Euro-Rettungsschirm: Die Gründe für Portugals Desaster
Das Armenhaus Westeuropas beantragt Finanzhilfen der EU - und schlüpft nun doch unter den Euro-Rettungsschirm. Das Land lebte lange Zeit über seine Verhältnisse. FTD.de erklärt, wie die Portugiesen so tief in die Krise rutschen konnten.Portugal hat kapituliert: Das schuldengeplagte Land bittet die europäischen Partner um Finanzhilfen, um seine maroden Finanzen in den Griff zu bekommen. Am späten Donnerstag beantragte das hochverschuldete Land offiziell Finanzhilfen der Europäischen Union. Eine entsprechende formelle Bitte sei in Brüssel eingegangen, teilte die EU-Kommission mit. Portugal ist nach Griechenland und Irland das dritte Euro-Land, das internationale Finanzhilfe beantragt.
Vor den Parlamentswahlen Anfang Juni soll das Hilfspaket fertig sein. Spekuliert wird über ein Volumen von 60 bis 90 Mrd. Euro. Lange hat sich die Regierung gegen den Schritt gewehrt. Doch bei der Vielzahl der Probleme blieb zuletzt kein anderer Ausweg. Hier ein Bilck auf Portugals Baustellen:
Bis zu ihrem Rücktritt wurde das Land von einer sozialistischen Minderheitsregierung unter Ministerpräsident José Sócrates geführt. Lange Zeit ging das gut, weil die sozialdemokratische Opposition die Sparpläne der Regierung nicht torpedierte. Doch die Verlockung war dann doch zu groß. Obwohl auch Oppositionsführer Pedro Passos Coelho den Sparzwang nicht bezweifelt, lehnte seine liberal-konservative Sozialdemokratische Partei das letzte Krisenpaket der Regierung ab.
Sócrates ist seitdem nur geschäftsführend im Amt. Erst am 5. Juni wird ein neues Parlament gewählt. Die Regierungskrise verschärfte die Probleme des Landes. Ratingagenturen stuften das Land herab und in der Folge stieg der Risikoaufschlag auf portugiesische Anleihen auf Werte über acht Prozent. Die Schmerzgrenze der Regierung lag bei sieben Prozent.
Finanzminister Fernando Teixeira dos Santos kündigte daher an, europäische Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Er nutzte das zugleich für einen Seitenhieb auf die Opposition, deren verantwortungsloses Verhalten für die jetzt eingetretene Situation verantwortlich sei. Laut Umfragen ist ein Regierungswechsel wahrscheinlich. Unsicher ist aber, ob die Sozialdemokraten mit absoluter Mehrheit regieren können, oder auf einen Partner angewiesen sind.
Portugal hat ein Jahrzehnt mit niedrigen Wachstumsraten hinter sich. Die Wirtschaftsleistung stieg lediglich um durchschnittlich 0,7 Prozent pro Jahr. Ein Grund für die anhaltende Schwäche ist die veraltete Struktur der portugiesischen Wirtschaft. Die industrielle Basis des Landes gilt als dünn. Großer Hoffnungsträger ist der Dienstleistungssektor, der im Jahr 2009 gut 75 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beisteuerte. Vor allem der Tourismus spielt eine wichtige Rolle für das Land.
Anschluss an den Lebensstandard des europäischen Durchschnitts haben die zehn Millionen Portugiesen nicht gefunden. Das relative Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 76 Prozent des EU-Mittelwerts. Es hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Trotzdem leistete sich das Land soziale Wohltaten, die auf Pump finanziert wurden.
Das Haushaltsdefizit Portugals schnellte in der weltweiten Wirtschaftskrise auf 9,3 Prozent des BIP hoch. Ursache waren die Konjunkturanreize, mit denen die Regierung wie andere Länder auch die Rezession bekämpfte. Doch die Krise warf auch ein grelles Licht auf die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Investoren verloren das Vertrauen und Portugal geriet in den Sog der Griechenland-Krise.
Die Regierung wollte die Probleme jedoch ohne Hilfe von Außen lösen. Premier Sócrates versprach den Fehlbetrag schrittweise unter die im Euro-Stabilitätspakt vorgesehene Grenze von 3,0 Prozent des BIP zu senken. Für 2011 sind 4,6 Prozent anvisiert - ein ehrgeiziges Ziel, das nur mit einer Rosskur erreicht werden kann. Portugal müsste seine Sparanstrengungen gegenüber dem vergangenen Jahr sogar verdoppeln.
Banken-Volkswirte attestierten dem Land zuletzt, auf einem guten Weg zu sein. In den ersten Monaten habe sich das Defizit stärker verringert als eigentlich notwendig, meinte Christoph Weil von der Commerzbank kurz nach dem Rücktritt der Regierung. 2012 wollte die amtierende Regierung die Drei-Prozent-Marke wieder einhalten und in den folgenden Jahren den Fehlbetrag weiter verringern.
Zur Sanierung der Staatsfinanzen hat die Regierung im vergangenen Jahr ein Stabilitäts- und Wachstumsprogramm aufgelegt, das dreimal aktualisiert wurde. Es sieht Einschnitte bei den Gehältern der Staatsbediensteten vor und die Streichung von sozialen Leistungen. Außerdem fror die Regierung die Pensionen ein und erhöhte die Mehrwertsteuer von 21 auf 23 Prozent.
Das Programm blieb nicht ohne Widerspruch. Die Gewerkschaften legten im November 2010 das Land für einen Tag mit einem Generalstreik lahm. Sie warfen der Regierung vor, mit ihrem Sparkurs die Falschen zu treffen und die Konjunktur abzuwürgen. Die Arbeitslosigkeit ist auf mehr als zehn Prozent gestiegen. Negative Folgen für den privaten Konsum werden nicht ausbleiben.
Die EU-Kommission ging in ihrer Herbstprognose davon aus, dass Portugal 2011 in die Rezession zurückfällt. Um ein Prozent werde die Wirtschaftsleistung schrumpfen, hieß es in der Vorhersage vom November 2010. Die Arbeitslosenquote soll auf elf Prozent steigen.
- © 2011 Financial Times Deutschland
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