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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor 50 Jahren schossen die Sowjets den ersten Satelliten in eine Umlaufbahn um die Erde – so begann die Ära der Weltraumfahrt.

Sputnik, der Genosse im All

Mit dem kleinen Sputnik erhielt der Erdsatellit Mond erstmals künstliche Konkurrenz. Grafik: Pinter

Mit dem kleinen Sputnik erhielt der Erdsatellit Mond erstmals künstliche Konkurrenz. Grafik: Pinter

Von Christian Pinter

Es war im Jahre 1950, als Wissenschafter im Hause des US-Physikers James van Allen das Fehlen koordinierter Erdbeobachtungen beklagten. In einer weltweiten Aktion wollten sie den Einfluss des Weltalls und speziell den der Sonne auf das irdische Magnetfeld, die Hochatmosphäre und das Klima erforschen: 67 Nationen beteiligten sich am Internationalen Geophysikalischen Jahr (IGJ). In Ausnützung des nächsten Sonnenfleckenmaximums wählten sie dafür den Zeitraum von Anfang Juli 1957 bis Ende Dezember 1958.

Über den erdnahen Weltraum weiß man damals noch wenig. Deshalb schlagen Forscher die Entsendung eines Mess-Satelliten vor, der die Erde umrunden soll. Außer den USA scheint damals freilich niemand der technisch schwierigen Aufgabe gewachsen. US-Präsident Eisenhower lässt im Juli 1955 die Absicht zur Konstruktion einer solchen Himmelsmaschine verkünden.

Startrampe "Baikonur"

Drei Tage später folgt jedoch die UdSSR mit einer ähnlichen Ansage. Die wird im Westen nicht ernst genommen, gilt doch der Osten als viel zu rückständig. Grundvoraussetzung für den Erfolg eines solchen Unternehmens wäre der Besitz einer schubstarken Rakete. So eine zu entwickeln, nimmt man in Moskau tatsächlich aber viel ernster als in Washington, zumal da sowjetische Bomber die USA im Kriegsfall nicht erreichen könnten. Strategisch unterlegen, forciert man in der UdSSR seit Jahren den Bau atomwaffenfähiger Langstreckenraketen. Der Triebwerksspezialist Walentin Gluschko und der Raketenkonstrukteur Sergej Koroljow sind dabei federführend. Beide träumen seit langem von Flügen ins All. Dank der finanziellen Unterstützung durch das Militär sehen sie eine reelle Chance, ihre Utopie zu verwirklichen. Schließlich liefern sie die Rakete R-7 ab.

Für diese Rakete zieht man seit 1955 nahe der Bahnstation von Tjura Tam in Kasachstan eine Startanlage hoch. Zur Verschleierung wird sie später "Baikonur" genannt. Schießt die R-7 von Tjura Tam aus ostwärts in Richtung der Halbinsel Kamtschatka ab, liegen 6.000 km sowjetisches Territorium vor ihr. Ab Mai 1957 probt man den Start. Und scheitert dreimal. Der vierte und letzte Versuch entscheidet. Im August überwindet die R-7 die geforderte Distanz. Die UdSSR besitzt jetzt die erste Interkontinentalrakete. Das Monstrum ist 34 m hoch und 280 Tonnen schwer.

Koroljow hat vorgeschlagen, einen Satelliten an die Spitze der R-7 zu setzen. Chruschtschow stimmt zu. Der Kremlchef hofft, solche Geräte bald als "Himmelsspione" einsetzen zu können. Die Instrumente für die geplante, 1,7 m breite und 3,6 m hohe Satellitenmaschine stammen von unterschiedlichen Instituten. Da sich die Fertigstellung verzögert, und man fürchtet, von den USA überflügelt zu werden, wird umdisponiert. Rasch wird ein viel kleinerer, möglichst simpel gehaltener Ersatzsatellit mit 84 kg gebaut. Die kugelige Hülle besteht aus einer 2 mm dünnen Aluminiumlegierung. Darunter stecken ein Thermometer, eine Sendeanlage und Silber-Zink-Batterien.

Wenig später wird die modifizierte R-7 in Tjura Tam aufgerichtet. Stählerne Arme halten sie fest, umschließen sie wie die Blätter einer Tulpe. Die Tanks werden mit flüssigem Sauerstoff und Kerosin gefüllt. Kurz nach 22 Uhr Moskauer Zeit ertönt der Befehl zum Räumen der Rampe. Der Mond, damals noch der einzige Satellit der Erde, ist Zeuge, als die Triebwerke zünden. Die Haltearme klappen weg, entlassen die R-7 in den Himmel. Kamtschatka bestätigt den Empfang des Funksignals. Dann Stille. Hat der Satellit die geplante Umlaufbahn erreicht?

In diesem Fall müsste sein Sender nach der ersten Erdumkreisung wieder in Tjura Tam zu empfangen sein. Koroljow begibt sich in den Funkwagen und lauscht nach dem ersehnten Zeichen. Tatsächlich schält sich ein feiner Piepston aus dem Rauschen. Man schreibt den 4. Oktober 1957.

Gleich am ersten Tag des neuen Weltraumzeitalters zieht Sputnik (russ.: Gefährte, Genosse, Begleiter) mehrmals über die Köpfe der Amerikaner hinweg. Bei vielen US-Bürgern löst die Meldung Unruhe aus: Die Angst vor einem Atomkrieg wächst. Gleichzeitig übt der erste künstliche Erdmond große Faszination aus. Das laute Medienecho überrascht anfangs sogar Moskau. Doch dann entwickelt man Sputnik schnell zur Propagandawaffe.

Die 58 cm kleine Kugel schießt mit einem unglaublichen, noch nie da gewesenen Tempo von gut 28.500 km/h dahin. 15 Mal pro Tag umkreist sie die Erde. Ihr Sender muss mit der Leistung eines Handfunkgeräts auskommen, der seine Signale über vier lange Stabantennen abstrahlt. Radioamateure fangen sie ein und machen den Beginn des Weltraumzeitalters somit zu einem akustischen Erlebnis. Die hastigen Piepstöne – vom Bordthermometer gesteuert – werden weltberühmt. Die Temperatur im Inneren der mit Stickstoff gefüllten Kugel bleibt offensichtlich konstant. Die Hülle ist also nicht, wie manche befürchtet hatten, von Kleinstmeteoriten durchsiebt worden. Die Funkbotschaft aus dem All quert Regionen der Lufthülle, die von der UV- und Röntgenstrahlung der Sonne ionisiert werden. Dort dämpfen bzw. reflektieren Funkwellen vor allem drei ausgeprägte Schichten. Die Stärke des empfangenen Piepssignals lässt somit Aussagen über die Elektronendichte in der sogenannten "Erdionosphäre" zu. Allerdings nur drei Wochen lang. Dann sind Sputniks Batterien erschöpft.

Sputnik-2 mit Laika

Nach und nach blickt der verstummte, aber weiter reisende Satellit auf alle Orte zwischen den beiden Polarkreisen herab. Da seine polierte Hülle Sonnenlicht reflektiert, machen ihn neugierige Himmelsbeobachter an Herbstabenden des Jahres 1957 selbst als äußerst schwaches, ruhig dahin ziehendes Sternchen aus. So etwas hat man noch nie gesehen! Amateurastronomen verfolgen Sputnik akribisch, verwandeln das simple Gerät in eine Mess-Sonde. Sie werden an ihm und seinen Nachfolgern mehrfach Bahnstörungen nachweisen. Diese rühren von der eigentümlichen, nicht perfekten Kugelgestalt der Erde her; aber auch von Unregelmäßigkeiten im Erdschwerefeld, die wiederum Masseanomalien im Erdinnern verraten. Geowissenschafter freuen sich über die neuen Daten.

Anfangs schwankt Sputniks Erdabstand rhythmisch zwischen 947 und 228 km. Im tieferen Bahnabschnitt pflügt er sich durch die äußersten Ausläufer der Lufthülle. Das raubt ihm Energie. Die unerwartet starke Bremswirkung macht den elliptischen Orbit immer kreisähnlicher und enger. Nach drei Monaten wird der atmosphärische Widerstand zu groß. Sputnik stürzt ab.

Schon fünf Tage nach dem Sputnik-Start ist das Weiße Haus um Beruhigung bemüht. Es kündigt den baldigen Abschuss eines eigenen Satelliten an. Das wiederum ruft Chruschtschow auf den Plan. Sofort fragt er um eine noch größere Sensation zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution an. Also zwängt man die Hündin Laika in die Kabine von Sputnik-2. Das 508 kg schwere Gefährt ist mit Instrumenten zur Messung der kosmischen sowie der solaren UV- und Röntgen-Strahlung bestückt.

Am 3. November 1957 fliegt Laika als erstes Lebewesen ins All. Für die Entwicklung eines Rückholmechanismus bleibt keine Zeit. Das Tier, dessen Lebensfunktionen per Funk überwacht werden, soll nach zehn Tagen schmerzlos vergiftet werden. Während US-Medien noch aufgeregt über den "Red Pupnik" (nach engl. pup, Hündchen) berichten, ist die Passagierin längst qualvoll verendet. Schon wenige Stunden nach dem Abheben hat die Kabinenkühlung versagt. Laikas fliegender Sarg wird nach 2.000 Erdumläufen zum Krematorium: er verglüht in der Atmosphäre.

Am 1. Februar 1958 beginnt dann auch in den USA die Ära der Raumfahrt: Innerhalb von knapp drei Monaten starten vier US-Satelliten. Keiner ist schwerer als 14 kg. Hingegen befördern die Russen am 15. Mai schon 1,3 Tonnen in den Orbit: Sputnik-3 ist jenes automatische Laboratorium, das Koroljow ursprünglich für die Weltraumpremiere vorgesehen hatte; es hat zwölf Messgeräte an Bord. "Mit seiner Hilfe" , so resümiert Moskau später, "konnten die sowjetischen Wissenschafter alle Forschungsaufgaben lösen, die sie im Rahmen des IGJ-Programms übernommen hatten".

Müllproblem im All

Tausende Satelliten sind mittlerweile dem Urflieger Sputnik gefolgt. Moderne Kommunikation, Navigation, Meteorologie und Rüstungskontrolle wären ohne sie undenkbar. Doch 50 Jahre Raumfahrt haben auch ein Müllproblem im Weltraum hinterlassen: Die orbitale Schrottpalette reicht von ausgebrannten Raketenstufen über Abdeckungen, abgesprengte Halterungen und Bolzen bis zum dahin rasenden Lacksplitter. Rund 10.000 Objekte werden von der Erde aus kontinuierlich überwacht. Jene mit mehreren Metern Durchmesser sind auch mit freiem Auge in der späten Abenddämmerung zu erkennen. Sie ziehen innerhalb weniger Minuten über den Himmel.

Die Internationale Raumstation ISS übertrifft dabei sogar die prominentesten Sterne an Glanz. Mit einer Masse von 225 Tonnen ist sie der mächtigste Nachfahre Sputniks.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien. Er schreibt seit 1991 im "extra" über astronomische Themen. Internet: members.aon.at/dr.c.pinter/

Printausgabe vom Samstag, 29. September 2007
Online seit: Freitag, 28. September 2007 16:57:00

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