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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Meteorite sind eine Art Eilpost aus fernen Zeiten – und ein beliebtes Briefmarkenmotiv

Botschaften aus dem Weltall

Die neue Sondermarke trägt meteoritischen Staub. Das Steinfragment darüber stammt vom gleichen Himmelsboten. Foto: Pinter

Die neue Sondermarke trägt meteoritischen Staub. Das Steinfragment darüber stammt vom gleichen Himmelsboten. Foto: Pinter

Von Christian Pinter

Die Fingerspitzen spüren den Staub des Meteoriten, der erstmals auf eine Briefmarke aufgebracht wurde: Jeweils 0,03 Gramm konzentrieren sich im zentralen orangeroten Feuerball. Er rast, etwas früh erstrahlend, auf unseren blauen Planeten zu. Die Idee zu dieser Weltpremiere hatte die österreichische Post. Der erfahrene heimische Mineralienhändler Ahmed Pani steuerte den Meteoriten bei – ein Fundstück aus der Sahara. 19 kg wurden fein zermahlen und von der Staatsdruckerei auf 600.000 Marken verteilt. Zuvor analysierte Franz Brandstätter die chemische Zusammensetzung des Himmelsboten. Als Leiter der mineralogisch-petrografischen Abteilung des Naturhistorischen Museums ordnete er ihn der Steinmeteoritenklasse "Chondrit, H4" zu.

Die Präsentation der neuen Marke fand ebenfalls im Museum statt, direkt vor dem Eingang des weltberühmten Meteoritensaals. Dort ruhen, eingebettet in einen einzigartigen historischen Rahmen, 5000 Besucher aus dem All. Nirgendwo auf der Welt ist man von so vielen "Außerirdischen" umgeben.

Mit der Sondermarke lässt sich ein Brief von 1001 bis 2000 Gramm frankieren. Das entspricht dem Gesamtgewicht jener Meteorite, die alle zwei bis vier Stunden irgendwo auf die Erde nieder gehen – fast immer unbemerkt. Wirklich wahrgenommen werden bloß sechs oder sieben Fälle pro Jahr. Die Mehrzahl der Meteoritenfunde gelingt heute ohne Fallbeobachtung. Geübte Augen stöbern die dunklen Steine in kalten und heißen Wüstengebieten auf – vor allem in der Antarktis, in Nordafrika und im Oman. Getauft werden die kosmischen Sendungen nach ihrem Fundplatz. So kam auch der Meteorit "Post" zu seinem Namen. Man entdeckte ihn 1965 in einer texanischen Ortschaft, deren Gründer Charles William Post hieß. Früher favorisierte man bei der Namenswahl die nächste Siedlung mit eigenem Postamt. Daher war klar, wie man um 1930 eine außerirdische Eisenmasse bezeichnen würde, die keine zwei Kilometer östlich des Postamts von Landes, West Virginia, einschlug.

Direkt in ein Postamt eingeschlagen hat bisher aber noch kein Himmelsgeschoss. Allerdings zerschlug 1984 ein Steinmeteorit nahe Claxton, Georgia, das Postkästchen von Carutha Barnard. Nach dieser höchst persönlichen Zustellung hing die getroffene Metallbox traurig und schief vom Holzpfahl herab. "An einen Haushalt" adressiert war jener Meteorit, der 2004 in einem Stadtteil von Auckland, Neuseeland, abstürzte. Der 1,3 kg schwere Stein schoss durch Dach und Zimmerdecke eines Privathauses, prallte von der Couch zum Plafond hoch und kullerte schließlich unter den Computer-Tisch.

Meteorite sind Eilpost. Sie dringen mit mindestens 40.000 km/h in die Erdatmosphäre ein. Die stellt sich ihnen dabei fast wie eine Wand entgegen, umhüllt jeden Raser mit einem gleißenden Feuerball. Von früheren Kollisionen im All geschwächt, brechen vor allem Steinmeteorite häufig schon etwa 15 km über dem Erdboden auseinander. Der Luftwiderstand sortiert ihre Fragmente nach Gewicht. Schräger Einfallswinkel vorausgesetzt, kommen die leichten Bruchstücke im hinteren, die schweren im vorderen Teil der sogenannten "Streuellipse" herab.

Am 8. März 1976 zerlegte es einen Himmelsboten von 15 Tonnen Masse über der chinesischen Provinz Jilin. Hunderte Steine prasselten auf ein Gebiet mit 70 km Länge und 10 km maximaler Breite herunter. Am weitesten schoss ein Fragment von 1,8 Tonnen Gewicht: Es bohrte sich sechs Meter tief ins Erdreich. China widmete dieser "Massensendung" später gleich drei Briefmarken. Sie zeigen die rötlichen Feuerbälle über dem Fluss Sungari, skizzieren die Entstehung der Streuellipse und erinnern an die mühsame Bergung des weltgrößten Steinmeteoriten.

An sich reist die wertvolle Himmelspost versandkostenfrei durchs All. "Porto" fällt erst auf Erden an, wo die Gesetze von Angebot und Nachfrage gelten: Beim Meteoritenhandel wird nach Gramm bezahlt; die Briefwaage fehlt deshalb auf keiner einschlägigen Börse.

Kleinplaneten als Absender

In Summe hat man weltweit bisher zehntausende Stein-, Eisen- oder Steineisenmeteorite sichergestellt. Man trennt sie nach Klassen, Unterklassen und Gruppen. Die mutmaßlichen Absender sind fast immer Kleinplaneten, die den weiten Raum zwischen Mars und Jupiter bevölkern. Schätzungen zufolge kreist dort eine Million schmächtiger Himmelskörper mit Durchmessern von einem Kilometer und mehr. Die ersten vier entdeckte man zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Ceres, Pallas, Juno und Vesta. 1845 und 1847 steuerte Karl Hencke, ein deutscher Postmeister, mit der Astraea und der Hebe den fünften und sechsten Fund bei. Heute sind zehntausende Kleinplaneten bekannt. Mit Hilfe von Spektraluntersuchungen teilt man sie in 13 Gruppen auf: So gibt es etwa Objekte mit metallischer Oberfläche oder solche, deren Landschaften aus Silikatgestein bestehen; kohlenstoffreiche Körper reflektieren besonders wenig Sonnenlicht, während die Mitglieder der basaltischen Vesta-Gruppe ein auffallend helles Antlitz zeigen.

Ähnliche Untersuchungen stellt man mit zerpulverten Vertretern verschiedener Meteoritenklassen an. So möchte man die verwandtschaftlichen Bande zwischen ihnen und den Kleinplanetengruppen rekonstruieren. Allerdings gelang es bisher nicht zweifelsfrei, die Abstammung eines Meteoriten von einem individuellen, ganz bestimmten Kleinplaneten nachzuweisen. Die meisten Meteorite sind uralte Zeitzeugen. Im Gegensatz zu den mindestens 500 Millionen Jahre jüngeren Gesteinen der Erde erinnern sie sich noch an die "Geburtsstunde" des Planetensystems. Es ist, als hielte man plötzlich einen Brief in Händen, der außergewöhnlich lange auf dem Postweg liegen geblieben ist.

Bevor es uns gab, trieb eine hundert Lichtjahre große Wolke aus Gas und Staub zwischen den Sternen. Sie zerfiel in kugelige, rasch kollabierende Teilwolken. In einer formte sich die anfangs noch wilde Protosonne. Eine flache Materiescheibe umgab sie. Die Sonnenhitze ließ Staub in weitem Umkreis verdampfen. Bei fallenden Temperaturen kondensierten jedoch bald wieder erste, feste Materiekörner aus dem Gas. Wie Meteorite verraten, startete dieser Prozess vor 4,57 Milliarden Jahren.

Jupiters Postamt

Unzählige Staubkörner wurden nochmals bis zum Schmelzpunkt erhitzt. Die Ursache dafür ist umstritten. Jedenfalls erstarrten sie rasch zu millimeterkleinen Kügelchen. Diese Chondren zieren neun von zehn Steinmeteoriten. Mineralogen fassen solche Himmelsboten unter dem Namen "Chondrite" zusammen. Die chondritischen Bausteine des Sonnensystems formten immer größere Pakete, die schließlich zu Himmelskörpern im Format von einigen Kilometern heranwuchsen. Viele dieser urtümlichen Objekte tummeln sich noch heute im Kleinplanetenreich. Dort kommt es allerdings immer wieder zu Karambolagen. Von der Wucht solcher Zusammenstöße zeugen die kantig begrenzten Fragmente, aus denen etliche Chondrite bestehen.

Tatsächlich können heftige Kollisionen Kleinplaneten sogar in Stücke reißen. Ihre Splitter driften dann zum Teil in jene Störungszonen, die der Riesenplanet Jupiter zuvor leergefegt hat. Mit Hilfe seiner enormen Schwerkraft schleudert er die frechen Eindringlinge fort, spielt kosmisches "Verteilerpostamt". Manche sendet er Richtung Erde. Hier stürzen sie oft schon zehn bis 50 Millionen Jahre nach dem Absplittern zu Boden. Wir kennen die Reisezeit, weil die kosmische Strahlung exponiertem Gestein im All einen "Poststempel" aufdrückt. Während die kleinsten Himmelskörper weitgehend unverändert blieben, entwickelten sich die größeren weiter. Vom Zerfall radioaktiver Isotope erhitzt, schmolzen sie auf: Objekte von anfangs recht homogener, chondritischer Zusammensetzung erhielten solcherart einen geschichteten Aufbau. So bekam die Erde schließlich einen schweren Kern aus Nickeleisen, eingehüllt von einem dicken Mantel aus leichterer Silikatschmelze.

Kleinplaneten mit Durchmessern von vielen Dutzend Kilometern erging es wohl ähnlich. Auch sie schmolzen ganz oder teilweise auf, wenngleich bloß für sehr kurze Zeit. Spätere Karambolagen beförderten das Material ihrer Steinmäntel ins All. Metallische Kerne wurden ebenfalls freigelegt; solche Kleinplaneten gelten meist als Quelle der Eisenmeteorite. 1919 entdeckte man im angolanischen Otchinjau eine 30 kg schwere außerirdische Eisenmasse. Die Kolonialmacht Portugal verewigte sie 1970 auf einem Postwertzeichen, das heute als "Klassiker" unter den einschlägigen Motivbriefmarken gilt. Acht Jahre später folgte Grönland, das dem Meteoriten von Cape York eine Sondermarke widmete. Generationen von Inuit hatten aus dem Himmelseisen Metallsplitter für Messerklingen, Harpunenspitzen und Schaber abgeschlagen. Später wurden die mächtigen Eisenfragmente nach Brooklyn und Kopenhagen verschifft.

Die grönländische Marke präsentiert zwei Fellschaber vor dem Hintergrund einer polierten und geätzten Platte des Cape-York-Meteoriten. Schön erkennt man die Widmanstätten‘schen Figuren, ein faszinierendes Spiel einander kreuzender Lamellen. Alois Beckh von Widmanstätten sah das Muster bereits 1808 an einem Meteoriten in der Wiener Sammlung. Es ist typisch für die meisten Eisenmeteorite, gleichsam deren "Wasserzeichen". Der ungewöhnlich nickelreiche Meteorit von Hoba kennt solche Figuren nicht. Mit seinen 60 Tonnen gilt er als die schwerste außerirdische Eisenmasse der Welt. Er verblieb am Absturzort; 1988 stellte Namibia, damals noch "Südwestafrika", ihn auf einer Marke vor.

"Ansichtskarten" vom Mars

Es gibt auch Steinmeteorite ohne Chondren: Achondrite besitzen ein magmatisches Gefüge und könnten, ähnlich wie die Eisenmeteorite, Proben einst aufgeschmolzener Kleinplaneten sein. Die achondritischen HED-Meteorite erzählen vielleicht von einem längst erloschenen Vulkanismus auf der 500 km kleinen Vesta. Die achondritischen SNC-Meteorite sind überraschend jung. Ihr Mutterkörper sollte bis vor kurzem aktiv geblieben sein und somit planetare Ausmaße besitzen. Die meisten, aber nicht alle Wissenschafter sehen darin basaltische Bodenproben vom Mars – steinerne "Ansichtskarten" des roten Planeten. Wie Computersimulationen vermuten lassen, stehen Mars, Erde, Erdmond und Venus in regem "Briefkontakt": Oberflächenmaterial, von äußerst gewaltigen Meteoriteneinschlägen ins All katapultiert, landet später auf den jeweils anderen Welten. Dass wir auf diesem Weg Post vom Erdmond erhalten, ist erwiesen. Die lunaren Achondrite gleichen dem Mondgestein, das die Apollo-Astronauten mitgebracht haben. Sieht man von den Mondmeteoriten ab, könnten Achondrite und Eisenmeteorite vielleicht auch direkt aus dem Sonnennebel kondensiert sein, ähnlich dem Material der Chondrite. Um sie zu gebären, wären aufgeschmolzene Mutterkörper somit gar nicht nötig gewesen. Diese Theorie vertritt der international höchst renommierte Wiener Meteoritenforscher Gero Kurat. Immer wieder präsentiert er Untersuchungsergebnisse, die sich nicht mit den konventionellen Entstehungstheorien vereinbaren lassen. Es scheint, als wären die Botschaften der Meteorite zum Teil mit "Geheimtinte" verfasst worden. Diese lesbar zu machen, bleibt künftigen Forschergenerationen vorbehalten.

Christian Pinter , geboren 1959, lebt als Fachautor in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra".

 

Printausgabe vom Samstag, 20. Mai 2006
Update: Freitag, 19. Mai 2006 16:13:00

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