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Merken   Drucken   07.04.2011, 16:12 Schriftgröße: AAA

   

Gutachten der Wirtschaftsinstitute: So fit ist Deutschland

Die führenden Wirtschaftsforscher sehen das Land vor einem andauernden Aufschwung mit weniger Arbeitslosen. Von Steuerentlastungen raten sie ab. FTD.de zeigt, wie stark Deutschland ist - und wo die Forscher Gefahren für den Aufschwung sehen.
Die deutsche Wirtschaft wird nach Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in diesem Jahr um fast drei Prozent wachsen und die Zahl der Arbeitslosen weiter sinken lassen. In ihrer Gemeinschaftsdiagnose vom Donnerstag erhöhten die Institute ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf 2,8 Prozent gegenüber den zwei Prozent, die sie im vergangenen Herbst erwartet hatten. Auch im nächsten Jahr werde der Zuwachs mit 2,0 Prozent noch relativ kräftig bleiben.
Ein Containerterminal am Hamburger Hafen   Ein Containerterminal am Hamburger Hafen
Die Institute rechnen damit, dass weitere Zinsschritte der EZB folgen werden. Die Hüter der Gemeinschaftswährung haben am Donnerstag erstmals seit Juli 2008 den Leitzins erhöht. Ende 2012 werde das Zinsniveau dann voraussichtlich bei zwei Prozent liegen, prognostizieren die Volkswirte der Institute.
Die Forscher empfehlen für Deutschland weiter zu sparen. Im vergangenen Jahr hatte das Wachstum 3,6 Prozent betragen. Die Institute erwarten, dass sich die Auftriebskräfte vom Export allmählich zur Binnennachfrage verschieben.
Das Frühjahrsgutachten mit dem Titel "Aufschwung setzt sich fort - Europäische Schuldenkrise noch ungelöst", an dem acht Institute beteiligt sind, ist eine wichtige Grundlage für die neue Wachstumsprognose der Bundesregierung, die Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) am 14. April vorstellt. Auch die nächste Steuerschätzung im Mai hängt davon ab. FTD.de beleuchtet die wichtigsten Aspekte.
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute raten der EZB insgesamt zu einer behutsamen Zinspolitik. "Die EZB sollte angesichts der immer noch erhöhten Unsicherheit eine gewisse Vorsicht walten lassen." Allerdings sei zu konstatieren, dass die Geldpolitik auch in denjenigen Ländern im Euroraum weiter deutlich expansiv wirken dürfte, deren Konjunktur überdurchschnittlich gut laufe.
Die durchschnittliche Arbeitslosenzahl dürfte dieses Jahr um rund 350.000 auf knapp 2,89 Millionen im Jahresdurchschnitt sinken. Im nächsten Jahr werde sie dann auf 2,71 Millionen runter gehen. Das bedeutet einen Rückgang der Arbeitslosenquote von 7,7 Prozent 2010 auf letztlich 6,5 Prozent 2012. "Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich angesichts des kräftigen Aufschwungs weiter verbessern", heißt es in dem Frühjahrsgutachten.
Ein Schild bei der Bundesagentur für Arbeit in Frankfurt am Main   Ein Schild bei der Bundesagentur für Arbeit in Frankfurt am Main
Für das laufende Jahr rechnen die Institute mit einem Plus von 430.000 Erwerbstätigen, im nächsten Jahr mit einem Anstieg um 275.000. Allerdings drohen nach Angaben der Experten zunehmende Gefahren für die Preisstabilität angesichts von Kostenanstiegen, etwa im Rohstoffbereich.
In den Brieftaschen der Arbeitnehmer zahlt sich das Comeback der deutschen Wirtschaft ebenfalls aus. Positiv wirken sich hohe Tarifabschlüsse aus, wie das Plus von 2,4 Prozent bei den Beschäftigten der Länder oder die 3,2 Prozent für die Beschäftigten von Volkswagen. Die Institute sagen unter dem Strich weitere Lohnsteigerungen in diesem und im nächsten Jahr voraus. Höhere Kosten für Strom, Benzin oder Lebensmittel fressen einen Teil aber wieder auf.
In ihrer Frühjahrsprognose sehen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute trotz der guten Konjunktur keine Spielräume für Steuersenkungen. Stattdessen empfehlen sie einen strikten Sparkurs, den Abbau von Subventionen sowie Steuervergünstigungen und Finanzhilfen abzubauen. Gerade im Aufschwung seien die Bedingungen für weniger Schulden bei den Staatsfinanzen günstig. Die Forscher warnen, schon heute sei die Staatsverschuldung mit einer Quote von 83 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu hoch. Der Euro-Stabilitätspakt sieht eine Grenze von 60 Prozent vor.
Durch die deutsche Hilfe für die anderen Euro-Länder drohe der Schuldenberg weiter zu wachsen. "Bereits im kommenden Jahr müssen mehr als zehn Prozent des Steueraufkommens für die Zinsen auf öffentliche Schulden aufgebracht werden", schreiben die Institute. Insgesamt sitzen Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen auf einem Schuldenberg von rund 2 Billionen Euro. Die Forscher warnen, alleine durch den zu erwartenden Anstieg der Kapitalmarktzinsen werde sich der Schuldendienst verteuern: Ein Anstieg der Durchschnittsverzinsung um einen Punkt würde mittelfristig zu einer Mehrbelastung von über 18 Mrd. Euro pro Jahr führen.
Mit ihrem Zukunftspaket zur Sanierung des Bundeshaushaltes habe die Koalition einen großen Schritt in die richtige Richtung getan, schreiben die Forscher. Es soll den Haushalt bis 2014 um insgesamt 76 Mrd. Euro entlasten und setzt dabei auf einen Mix aus Einsparungen und Mehreinnahmen. Die Institute warnen aber eindringlich, wegen der guten Konjunktur den Sparkurs zu verlassen. So sei eine ganze Reihe von Plänen bisher nicht hinreichend präzisiert. Das gelte etwa für die geplante Effizienzsteigerung bei der Arbeitsvermittlung oder die Bundeswehr-Reform.
Allerdings ist die Prognose den Instituten zufolge mit "beachtlichen Risiken" belastet. Als Risiko für die deutsche Wirtschaft wird unverändert die Euro-Schuldenkrise bewertet. Die Ökonomen loben zwar das beschlossene Gesamtpaket zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung und den Aufbau des dauerhaften Rettungsschirms. Die Aussagen zur künftigen Beteiligung von Gläubigern seien aber schwammig. Das könnte die Märkte verunsichern. "Eine Beteiligung der Kapitalgeber ist nur glaubhaft, wenn ein staatlicher Zahlungsausfall nicht zu größeren Verwerfungen auf den Finanzmärkten oder im Bankensystem führen." Um dies zu erreichen, ist ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten erforderlich.
Ein Mann mit einer Maske geht in Tokio an einem Display mit ...   Ein Mann mit einer Maske geht in Tokio an einem Display mit Börsenkursen vorbei
Die Auswirkungen der Katastrophe in Japan auf die Weltwirtschaft würden "voraussichtlich nur kurzzeitig spürbar sein", schrieben die Forscher. Würde sich aber das Öl verknappen wegen der Aufstände in Arabien oder die Schuldenkrise in einigen europäische Staaten zuspitzen, könnte dies die deutsche Wirtschaft belasten.
Für Verunsicherung bei den Unternehmen sorgt dabei insbesondere der blutige Konflikt in Libyen - einem Land, das viel Öl und Gas nach Europa liefert. Ein Fass des Nordseeöls Brent Crude kostete am Donnerstag mit 121,59 Dollar bis zu 0,6 Prozent weniger. US-Leichtöl WTI  verbilligte sich in der Spitze pro Barrel ebenfalls um 0,6 Prozent auf 108,23 Euro.Die Institute haben aber ausgerechnet, dass die Unruhe im arabischen Raum aktuell nur gut 10 US-Dollar pro Barrel zu den steigenden Ölpreisen beiträgt. "Dies dürfte die weltwirtschaftliche Expansion nur wenig schmälern."
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