "Innenleben" (1979) dem komödiantischen Genre treu. Danach steigerte sich seine Wandlungsfähigkeit, was allerdings nicht alle seiner Fans nachvollziehen konnten. Diese Wandlungsfähigkeit ist eine Begleiterscheinung von Allens Verhältnis zu Frauen. In seinen Filmen werden diese meistens als starke Persönlichkeiten dargestellt und sind häufig klüger als ihre männlichen Partner. Allen, dessen Bildung sich aus Comics, Jazz und Marx-Brothers-Filmen speiste, fühlt sich seit seiner Jugend zu intellektuellen Frauen hingezogen.

Auch Schriftsteller

Seine erste Ehe mit der Philosophiestudentin Harlene Rosen dauerte trotzdem nur wenige Jahre. Auch die nachfolgende mit Louise Lasser währte nicht lange, aber Lasser trat später in zwei seiner Filme auf. Die Beziehung zu Diane Keaton hielt nur ein Jahr, gleichwohl sollte sie für eine Strecke seines Schaffens als Schauspielerin, Freundin und Ratgeberin prägend werden. Erst Mia Farrow, die Anfang der 1980er in Woodys Leben trat und mit schillerndem Glanz überzog, brachte Stabilität in Allens Beziehungsleben – bis sie 1992 Nacktfotos ihrer Adoptivtochter Soon-Yi bei ihm entdeckte. 1997 heiratete Allen dann Soon-Yi .

Woody Allen versteht sich nicht nur als Filmemacher, sondern auch als Schriftsteller. Seine Erzählungen werden seit den 1970er Jahren kontinuierlich veröffentlicht. Seine Vorliebe für europäische Schriftsteller und Philosophen wie Dostojewski, Kierkegaard, Camus oder Nikolai Berdjajew dürften seine pessimistische Weltsicht allerdings noch vertieft haben: "Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass wir es mit einem bösen, heimtückischen, feindlichen Universum zu tun haben. Es macht dich krank, lässt dich altern und bringt dich um", meinte er einmal. Auch wenn sich viele Woody Allen-Filme um Beziehungen und deren Misslingen drehen, so ist es doch das Absurde, aus dem sich Allens Humor speist. Kurzum, er versucht, wie es Ted Danielewski, Ende der 1950er Jahre Talente-Scout bei NBC, formulierte, die "Wahrheit mit Hilfe von Witzen" zu sagen.

Woody Allen möchte freilich als ernster Regisseur verstanden werden. Doch ist ihm etwas anderes noch viel wichtiger: "Ich möchte nicht unsterblich werden durch mein Werk. Ich möchte unsterblich werden, indem ich nicht sterbe." Wenn es ihm gelingt, dürfen wir uns noch auf viele Filme von ihm freuen.

Andreas Walker, geboren 1971 in Hamburg, ist Philosoph und Autor. Er lebt zurzeit in Bochum.



Printausgabe vom Samstag, 27. November 2010
Online seit: Freitag, 26. November 2010 15:47:00

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