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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Das närrische Töchterlein

Alfred Pirker setzte dem Astronomen und Astrologen Johannes Kepler 1963 ein Denkmal im Grazer Stadtpark.  Foto: Pinter

Alfred Pirker setzte dem Astronomen und Astrologen Johannes Kepler 1963 ein Denkmal im Grazer Stadtpark. Foto: Pinter

Von Christian Pinter

Aufzählung Johannes Kepler, der große Astronom, hielt nicht viel von der Astrologie – dennoch betrieb er sie im Auftrag sternsüchtiger Herrscher intensiv.

Prag, vor 400 Jahren: Am 28. Mai 1607 läuft Johannes Kepler aufgeregt auf den Hradschin, um dem Kaiser Bericht zu erstatten: An der Wand seines Zimmers haben durch eine winzige Öffnung eingedrungene Sonnenstrahlen das Bild der Sonne nachgezeichnet. Darin zu sehen ein winziger Fleck, den Kepler fälschlich für das Abbild des Merkur hält.

Die Begegnung dieses Planeten mit der Sonne, " Konjunktion " genannt, kommt eigentlich zu früh. Doch weil sich am Vorabend ein heftiges Unwetter über Prag entlud, und Kepler dies als Folge der Konjunktion betrachtet, zweifelt er seine eigenen astronomischen Vorausberechnungen an!

Im Dienste Rudolfs II.

Keplers Gönner, der leichtgläubige Rudolf II., liebt die Sterndeuterei. Horoskope verstorbener Herrscher faszinieren ihn, ebenso Prognosen über die Zukunft der Welt. Außerdem wünscht er sich exakte Kalkulationen des planetaren Laufs. Auch deshalb ernannte er Kepler zum kaiserlichen Mathematiker.

Schon in Graz hat der Aberglaube geholfen, Keplers Lebensunterhalt zu sichern. Neben der Lehrtätigkeit an der dortigen Stiftschule erstellt er die beliebten Jahreskalender, die angeblich "günstige" oder "kritische" Tage vorauszusagen vermögen. Dieser Glaube fußt auf der antiken Vorstellung, dass Jahre, Tage und Stunden abwechselnd unter der Herrschaft verschiedener Wandelgestirne stünden.

Auch Kepler nennt in seinen Prognostiken " bevorzugte " Termine für Baden, Schröpfen, Kinderentwöhnen und Säen, Tage mit Sonnenschein, Platzregen oder "zornigem Wetter" . Er weiß: "Die große Menge täglicher Fehlschüsse" wird der Leser vergessen, die Treffer hingegen im Kopf behalten. Ja, er warnt sogar vor seinen eigenen Schriften: Man möge sie bloß als Werk eines Mannes aufnehmen, der "selber nicht zu viel davon hält" . Die jährlich 400 bis 600 Exemplare würden nicht über die steirischen Landesgrenzen hinausdringen, entschuldigt er sich.

Doch auch später in Prag und Linz wird er wieder Jahresprognostiken erstellen, auf Drängen "etlicher Herren und Landleute", wie er betont. Er wolle die "verderblichen astrologischen Begierden" der Menge nutzen, um moralische Mahnungen einzuträufeln und zur Zügelung des Affekts aufzurufen. In Anspielung auf sein spärliches Gehalt bezeichnet er die Astrologie als "närrisches Töchterlein" , das seine Mutter, die Astronomie, ernähren müsse.

Zum Broterwerb und aus Neugierde erstellt er 900 Horoskope: Eine ungünstige Stellung von Jupiter und Venus hätte seine erste Gattin rechtschaffen und züchtig gemacht, aber auch wenig heiter, verlegen und einfältig; seinem Vater verhalf wohl Saturn im Trigon mit Mars zu einem lasterhaftem und streitsüchtigen Charakter. Er selbst sei wegen Saturns Zusammenwirken mit der Sonne kleinlich, furchtsam und misstrauisch geraten – die Geburtskonstellation hätte allerdings auch seine Urteilskraft gefördert, seinen Geist angespornt und seinen Wissensdurst vermehrt.

Wallensteins Horoskop

In einem Horoskop für Albrecht von Wallenstein charakterisiert Kepler diesen als unbarmherzig, hart, geizig und furchtsam; in reiferem Alter würden sich solche Untugenden jedoch " abwetzen ". Später empört er sich über Wallensteins Wunsch, möglichst termingenaue Angaben über Ämter, Krankheiten und Todesart zu erhalten, oder über die Dauer jenes Kriegs, den wir den "Dreißigjährigen" nennen.

Doch wer glaube, alles aus dem Himmel ablesen zu können, hätte " das Licht der Vernunft . . . nie recht geputzt", mahnt Kepler. Denn was der Himmel "in specie" tue, wisse man nicht.

Im übrigen sei jeder Mensch selbst seines Schicksals Gestalter, wenngleich dieses – das weiß Kepler aus bitterer Erfahrung – auch von den politischen Gegebenheiten abhängt. Wäre das Pulver erst einmal entzündet, so resümiert er über den Kriegsausbruch von 1618, würden auch die günstigsten Gestirne die Feuersbrunst nicht mehr verhindern.

Bei schwerwiegenden Überlegungen sollte man ganz auf die Astrologie verzichten, rät er. Trotz aller Vorbehalte wird Kepler die letzten beiden Lebensjahre in Wallensteins Dienst verbringen müssen.

Zuvor gibt er der traditionellen Astrologie "zum Teil Urlaub" . Er will die "Edelsteine aus dem Mist" herauslesen und verzichtet dabei auf den Gutteil des astrologischen Werkzeugs: Die Teilung des Tierkreises in zwölf Tierkreiszeichen mit unterschiedlichen " Qualitäten " ist ihm bloß Willkür. Und Regeln, die mit den astrologischen Häusern und Herrschaften der Planeten verbundenen sind, wären "wegen ihres Ungrunds nicht wert, dass man ihrer gedenke".

Schon 1601 hat Kepler 75 Thesen über die vermeintlich "zuverlässigeren Grundlagen" der Astrologie vorgelegt. Entscheidend sind für ihn die geometrischen " Aspekte " (lat., Ansicht, Blick, Gesichtspunkt) – jene Winkel, welche Sonne, Mond und die fünf hellen Planeten zueinander bilden.

So ist etwa der Winkel zwischen der Sonne und dem Erdbegleiter zum Neumondtermin praktisch null. Ein solcher Aspekt heißt " Konjunktion " (lat. Verbindung, Vereinigung). Im ersten Viertel trennen Mond und Sonne fast genau 90 Grad (" Quadratur "), zur Vollmondzeit 180 (" Opposition "). Das astrologische Sextil tritt bei 60, das Trigon bei 120 Grad Winkelabstand zwischen zwei Gestirnen ein.

In Graz hatte Kepler schwingende Saiten geteilt, deren Proportionen notiert und den entstehenden Klängen gelauscht. Nun verbindet er die von ihm so geliebte Lehre von den Harmonien mit den Aspekten. Dann dividiert er die 360 Grad des Vollkreises durch die Zahlen 12, 10, 8, 6, 5, 4, 3, 2 und 1 – und definiert auf diese Weise weitere, zum Teil neue Aspekte.

Dank solchen " harmonischen " Winkeln sollen sich die Wirkungen der Planeten verstärken, behauptet er. Ihre Lichtstrahlen regten nämlich das Abbild jener Himmelskonstellation an, das der Mensch bei seiner Geburt in sich aufgenommen hätte. Dies wiederum stimuliere sein Handeln. Die Geburtskonstellation forme die Seele ähnlich den Schlingen, die Bauern um einen Kürbis legten. Aber auch die Erziehung wirke mit. So würde der eine Mensch wacker, munter und fröhlich, der andere hingegen verzagt, träge und lichtscheu.

Zwecklos wäre es jedoch, Aussagen über Städte, Länder oder gar Kalenderjahre (ein verbreiteter "althergebrachter Wahn" ) treffen zu wollen. Städte, Länder oder Jahre sind nämlich keine Wesen und können Keplers Aspekte folglich gar nicht wahrnehmen.

Hingegen stattet er unseren Planeten sehr wohl mit einer instinkthaften " Seele " aus. Bäume und Pflanzen bildeten gleichsam der Erde Haartracht, verborgene Metalle und Kristalle ihre Adern, Bernstein und Erdpech Tränen, Nasenschleim oder Ohrenschmalz. Ihr Exkrement sei Schwefel, ihr Urin speise die Flüsse. Ebbe und Flut wechselten einander im Atemrhythmus der Erde ab, während Regendampf ihren Schweiß bilde.

Unterirdisches Feuer treibe die irdischen Flatulenzen an. Bei harmonischen Aspekten erhitzten sich die im Erdkörper verborgenen Werkstätten: Ausgedünsteter Dampf und Nebel prallten dann mit der kühlen Luft zusammen und erzeugten so das Wetter. Vor allem Aspekte von Sonne und Saturn sorgten für Kälte.

So " wie eine Musik den Bauern zum Tanzen bewegt ", tanze auch die Erde, wenn die "Aspekte pfeifen". Auf antike Vorstellungen zurückgreifend schreibt Kepler den Wandelgestirnen " Eigenschaften " zu: Sie wären mehr oder weniger heiß, kalt, feucht oder trocken. Die Venus besäße darob Jupiters Wärme, Merkur dagegen dessen Feuchtigkeit.

Frei von Himmelsmagie

Keplers "verbesserte" Sterndeutung schwächt die traditionelle Tierkreiszeichen-Astrologie. Sie ist, nach Meinung ihres Autors, frei von " Himmelsmagie " und Aberglauben. In den Jahrzehnten nach Keplers Tod verliert die Wissenschaft nach und nach das Interesse an der Astrologie.

Im 18. Jahrhundert wird die prophetisch begabte Sterndeutung von den Universitäten verbannt. Seiner widersprüchlichen Aussagen wegen werden aber auch später noch Kritiker wie Verteidiger der Astrologie ausgerechnet Kepler als "Kronzeugen" bemühen.

Christian Pinter, geboren 1959, schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra". Internet: members.aon.at/dr.c.pinter/

Printausgabe vom Samstag, 26. Mai 2007
Online seit: Freitag, 25. Mai 2007 14:30:27

Lexikon



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