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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Alljährlich bietet der Augusthimmel ein großartiges Schauspiel: Wer eine Sternschnuppe erblickt, hat traditionell einen Wunsch frei

Die Tränen des Laurentius

Zwei Meteore ziehen ihre langen Schweifspuren durch die Cassiopeia. Grafik: Pinter

Zwei Meteore ziehen ihre langen Schweifspuren durch die Cassiopeia. Grafik: Pinter

Von Christian Pinter

Die "Perseiden" machen den August zum Sternschnuppenmonat schlechthin. Scheinbar aus der Konstellation des Perseus ausstrahlend, bilden die flüchtigen Lichtraketen einen höchst eigentümlichen Kontrast zur erhabenen Ruhe des nächtlichen Firmaments. Blitzartig überwinden sie die Grenzen zwischen den Sternbildern und sind bereits wieder Geschichte, bevor ein Herzschlag verklingt. Der Volksmund taufte sie "Laurentius-Tränen" , da sie stets um den Ehrentag des Laurentius von Rom erscheinen. Dieser soll am 10. August 258 auf kaiserlichen Befehl den Tod auf dem Feuerrost erlitten haben. Auch Tizian malte die grauenvolle Szene.

Leuchtender Staubstrom

Die Himmelstränen entstammen freilich nicht dem Antlitz des legendären christlichen Märtyrers, sondern jenem des Kometen Swift-Tuttle. Diese bloß zehn Kilometer kleine Welt mutiert immer wieder zu einem kosmischen Monstrum. Alle 133 Jahre wagt sie sich in allzu intime Sonnenähe vor: Die Hitze verwandelt dann uraltes Eis, seit 4,6 Jahrmilliarden sicher unter der Kometenoberfläche verborgen, in Gas.

Das schießt durch Risse in der Kruste hinaus ins Vakuum des Alls und reißt Staub mit sich. Die winzigsten Staubpartikel werden vom Sonnenwind erfasst und vom Kern fortgedrückt. Sie formen den viele Millionen Kilometer langen Kometenschweif. Nur die massereichsten Teilchen folgen den Fußstapfen ihres Erzeugers und verteilen sich allmählich im gesamten Kometenorbit. Jeder Besuch des Schweifsterns im inneren Sonnensystem legt das Fundament zu einem neuen Staubschlauch. Die Stippvisiten der letzten zweitausend Jahre haben ein ganzes Bündel solcher Schläuche hinterlassen. Bahnstörungen verwischten deren anfangs noch klarer umrissene Grenzen, walkten sie zu einem breiten Staubstrom aus.

Durch ihn muss die Erde einmal pro Jahr hindurch, und zwar immer zwischen dem 17. Juli und dem 24. August. Die Atmosphäre kehrt dann einen Teil der kometaren Hinterlassenschaft auf. Bei einem Eintauchtempo von 212.000 km/h besitzt selbst ein Staubteilchen von weniger als einem Gramm Masse ähnlich viel Bewegungsenergie wie ein schwerer Formel-1-Bolide auf der Zielgeraden. Rund 115 Kilometer über Grund erhitzt es die dünne Luft in seinem Schusskanal auf satte 4.000 Grad Celsius und regt sie so zum Leuchten an. Unzählige Lichtblitze zeichnen die Flugbahn des Partikels nach. Amateurastronomen lieben es, solche Meteore zu zählen. Hält man dabei bestimmte Standards ein, ist das sogar Wissenschaft. Weil die Erde wie eine Forschungssonde durch den Staubstrom dringt, gibt die Zahl der gesichteten Sternschnuppen Auskunft über die Partikelverteilung im All. Das freie Auge reicht als Messinstrument. Feldstecher oder Fernrohre wären wegen ihres kleinen Gesichtsfelds zwecklos.

Der Feuerrost des Laurentius ziert die Wappen der Wiener Bezirke Margarethen und Penzing. Doch der sinnlos mit Licht besudelte Nachthimmel Wiens taugt kaum zur Sternschnuppenschau. Hier sieht man nur die kräftigsten Meteore, und dies mitunter im Viertelstundentakt. Deshalb fliehen Liebhaber, ausgestattet mit Liege, Decke oder Schlafsack, aufs Land. Besonders reiche Beute verspricht die Nacht vom 12. zum 13. August 2007, zumal sich die Erde am Morgen des 13. durch den dichtesten Teil der Staubwolke pflügt. Die Folgenacht dient als Ersatztermin. Die Pirsch mag um 22:30 Uhr starten, doch bietet die zweite Nachthälfte bessere Chancen.

Die Perseiden-Zahl sollte bis etwa 4:15 Uhr ansteigen. Nun hat man im Schnitt alle zwei Minuten "einen Wunsch frei". Alsdann graut im Osten Österreichs der Morgen. Die Dämmerung wischt die Himmelstränen fort. Eindringlinge im Format eines Stecknadelkopfs, einer Erbse oder einer Murmel erzeugen auffallend prächtige Sternschnuppen: Sie verzaubern das Auge mit Pastelltönen in Blau, Grün, Gelb oder Orange. Das Meteorleuchten stammt primär von atmosphärischem Sauerstoff und Stickstoff. In den Spektren von hellen Perseiden hat man aber auch chemische Elemente der Staubteilchen selbst nachgewiesen: Natrium, Magnesium, Kalzium, Silizium, Titan, Chrom, Eisen, Kobalt und Nickel. Manche Minerale sind anfangs sogar wasserhältig, doch werden die Himmelsgeschosse Opfer der selbst geschaffenen Gluthölle. Keines schlägt auf dem Erdboden auf. Auch das unterscheidet Kometenstaub von den weitaus kompakteren Meteoriten, die man z.B. im Naturhistorischen Museum begutachten kann.

Eisiger Kometenkern

Meteorite stammen fast zur Gänze aus dem nahen Kleinplanetenreich zwischen Mars und Jupiter. Sie lassen sich bequem im Labor studieren. Bei der Erforschung der locker aufgebauten kometaren Materie musste man sich indes lange Zeit mit der Analyse von Meteorspektren begnügen. Vor 4,6 Milliarden Jahren gab es noch keine Planeten. Um die gerade in Konstruktion befindliche Sonne wirbelte bloß eine Wolke aus Staub und Gas. Kometen wie Swift-Tuttle ballten sich am sonnenfernen Rand dieser proto-planetaren Scheibe zusammen. Dort standen, der Kälte wegen, neben Silikaten auch reichlich flüchtige Elemente und Verbindungen als Baumaterial zur Verfügung – etwa Kohlendioxid und Wassereis. Im Innersten der Kometenkerne eingefroren, überdauerte diese Urmaterie bis heute. Gelegentlich schubsen Bahnstörungen die fliegenden Tiefkühlhäuser aus dem Sonnensystem – oder lenken sie in Richtung Sonne. Nur dann werden wir ihrer gewahr. Von Meteorbeobachtungen inspiriert, zeichnete Fred Whipple 1950 das Bild der "schmutzigen Schneebälle" : Demnach sollten die Kometenkerne zu etwa 85 Prozent aus Eis und zu 15 Prozent aus Stein bzw. Staub bestehen.

Im Jahreslauf passiert die Erde die Staubschläuche von zwei Dutzend solcher Schweifsterne. Am Erbe anderer Miniwelten zieht sie in großem Abstand vorbei. Auch deshalb ergriff die NASA selbst die Initiative und flog den fliegenden Staubschleudern entgegen. Am 4. Juli 2005 hielt ihre Sonde "Deep-Impact" auf den bloß acht Kilometer kleinen Kometen Tempel 1 zu, fotografierte dünenartige Landschaften, Hochplateaus, Gebirgskämme, Einschlagskrater und Trümmerfelder auf seiner Oberfläche. Dann schlug sie mit 36.700 km/h auf. Es war, als hätte man fünf Tonnen TNT gezündet. Der Todessturz katapultierte Krustenmaterial ins All: große Mengen feinsten Pulverstaubs, jedoch verblüffend wenig Eis.

Freilich mag die Chemie von Komet zu Komet differieren; nicht alle müssen zur exakt gleichen Zeit, in genau derselben Region der protoplanetaren Staubscheibe oder demselben Sonnensystem entstanden sein. Jedenfalls unterscheidet sich Tempel 1 in der Zusammensetzung merklich von seinem "Kollegen" Wild 2: Dessen Staub fing die NASA-Sonde Stardust ein und setzte die kostbare Beute in Utah ab.

Damit liegen erstmals Proben eines bekannten Schweifsterns vor. Beim Lokalisieren der Staubteilchen im Fangmedium halfen 23.000 Hobbymineralogen mit. Sie suchten Millionen von Aufnahmen im Internet ab und entdeckten mehr als 10.000 feinkörnige, lose gepackte Partikel im Format zwischen einem Tausendstel und einem Drittel Millimeter. Nach ersten Laboranalysen stellen sie Mixturen diverser, oft magnesiumreicher Silikatminerale dar, wie Olivin, Enstatit oder Forsterit. Sie sind auch sehr reich an organischen Verbindungen: Zwei spezielle, stickstoffhaltige Varianten nähren die Spekulation, wonach Kometen einst wichtige Zutaten für die Entstehung des Lebens zur Erde beförderten.

Interstellare Materie

Manche Körnchen sind älter als unser Sonnensystem! Sie stammen gar nicht aus der protoplanetaren Scheibe, sondern direkt aus dem interstellaren Raum, den kalten Weiten zwischen den Sternen. Zehn Prozent der Minerale aber wurden bei Temperaturen geschmiedet, wie sie nur in intimster Sonnennähe herrschten. Doch wie gelangten sie später ausgerechnet in die kühlsten Außenbezirke des Sonnensystems?

Vielleicht kennen Meteoritenforscher die Antwort. In ihren steinernen Lieblingen stecken meist millimeterkleine Kügelchen. Diese Chondren entstanden, als flockig aufgebaute Staubkörner der protoplanetaren Scheibe bald nach ihrer Genese nochmals erhitzt wurden. Ursache: umstritten. Laut der X-Wind-Theorie sind sie einst der jungen Protosonne entgegen getrieben und dort geschmolzen. Extreme Magnetfelder und Sonnenstürme erfassten sie und schleuderten sie fort. Abgekühlt und nach Größe sortiert fielen die Schmelzkügelchen weiter draußen in die Staubscheibe zurück, gingen im Baumaterial der Kleinplaneten und Meteorite auf. Womöglich landeten die winzigsten nach dem kurzen "Schwitzbad" in Sonnennähe sogar am Außenrand der Scheibe – und wurden Teil der Kometenkerne.

Abenteuerlichste Geschichten könnten wohl auch die Staubpartikel des Kometen Swift-Tuttle erzählen, die uns als "Perseiden" erfreuen. Doch dazu kommen sie nicht. Äußerst fragil und viel zu schnell unterwegs verdampfen sie bereits 90 Kilometer über unseren Köpfen.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien. Er schreibt seit 1991 im "extra". Internet: members.aon.at/dr.c.pinter/

 

Printausgabe vom Samstag, 04. August 2007
Online seit: Freitag, 03. August 2007 16:06:00

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