Wiener Zeitung Homepage Neu in der Linkmap:
 
  Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung ePaper der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Europa  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon Interview  Glossen  Bücher  Musik  Debatten 
Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Wettlauf ins Weltall

Jeder dieser sieben Mercury-Astronauten, die bereits 1958 ausgewählt worden waren, wollte als erster Mensch ins All. Doch Juri Gagarin kam ihnen 1961 zuvor. Foto: NASA

Jeder dieser sieben Mercury-Astronauten, die bereits 1958 ausgewählt worden waren, wollte als erster Mensch ins All. Doch Juri Gagarin kam ihnen 1961 zuvor. Foto: NASA

Von Christian Pinter

Mit Juri Gagarins "Wostok"-Flug vor 50 Jahren begann die Ära der bemannten Raumfahrt, bei welcher die USA gegenüber den Sowjets vorerst das Nachsehen hatten.

Am 12. April 1961 ragt am sowjetischen Weltraumbahnhof Tjura Tam in Kasachstan eine umgebaute, atomwaffenfähige Langstreckenrakete vom Typ R7 in den Himmel. An ihrer Spitze hat man eine Stahlkapsel mit 2,5 Tonnen Gewicht montiert, getestet mit Hündinnen. die nicht alle überlebt haben.

Nun sitzt der 27-jährige Major Juri Gagarin in der 2,3 Meter weiten Kugel, die den Namen "Wostok" ( russ.: Osten ) trägt. Er kann halbwegs sicher sein, die nächsten beiden Stunden heil zu überstehen – aber mehr nicht. Um 7.07 Uhr MEZ feuern die Raketentriebwerke los. Juri stößt ein "Pojechali!" ("Los geht’s!") aus, dann wird er in den Sitz gepresst. Minuten später schießt er schon mit 28.000 km/h gen Osten dahin, 320 km über dem Boden. Dabei bricht er den Höhen- und Geschwindigkeitsrekord. Und er ist der erste Mensch im All!

In Düsenjets hat man die Schwerelosigkeit bisher bei speziellen Flugmanövern bestenfalls ein paar Sekunden herstellen können. Nun wirkt sie eineinhalb Stunden lang auf Gagarin ein. Niemand weiß, wie sein Körper darauf reagieren wird. Daher fliegt die Wostok vollautomatisch. Nur bei einer technischen Störung darf Juri selbst das Steuer übernehmen. Während er immer wieder über sein Befinden berichten muss, bewundert er die Farben der irdischen Landschaften oder die Sterne. Hier oben, fernab der dichten Erdatmosphäre, funkeln sie nicht mehr.

Der am 9. März 1934 geborene Jagdflieger Gagarin ist einer jener jungen Militärjetpiloten, die sich für den Flug einer "speziellen Maschine" gemeldet hatten. Erst die zwanzig handverlesenen Kosmonautenanwärter erfuhren später mehr. Sie trainieren im Verborgenen. Nicht einmal Eltern oder Freunde wissen, um welche "Maschine" es tatsächlich geht. Jetzt, als Juri bereits Nordostsibirien hinter sich gelassen hat, bricht Moskau das Schweigen. Die Nachrichtenagentur TASS sendet die Erfolgsmeldung in alle Welt: Ein Sowjetbürger umkreist die Erde! Und das nur dreieinhalb Jahre, nachdem man das Raumfahrtzeitalter mit dem Satelliten "Sputnik" eröffnet hat.

Juri hetzt über Nordamerika, dann über den Atlantik. Knapp bevor er Afrikas Westküste sieht, zündet das Bremstriebwerk und bremst seine Wostok ein wenig ab. Die Kapsel sinkt in der Folge ab und taucht in dichtere Schichten der Lufthülle ein. Die Reibung übernimmt die weitere Bremsarbeit. Der kragenförmige Versorgungsteil sollte jetzt bereits längst abgesprengt sein. Doch ein Steckkontakt hat sich nicht gelöst. Ein Kabel zieht den gefährlichen Ballast hinter der Kapsel her und schmilzt erst Minuten später durch.

0904Emarke

Eine russische Briefmarke erinnerte 2004 an den nationalen Helden Juri Gagarin. Foto: Pinter

Grelles, feurig heißes Plasma umgibt nun die Kugel, die rundherum mit einem Thermoschutz versehen ist. Dann, in knapp 7000 Metern Höhe, wird der Kosmonaut mitsamt seinem Sitz aus der Wostok geschleudert. Kapsel und Passagier gleiten programmgemäß an getrennten Fallschirmen erdwärts; ein Faktum, das Moskau verschweigen wird. Die Kapsel kracht in der 108. Flugminute in den Boden, mit 32 km/h. Juri landet in seinem orangefarbigen Raumanzug kurz danach.

Präsident Nikita Chrusch- tschow umarmt ihn bewegt. Zwei Wochen später wird der neue Nationalheld Gagarin auf Reisen geschickt. Optimistisch, freundlich und meist lächelnd, kommt Juri auch im Ausland gut an. Er soll Sympathien für das Sowjetsystem wecken.

Die USA aber erleiden mit Gagarins Premierenflug eine weitere Weltraumschlappe. Dabei hatten sie der Sowjetunion doch auf jeden Fall zuvorkommen wollen. Schon 1958 suchte man Kandidaten für ein "bemanntes Satelliten-Projekt". Es sollte einen Menschen mit Hilfe der weitgehend schon vorhandenen Technologie ins All bringen. Dabei betritt man völliges Neuland. Sieben Männer werden der Presse präsentiert: allesamt Militär- und Testpiloten, Familienväter und Patrioten. Anders als ihre geheim gehaltenen Kollegen in der UdSSR stehen die hoffnungsvollen Amerikaner schon seit zwei Jahren im Scheinwerferlicht. Die Zeitungen spekulieren, wer von ihnen der Erste im All sein wird. Doch jetzt haben alle das Nachsehen. Die NASA-Mitarbeiter erleben Gagarins Weltraumpremiere mit "Frustration und Bewunderung", erinnert sich später Gene Kranz. Er wird bald verantwortlicher Flugdirektor in Houston sein. Jeder Erfolg der Russen ist für ihn und seine Kollegen "ein Schock": Was immer man tut, Moskau scheint stets einen Schritt voraus zu sein.

Die Mercury-Kapsel ist nach dem flinken römischen Götterboten Merkur benannt; sein Name soll die Geschwindigkeit des Gefährts und des ganzen US-Programms rühmen. Anstatt einer einfachen Kugelform nehmen die Amerikaner einen Kegelstumpf als Vorlage. Nur die breite Grundfläche der Mercury wird von einem Hitzeschild geschützt. Entsprechend wichtig ist die korrekte Lage der Kapsel beim Wiedereintritt. Am anderen Kegelende findet ein zylindrischer Fallschirmbehälter Platz. Dennoch ist ein harter Aufprall zu erwarten. Daher landet das US-Gefährt nicht, sondern "wassert" im Ozean.

Schmale Mercury-Kabine

Anders als ihr russisches Pendant, besitzt die Mercury keinen separaten Versorgungsteil. Alles wird in die Kabine selbst gezwängt: Lebenserhaltungssystem, Funkausrüstung, Tanks, Batterien, armdicke Kabelstränge und Schläuche. Dazwischen bleibt gerade genug Platz für den einsamen Piloten. Mit einem maximalen Außendurchmesser von 188 cm ist die Mercury deutlich schmächtiger als die Wostok und wiegt auch bloß 1400 kg. Man zollt der schwächeren Leistung amerikanischer Raketen Tribut.

Als Träger dient zunächst eine modifizierte Redstone. Wernher von Braun hat diese Mittelstreckenrakete für die Army gebaut, zum ballistischen Abschuss von Atomsprengköpfen. Des geringen Schubs wegen kann sie die Mercury aber nicht in eine Erdumlaufbahn stemmen. Die ersten beiden bemannten Kapseln sollen deshalb nur kurz in den Weltraum vordringen und schon 500 km östlich von Cape Canaveral wieder ins Meer plumpsen.

0904Eshepard

Astronaut Alan Shepard kurz vor dem Start am 5. Mai 1961. Foto: NASA

Am 5. Mai 1961 nimmt Alan Shepard an der Spitze der vollbetankten Redstone-Rakete Platz. Zuvor hat er für die Navy Kampfjets getestet, das Auftanken von Bombern in der Luft und die neuen Landebahnen auf Flugzeugträgern; diese werden aus Platzgründen schräg zur Schiffsachse ausgerichtet. Shepards Hobbys sind Wasserschifahren und Golfen.

Technische Probleme führen zu stundenlangen, quälenden Startverzögerungen. Um Shepard zu entspannen, spielt man einen Gag des Show-Stars Bill Dana ein; der hat den fiktiven, ängstlichen Astronauten "Jose Jimenez" erfunden: "Sie wollten eigentlich einen Hund raufschicken, aber sie fanden es zu grausam", jammert Jose. Natürlich hat man auch die Mercury vorher mit Tieren getestet, allerdings mit Primaten. Zuerst mussten die Rhesusaffen Sam und Miss Sam darin fliegen, dann der Schimpanse Ham.

Fensterlose Kapsel

Shepard tauft seine Mercury-Kapsel "Freedom 7", doch viel Freiheit hat er darin nicht. In seinem Gesichtsfeld steht eine Instrumententafel mit Dutzenden von Kontrollanzeigen, Schaltern, Sicherungen und Hebeln. Sein Kollege John Glenn hängt noch einen Zettel daran: "Handballspielen ist hier nicht erlaubt". Shepard liegt mit angewinkelten Beinen auf dem Rücken. Dazwischen ragt ein Sehrohr hoch. Auf Fenster hat man – sehr zum Ärger der Astronauten – aus Sicherheitsgründen verzichtet.

Dann, endlich, hebt die Redstone ab. Ihr Tempo von 8300 km/h reicht nur für eine Flughöhe von 187 km. Doch wenigstens hat sie nun auch den Amerikanern das Tor zum Weltraum aufgestoßen. Automatisch dreht sich die Mercury jetzt herum, das stumpfe Ende weist in Flugrichtung. Auch Shepard darf die Lage des Gefährts mit dem Steuerknüppel verändern. Sechs Sensoren überwachen seine Körperfunktionen. Selbst der Tonfall seiner Stimme wird analysiert. Der Pilot bleibt trotz der Schwerelosigkeit einsatzfähig – eine wichtige Voraussetzung für alle weiteren Projekte. Shepard empfindet das Fehlen der Erdenschwere entspannend, ja sogar "behaglich".

Zu Testzwecken feuern die drei Bremstriebwerke los. Doch die Mercury fiele auch ohne sie rasch wieder vom Himmel. Von der Luft radikal abgebremst, ist Shepard für kurze Zeit elfmal so schwer wie auf Erden. Dann sinkt das Fahrzeug an einem orange-weißen Fallschirm herab. Shepards Flug dauert nur 15 Minuten, doch die anschließenden Paraden im ganzen Land viel, viel länger.

Kaum drei Wochen später fasst Präsident John F. Kennedy einen gewagten Entschluss. Er hat bei der NASA nachgefragt, wie man die Russen wenigstens mittelfristig übertrumpfen könnte – und entscheidet sich für das Projekt einer bemannten Mondlandung noch vor Ende des Jahrzehnts. Am 25. Mai 1961 schwört er die ganze Nation in einer historischen Rede auf dieses Ziel ein. Dabei haben die Amerikaner damals noch nicht einmal die Erdumlaufbahn erreicht! Dirigent des ehrgeizigen bemannten Raumflugprogramms ist George Michael Low. 1926 bei Wien geboren, wanderte er nach dem "Anschluss" Österreichs in die USA aus – und steigt zum stellvertretenden Leiter der NASA auf.

Die Technik hat jede Menge Tücken. Die Mitarbeiter der Flugkontrolle fürchten, ein oder zwei Astronauten könnten bei den Mercury-Missionen sterben. Die Raumfahrer kennen das Risiko – auch Virgil Grissom, der Shepards Flug am 21. Juli wiederholen soll. Der Air Force Pilot bringt Kriegserfahrung aus Korea mit. Mehr Platz als das Cockpit eines Kampfjets bietet auch seine Mercury nicht. Er nennt sie "Liberty Bell".

Mittlerweile haben sich die Astronauten durchgesetzt: Grissoms "Freiheitsglocke" besitzt bereits ein kleines Fenster, knapp über dem Instrumentenpult. Während des Aufstiegs ins All wechselt der Himmel von hellem Blau zu dunkelstem Schwarz. Der Astronaut blickt auf Florida hinab, auf weißen Sand und blaues Meer. Über Kuba hängen gleißend helle Wolken; die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht liegt drei Monate zurück. ( Siehe dazu Beitrag auf Seite 3, Anm. ) Fünf Minuten lang ist Grissom schwerelos. Auch er hat damit kein Problem. Wenig später mildert ein luftgefüllter Sack den Aufschlag seiner Kapsel im Atlantik.

Der erste "Raumkranke"

Kaum hat Grissom die Sicherungsstifte entfernt, sprengen die neuen, kleinen Explosivladungen die Luke der Kapsel zu früh weg. Wasser schwappt hinein. Grissom hievt sich ins Freie, doch der Druckanzug zieht ihn langsam in die Tiefe. Die Besatzungen der Rettungshubschrauber missverstehen sein Winken. Die erste Crew müht sich vergeblich mit der sinkenden "Liberty Bell" ab. Erst die dritte bewahrt den Astronauten vor dem Ertrinken.

Die NASA loggt jetzt insgesamt 31 Minuten im All. Doch die Russen schlagen zurück und demütigen ihren Konkurrenten geradezu: Am 6. August 1961 schicken sie German Titow in den Erdorbit, und zwar gleich einen ganzen Tag lang! 17 Mal sieht er dort die Sonne auf- und untergehen, schnell und spektakulär. Mehrere Erdumkreisungen lang schläft der 25-jährige Luftwaffenpilot sogar. Sein Kreislauf kämpft noch immer gegen die sonst so vertraute Schwerkraft an, das Blut schießt in seinen Kopf, die Schwerelosigkeit narrt seinen Gleichgewichtssinn.

Als erster Mensch wird Titow von den Symptomen der "Raumkrankheit" geplagt, einer kosmischen Version der Seekrankheit. Nach 25 Stunden Einsatz im All landet er zwar unbeschadet neben der Wostok-2, doch seine gesundheitlichen Probleme irritieren die sowjetischen Weltraummediziner. Sie sind eine der Ursachen für die nun folgende, zwölf Monate währende Flugpause.

Daher klingt das Jahr 1 der bemannten Raumfahrt bereits im August 1961 aus. Doch was passiert mit seinen Helden?

Gagarins tragisches Ende

Moskau will das Idol Gagarin nicht mehr dem Risiko eines Raumflugs aussetzen, schon gar nicht nach dem tödlichen Unfall eines Kosmonautenkollegen. Juri ertrotzt sich zumindest das Recht, Düsenjets zu fliegen. Dazu sind neue Übungsflüge nötig. Am 27. März 1968 gerät seine MiG-15 außer Kontrolle, wahrscheinlich nach einer Beinahe-Kollision mit einem größeren Abfangjäger und stürzt ab. Man setzt Gagarin und seinen Ausbilder an der Kremlmauer bei. Auch German Titow wird mit dem Titel "Held der Sowjetunion" ausgezeichnet. Er kommt ebenfalls nicht mehr ins All. Nach dem Ende der UdSSR wählt man ihn in die Duma. Am 20. September 2000 bleibt das Herz des 65-Jährigen stehen.

Alan Shepard hingegen hebt knapp zehn Jahre nach seinem Mercury-Abenteuer nochmals ab: als Kommandant der Apollo-14 Mission. Neun Stunden arbeitet er auf der Mondoberfläche. In einer kurzen Pause schlägt er Golfbälle. Einer fliegt "Meilen und Meilen", erzählt Shepard augenzwinkernd. Er stirbt 1998 an Leukämie.

Virgil Grissoms nächster Einsatz erfolgt bereits 1965. Er kommandiert die erste Gemini-Kapsel. Später wird er auch den Jungfernflug des dreisitzigen Apollo-Schiffs leiten; dessen Luke geht aber nur noch nach innen auf. Beim Bodentest am 27. Jänner 1967 bricht Feuer in der Kabine aus – und greift in der reinen Sauerstoffatmosphäre rasch um sich. Der Druck im Inneren steigt und verhindert das Öffnen der Luke. Als die Techniker endlich zu den Astronauten vordringen, sind Grissom und seine beiden Kollegen bereits tot.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra". Dieser ist sein 250. Artikel in der "Wiener Zeitung"! http://www.himmelszelt.at

 

Printausgabe vom Samstag, 09. April 2011
Online seit: Freitag, 08. April 2011 15:23:00

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*
H-DMZN07 Bitte geben sie den Sicherheitscode aus dem grünen Feld hier ein. Der Code besteht aus 6 Zeichen.



* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Feedback-Regeln.

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum · AGB