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Merken   Drucken   07.04.2011, 18:13 Schriftgröße: AAA

   

Out of Office: Spaniens verkaufte Kinder

Es ist ein Skandal, der Spanien in seinen Grundfesten erschüttert: Jahrzehntelang nahmen die katholischen Eliten des Landes Eltern die Kinder weg und verhökerten sie. Jetzt kämpfen die Opfer um Gerechtigkeit. von Lukas Grasberger, Vilanova i la Geltrú
Juan Luis Moreno erfuhr am Totenbett seines Vaters, wie viel er ihm wert war. "Wir haben dich für 150.000 Peseten gekauft, von einem Priester", gestand ihm der 81-Jährige vor ein paar Jahren im Krankenhaus eines Vororts von Barcelona. "Mein ganzes Leben war auf einmal Betrug", sagt Moreno heute, wenn er an den Moment zurückdenkt, in dem alles zerbrach.
Wochen der Lähmung folgten, aber er konnte sich nicht vor der Welt verstecken, wie er es eigentlich gewollt hätte. Denn die Beichte seines Vaters hatte noch eine weitere Lebenslüge aufgedeckt: Auch sein bester Freund Antonio Barroso, ein Spielkamerad noch aus der Sandkastenzeit, war ein gekauftes Kind, ebenso wie Moreno selbst. Auch ihn erstanden dessen Eltern 1969 im nordspanischen Saragossa wie eine Ware; für eine ähnliche Summe, nach heutiger Kaufkraft etwa 18.000 Euro. Moreno vertraute sich Barroso an, und beide beschlossen, ihre leiblichen Eltern zu suchen - was sie fanden, war ein verbrecherisches Netzwerk aus der Franco-Zeit, dessen dunkles Vermächtnis Spanien gerade in den Grundfesten erschüttert.
Antonio Barroso (M.) und Juan Luis Moreno leiten eine ...   Antonio Barroso (M.) und Juan Luis Moreno leiten eine Hilfsorganisation, Karina Barbara Catalán ist eine ihrer Klienten
Denn die zwei Freunde waren bei Weitem nicht die einzigen Kinder, die damals an Zieheltern verschachtert wurden. Barroso und Moreno gründeten im vergangenen Jahr eine Opferorganisation, Anadir, bislang hat sie zusammen mit zwei anderen Organisationen rund 1500 Fälle gefunden. Nach dem Spanischen Bürgerkrieg nahm das faschistische Franco-Regime ganz gezielt Oppositionellen die Kinder weg.
Anfänglich sollten so ausschließlich "rote Eltern" an der Weitergabe ihres Gedankenguts an die nächste Generation gehindert werden, später dann bereicherten sich die katholischen Eliten des Landes auf Kosten derer, die in ihren Augen kein Recht auf Kinder hatten: ledige und damit sündige Mütter. Erfolgte der politische Kinderraub noch offen, wurde er später verheimlicht: Den Müttern wurde erzählt, ihre Kinder wären kurz nach der Geburt gestorben. Über kirchliche Heime wurden die Säuglinge dann an Paare vermittelt, denen gesagt wurde, die Mütter seien minderjährig, drogenabhängig oder Prostituierte. Hebammen, Ärzte, Nonnen, Priester - alle wussten Bescheid, alle wahrten das Schweigen. Ein Schweigen, das auch nach dem Ende der Franco-Diktatur anhielt. Das Regime und alles, was mit ihm verbunden war, wurde in Spanien tabuisiert, damit erkaufte sich das Land den auch personell nahtlosen Übergang zur Demokratie.
Bis Ende Januar Barroso eine Sammelklage von 261 Fällen bei der obersten Anklagebehörde des Landes einreichte. Seitdem kommen immer mehr Fälle an Tageslicht, richten täglich Söhne im Fernsehen Aufrufe an ihre leiblichen Väter, suchen Mütter ihre Töchter, Zwillinge ihre Geschwister. Während sie ihrer Identität nachforschen, reißen sie die Narben der Vergangenheit wieder auf. Es ist, als wäre ein ganzes Land auf der Suche nach sich selbst.
"Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Sie haben mir mein anderes Leben geraubt", sagt Moreno im Anadir-Büro der Küstenstadt Vilanova i la Geltrú. Er ist ein baumlanger Mann, 41 Jahre jung, und doch schon gebrochen. Nur wenige Jahre alte Fotos zeigen ihn mit vollem schwarzen Haar und lebensfrohen Blick, heute sitzt da ein fast grauer, zerfurchter Mann, den Psychologen durchs Leben leiten müssen. Er ist Beleuchtungstechniker, hat kräftige Hände, die gern zupacken, doch in dieser Geschichte findet er keinen Halt.

Teil 2: Alle Vorwürfe sind schon verjährt

  • © 2011 Financial Times Deutschland
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