Roland Jahn

Anpassung als Freiheitsrecht

(30.11.10)

Noch muss Roland Jahn vom Bundestag gewählt werden, bevor er im März 2011 wirklich anfangen kann als neuer Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen. Das könnte als Formsache angesehen werden, nachdem das Bundeskabinett am Dienstag den Fernsehjournalisten und Ex-DDR-Bürgerrechtler offiziell vorgeschlagen hat. Jahn aber will sehr korrekt bleiben. Bevor das Parlament die Nominierung nicht bestätigt, will er nichts sagen zu seiner neuen Aufgabe. Nur diesen einen Satz will er autorisieren: „Ich habe über die Hälfte meines Lebens in der Diktatur gelebt und weiß den Wert des Parlaments zu schätzen.“
Alle Fraktionen wollen Jahn einladen. Kultur-Staatsminister Bernd Neumann (CDU) kündigte für die Nachfolge von Marianne Birthler am Dienstag eine „überzeugende Persönlichkeit mit hohem Ansehen und breiter Akzeptanz“ an. Auch im Bundestag erwartet Neumann eine „große Mehrheit“ für Jahn. Und weist schon mal darauf hin, dass die fünfjährige Amtszeit einmal verlängert werden kann. Der in Berlin lebende einstige DDR-Oppositionelle wird also aller Voraussicht nach auch der letzte Chef der Aufarbeitungsinstitution sein.
Welche Rolle wird Jahn auf dem neuen Posten spielen? Ein paar Hinweise hat er im Juni gegeben, als in seiner Heimatstadt Jena ein Denkmal für die politisch Verfolgten in der DDR eingeweiht wurde. Jahn hielt die Rede, und im Vordergrund standen nicht seine Haft im Stasi-Gefängnis, seine gewaltsame Abschiebung in den Westen. Es ging auch nicht um den Protest gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann, die ihn seinen Studienplatz kostete. Jahn sprach von seinem Leben als einem das geprägt gewesen sei „von einem Hin und Her zwischen Anpassung und Widerstand“. Auch er könne sich an viele Situationen erinnern, in denen er sich angepasst habe an die Vorgaben des SED-Staates. „Auch ich war einmal ein Rädchen, das sich drehte im Mechanismus der Diktatur.“
Jahn kam 27 Tage nach dem Volksaufstand 1953 zur Welt. 57 Jahre danach sagte er in Jena: „Jeder sollte die Freiheit haben, sich auch anzupassen.“ Es hörte sich nicht so an, als ob er Schaum vorm Mund hat, wenn er an die DDR denkt. Wer mitgemacht habe, ergänzte Jahn, „sollte sich dazu bekennen und die Verantwortung tragen – auch heute“. Ohne Selbstkritik kann sich auch Jahn Versöhnung nicht vorstellen. Matthias Meisner