Angriff auf Gaddafi: Uno wird unberechenbar
Leitartikel Die Luftangriffe der Weltgemeinschaft auf Libyen stellen eine historische Zeitenwende dar: Die Uno schreitet nicht länger nur dann ein, wenn der Weltfrieden gefährdet ist oder ein Völkermord droht. Beides ist in Libyen nicht der Fall.Erstmals haben die Vereinten Nationen Partei ergriffen in einem Bürgerkrieg, und das auch noch ausgesprochen schnell und entschieden. Die Uno ist plötzlich unberechenbar.
Das hat durchaus sein Gutes: Brutale Diktatoren können künftig nicht länger darauf vertrauen, dass sich die Vetomächte im Sicherheitsrat gegenseitig blockieren. Den Libyen-Einsatz haben ja nicht nur die üblichen Verdächtigen beschlossen, sondern sogar die bislang notorischen Neinsager Russland und China, die durch ihre Enthaltung eine Uno-Resolution ermöglichten.
Die beiden größten Autokratien, die bislang jede Einmischung in innere Angelegenheiten ablehnten, haben plötzlich nichts mehr gegen einen Militäreinsatz gegen ein undemokratisches Regime.
Andererseits: China und Russland haben sich diesmal sicher nicht aus moralischen Erwägungen anders entschieden. Ihre wahren Motive bleiben im Dunkeln. Wenn aber niemand weiß, wann die Uno zu den Waffen ruft, können ihre Entscheidungen schnell willkürlich wirken.
Warum etwa ausgerechnet im Fall Libyen der Sicherheitsrat diesen Kurswechsel vollzogen hat, ist unklar. In anderen Bürgerkriegen gab es ähnlich viele Opfer, ohne dass es die Welt kümmerte.
Aus Mangel an Kriterien gibt es auch kein klares strategisches Ziel: Ist es der Waffenstillstand, der Regimewechsel oder gar Demokratie? Deshalb bricht nun der Streit aus, ob die Bombenangriffe gerechtfertigt sind - wenn keiner weiß, was man erreichen will, kann auch niemand sagen, was dafür nötig ist. Die einzige Erklärung für den Uno-Einsatz über Libyen ist daher nur die Dynamik der Regimewechsel in ganz Nordafrika.
Schwerwiegende Entscheidungen über Krieg und Frieden dürfen aber nicht willkürlich getroffen werden. Die Weltgemeinschaft muss sich alsbald auf klare Kriterien einigen, in welche innerstaatlichen Konflikte sie sich einmischen will. Sonst macht sie sich entweder unglaubwürdig, wenn sie in Libyen eingreift, nicht aber in Bahrain oder Darfur. Oder aber sie übernimmt sich. Beides kann niemand wollen.
- © 2011 Financial Times Deutschland
Kommentare
- 23.03.2011 09:33:42 Uhr
Jürgen Fischer: Deutschlands Irak- und Libyen-Entscheidung vo...
Parteienübergreifend von der SPD-Grünen Regierung beim UNO-Versagen im Irak Krieg bis heute zu CDU-FDP Regierung beim UNO Versagen in Libyen-Bahrain-Darfur-Algerien usw. weiß Deutschland wieder mal entgegen dem UNO-"Weltmeinungserzeugungs-Stream", dass nicht Bombeneinsatz die Ausschöpfung der vorhandenen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Raisonmöglichkeiten im Sinne des Schutzes der Zivilisten zu verdrängen hat, sondern erst mal umgekehrt.( na ja, China, Indien, Brasilien,Russland Deutschland mit ihren 3 Milliarden Einwohnern haben durch Enthaltung genau das gezeigt!).
Jürgen Fischer - 22.03.2011 22:01:47 Uhr George Putan: Meinungsäußerung bei FTD noch zulässig?
- 21.03.2011 23:31:23 Uhr Kay G.: Beides ist in Libyen nicht der Fall.???
- 21.03.2011 18:46:18 Uhr Karlheinz Krass: Diktatur Sicherheitsrat
- 21.03.2011 17:50:08 Uhr EuroTanic: UN-Charta rechtswidrig
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