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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Eigentlich sollte der Planetenbestand in Prag aufgestockt werden. Doch es kam ganz anders.

Plutos jäher Absturz

Von Christian Pinter

Vor kurzem endete die 26. Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union (IAU) mit einem Knalleffekt. Beinahe hätte die seit 1919 existierende IAU, unter anderem zuständig für Normierungen und Nomenklatur im All, den elitären Planetenklub auch für recht gewöhnliche Himmelskörper geöffnet. Dessen Mitgliederzahl wäre schlagartig auf zwölf gestiegen. Bald hätten wir sogar 20, 30 oder 50 Planeten besitzen können. Müßig, die Schulbücher – sie halten bei neun Planeten – jedes Mal umzuschreiben.

In der Vergangenheit war dies mehrmals nötig. In der Antike eilten neben dem Mond vermeintlich auch Sonne, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn um die Erde. Damals hießen noch alle sieben Wandelgestirne "Planeten" (vom griechischen Wort "planetes", Umherschweifender). Im Kopernikanischen System fielen Sonne und Mond weg, dafür bekam die Erde Planetenstatus. Das neue Sextett währte bis 1781. Dann tauchte unerwartet der Planet Uranus im Fernrohr des Musikers William Herschel auf. Der altgriechische "Himmelsgott" kreiste weit hinter der Saturnbahn.

Der Fund lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf die seltsame Lücke, die zwischen Mars und Jupiter klaffte. Giuseppe Piazzi erblickte dort 1801 die Ceres. Sie erhielt den Namen der römischen Göttin des Ackerbaus. In ihrem Umfeld machten Astronomen bald reiche Ernte: Bis 1807 folgten die Pallas, die Juno und die Vesta. Anfangs mit planetaren Ehren ausgestattet, degradierte man die Winzlinge später zu bloßen "Asteroiden" oder "Kleinplaneten". Ein Glück – denn heute kennt man schon zigtausend solcher Himmelskörper. Sie blieben einst zurück, weil der riesige Jupiter die Bildung eines weiteren, richtigen Planeten vor seiner Haustür vereitelte.

Weiter draußen hielt sich Uranus nur widerwillig an die Keplerschen Gesetze. Ursache war die Anziehungskraft eines unentdeckten, achten Planeten: 1846 ging Neptun tatsächlich ins Netz. Doch der römische Gewässergott war vermeintlich nicht ganz allein für die Bahnmanipulationen des Uranus verantwortlich. Abermals blies man zur Planetenjagd. Eine breit angelegte fotografische Himmelsdurchmusterung von Clyde Tombaugh förderte 1930 ein Gestirn jenseits des Neptun zutage. Es ging rasch als neunter Planet in die Literatur ein. Den Namen "Pluto" schlug eine elfjährige Engländerin vor – in Anlehnung an den griechischen Hades oder Plutos, den Gott des Schattenreichs und des Reichtums.

Mit immer feineren Messmethoden wandten sich Astronomen Plutos Durchmesser zu. Er speckte dabei jedes Mal ab. Mit seinen 2300 km ist er heute deutlich schmächtiger als der Erdmond. 1978 reichte James Christy den Plutomond Charon (1210 km) nach. Er trägt den Namen jenes mythologischen Fährmanns, der einst die Seelen der Toten über den Klagestrom in den Hades führte. Die jüngst entdeckten Plutomonde Nix und Hydra sind bestenfalls 160 km klein.

Pluto im Visier

Im Sonnensystem herrscht Gewaltenteilung: Innen kreisen vier bestenfalls erdgroße Planeten mit fester, steinerner Oberfläche. Außen regieren vier Gasriesen mit bis zu 318-facher Erdmasse. Der Winzling Pluto passte schlecht ans Ende dieser Reihe. Zudem erhielt er ab 1992 Gesellschaft: Im finsteren Außenbezirk tauchten etliche Eisasteroide von jeweils mehreren hundert km Durchmesser auf. Die Urmaterie war dort schon viel zu schütter verteilt gewesen, um die Geburt eines ordentlichen, wohldimensionierten Planeten zuzulassen. Die Transneptunischen Objekte (auf Englisch kurz TNOs genannt) waren also, wie ihre Kollegen im Kleinplanetenreich, bloß eine Art "Bauschutt".

Bald mutete Pluto selbst nur wie ein außergewöhnlich "groß" geratenes TNO an. Etliche Astronomen weigerten sich, ihn noch als neunten Planeten anzuerkennen. In Interviews und Vorträgen reduzierten sie den Planetenklub wiederum auf acht Mitglieder. Vor allem in den USA reagierte die Öffentlichkeit darauf gereizt. Pluto war erstaunlich beliebt – vermutlich auch wegen der Namensgleichheit mit der tollpatschigen Disney-Figur. Da niemand den Planetenbegriff bis dahin verbindlich definiert hatte, drohte sprachliches Chaos. Eine einschlägige Arbeitsgruppe der IAU scheiterte. Die Teilnehmer konnten sich auf keinen Definitionsvorschlag einigen.

Bis zum Sommer 2005 hatte man rund tausend TNOs erfasst. Am 29. Juli meldeten Mike Brown, Chad Trujillo und David Rabinowitz die Entdeckung des Eisasteroiden 2003 UB313. Weil dieser sogar Pluto überragte, machte er rasch als "zehnter Planet" Schlagzeilen. Browns Team schlug den Namen "Xena" vor – nach der Heldin einer Fantasy-Serie. Ihr Mond sollte nach Xenas treuer TV-Begleiterin "Gabrielle" getauft werden. Beide Namen sind noch inoffiziell.

Die Kriegerprinzessin "Xena" machte deutlich: Hinter Neptun mochten vielleicht weitere Welten mit Durchmessern von 2400 km und mehr lauern. Um einer drohenden Inflation vorzubeugen, wollten einige Forscher den Planetenbestand ein für alle Mal mit "neun" festschreiben. Andere zogen den Durchmesser Merkurs (4879 km) als Untergrenze vor. Er ist der kleinste der vor 1930 entdeckten Planeten. Damit hätte auch Pluto den planetaren Status verloren.

Hitzige Diskussionen

In der Zwischenzeit hatte die IAU neuerlich eine Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung einer Planetendefinition betraut. Sie bestand aus sieben Himmelsforschern, Physikern und Geschichtswissenschaftern - darunter die berühmte Autorin Dava Sobel ("Längengrad", "Galileis Tochter", "Die Planeten"). Man traf einander Mitte 2006 in Paris. Am zweiten Morgen räumten mehrere Gruppenmitglieder ein, nicht gut geschlafen zu haben; aus Sorge, keinen Konsens zu finden. "Doch am Ende des langen Tages war das Wunder geschehen", erzählte der renommierte Astronomiehistoriker Owen Gingerich. Das Zauberwort hieß "Gravitation".

Kurz danach fanden sich 2500 Astronomen aus 75 Ländern zur Generalversammlung der IAU in der Keplerstadt Prag ein. Ihnen sollte der druckfrische Definitionsentwurf zur Abstimmung vorgelegt werden. Dieser erhob die Anziehungskraft zum entscheidenden Kriterium für eine planetare Welt: Die eigene Gravitation muss ausreichen, den Himmelskörper in rundliche Form zu zwingen. Hierfür sollte grob ein Zwölftausendstel der Erdmasse bzw. ein Radius um 400 km genügen. Das waren aber bloß Orientierungswerte. Denn erst die Beobachtung konnte entscheiden, wer wohlgeformt genug erschien. "Xena" meisterte die Prüfung und wäre ins Planetenreich aufgestiegen. Auch der seit 205 Jahren bekannte Kleinplanet Ceres (Durchmesser 950 km) hätte die Qualifikation geschafft.

Wer nicht die Sonne, sondern bloß einen Planeten umrundet, gilt als Satellit; auch unser Mond, der nur 1,2 Prozent der Erdmasse besitzt. Charon ist noch viel kleiner. Ihn übertreffen nicht weniger als elf Satelliten im Sonnensystem. Doch neben dem Winzling Pluto schneidet selbst er gut ab. Die beiden Welten umkreisen einander. Charons Masse zieht den gemeinsamen Drehpunkt dabei weit aus der Plutokugel heraus – ein Unikum im Planetenreich. Aus diesem Grund wollte der IAU-Entwurf selbst den kugeligen Mond Charon zum Planeten küren. Pluto, gerade erst von der Streichung bedroht, zählte gewissermaßen "doppelt"!

Doch mit diesen zwölf Planeten gab man sich nicht zufrieden: Die IAU sollte eine "Watchlist" mit Kandidaten unterhalten, die noch zur Rundlichkeitsprüfung antreten mussten. Im Kleinplanetenreich hätten die Hygiea, die Vesta oder die Pallas Planetenrang erhalten können. Durchmesser: nur 500 bis 580 km. Im Dunkel hinter Neptun warteten die bis zu 2000 km kleinen TNOs Ixion, Varuna, Quaoar, Orcus, Sedna, 2005 FY9 oder 2003 EL61 auf einen positiven Bescheid. Hinzu wären wohl ein oder zwei Dutzend eisiger Welten gekommen, die noch der Entdeckung harren.

Der Entwurf packte Himmelskörper mit unterschiedlicher Entstehungsgeschichte in einen Hut. Doch er spaltete die Fachwelt. Ein Astronom sprach von einem "kompletten Durcheinander" . Anderen ging der planetare Ritterschlag für Charon zu weit. Viele klagten über den bald wohl unüberschaubaren Reichtum an Planeten; Mike Brown malte die Zahl "200" an die Wand. Eine Gruppe um Gonzalo Tancredi und Julio Fernández, Uruguay, legte einen konservativen Gegenentwurf mit nur acht Planeten vor. Einstweilen rückte der Abstimmungstermin immer näher. In hitzigen Diskussionen rang man um einen sinnvollen Kompromiss. Am 24. August stimmten die Delegierten über diesen ab.

Das Ergebnis: Um verbindlich als Planet zu gelten, muss ein Himmelskörper nicht nur kugelrund sein, sondern auch den "Bauschutt" aus seiner Nachbarschaft fortgeräumt haben. Kleinplaneten wie die Ceres oder TNOs à la "Xena" und Pluto schafften dies nicht. Sie sind ja selbst Teil solchen Schutts. Sofern rundlich genug, heißen sie jetzt "Dwarf Planets" (engl., "Zwergplaneten"). Im richtigen Planetenhimmel bleiben nur die acht Welten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Pluto ist draußen. Definitiv.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien. Er schreibt seit 15 Jahren regelmäßig im "extra".

 

Printausgabe vom Samstag, 02. September 2006
Update: Freitag, 01. September 2006 16:07:00

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