Matthies meint

Nicht mal mehr Bahnhof

(29.11.10)

Die Jugend! Unendliche Weiten. Macht, worauf sie Lust hat, redet, wie es ihr grad passt. Wer sich von ihr entfernt hat, was ab einem Alter von 30 automatisch der Fall ist, der versteht nur noch Bahnhof. Das heißt: Er versteht nicht mal das, weil die Jugend dazu neigt, ganz ungeheuer lustige eigene Worte zu erfinden, die wir Älteren nur verstehen, weil es die Jury zum „Jugendwort des Jahres“ gibt.
Die hilft uns nämlich. Sie tut es nicht ganz eigennützig, weil ein Verlag dahinter steht, der ein Wörterbuch der Jugendsprache verkaufen möchte. Und für einen Wörterbuchverkäufer ist es natürlich wichtig, dass das Phänomen, das er erklären möchte, überhaupt existiert.
Nun mal im Ernst: Hat hier schon mal jemand den Begriff „Niveaulimbo“ gehört? Es handelt sich, tärää!, um das Jugendwort des Jahres. Für die Jury „die gekonnt spielerische Zusammensetzung der beiden Begriffe „Niveau" und „Limbo“ zu einem neuen selbstständigen Wort: Es charakterisiere prägnant das ständige Absinken des Niveaus, besonders in der TV- und Partywelt.
Ja, da sieht man die Jury so richtig beim Denken. Relevanz möchte sie stiften, nicht einfach nur Wörter betrachten. Und „Niveaulimbo“ hört sich exakt so an, als sei es von einem frühpensionierten Deutschlehrer zwecks Einreichung eigens erfunden worden. Also, was dieser Bohlen da macht, das ist doch, das ist doch … Niveaulimbo! Die Jugendwörter der vergangenen Jahre übrigens, „Hartzen“ und „Gammelfleischparty“ sind vergessen, ein typisches Zeichen dafür, dass sie nie irgendjemand benutzt hat. In diesem Jahr standen „Speckbarbie“, „Arschfax“, „n1“ und „Egosurfen“ zur Debatte, die genauso theoretisch im Sprachraum herumhängen, sieht man vom „Egosurfen“ ab, das alle Voraussetzungen dafür mitbringt, das Jugendwort 1998 gewesen zu sein.
Viele dieser Worte eignen sich vor allem perfekt für endlose Klickstrecken auf Online-Portalen. „Schau mal hier, Heuchlerbesen für Blumenstrauß, das ist ja ulkig! Und Flatratelabern für endloses Reden!“ Was würden wir mit jemandem machen, der solche Begriffe tatsächlich benutzt? Richtig: Ihn mit besten Genesungswünschen in die Jugendwort-Jury einliefern.
Eine Speckbarbie ist übrigens ein zu eng angezogenes Mädchen, ein Arschfax ein Etikett, das aus der Unterhose hängt. Und „n1“ steht für „Nice one“, zu deutsch „gut gemacht“. Können alle im nächsten Jahr noch einmal verwendet werden: Wir werden sie uns garantiert nicht über hören.