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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der Riesenplanet Jupiter teilt sich die Bahn mit Achilles, Odysseus und tausenden weiteren Eiszwergen, die alle mythologische Namen tragen

Die Trojaner des Weltalls

. . . endete mit der Flucht von Aeneas und Vater Anchises aus Troja.

. . . endete mit der Flucht von Aeneas und Vater Anchises aus Troja.

Statuen in Schönbrunn erzählen: Was mit dem Raub der Helena durch den Prinzen Paris begann, . . .  Fotos: Pinter

Statuen in Schönbrunn erzählen: Was mit dem Raub der Helena durch den Prinzen Paris begann, . . . Fotos: Pinter

Von Christian Pinter

In der Welt der Computer sind "Trojanische Pferde", kurz "Trojaner" genannt, Schädlinge: In vermeintlich nützlichen Programmen verstecken sich böse Funktionen, die etwa zum Ausspionieren von privaten Daten dienen oder heimlichen Zugriff auf fremde Rechner ermöglichen. "Trojaner" gibt es aber auch im All. Sie drängten sich einst durch ein kosmisches Tor, das Jupiter und Saturn aufgestoßen hatten.

Seit 1801 stöberten Astronomen kleine Himmelskörper zwischen Mars und Jupiter auf. Diese steinernen Kleinplaneten oder Asteroide erhielten ausschließlich weibliche Namen. Zunächst standen bekannte Damen der Mythologie Pate, dann Frauennamen und schließlich Städte. Der erfolgreiche österreichische Kleinplanetenjäger Johann Palisa fand und taufte z.B. die Eos (nach der griechischen Göttin der Morgenröte), die Martha oder die Vindobona. Später arbeitete er mit dem Heidelberger Max Wolf zusammen, der die Suche mit Hilfe der Himmelsfotografie beschleunigte.

Himmelskörper Achilles

Anfang 1906 hatte Wolf schon 120 Kleinplaneten gefunden. Am 22. Februar ging ihm ein höchst ungewöhnliches Objekt ins Netz, außerhalb des vertrauten Asteroidengürtels. Deshalb schlug Palisa ausnahmsweise einen männlichen Namenspatron vor: Achilles, den gefürchtetsten griechischen Kämpfer vor Trojas Mauern. 1873 hatte der Deutsche Heinrich Schliemann verkündet, die sagenumwobene Stadt in der heutigen Türkei entdeckt zu haben. Wer immer an den Dardanellen regierte, kontrollierte auch die Handelsroute zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer. Begehrlichkeiten der Nachbarn waren vorprogrammiert. Dazu wäre weder der berühmte Apfel der Zwietrachtgöttin Eris nötig gewesen, noch die Entführung der schönen Helena durch Trojas Prinzen Paris.

Wolfs kleiner Himmelskörper Achilles verblüffte, denn er teilte sich die Bahn mit dem Großplaneten Jupiter. Als Astronomen später auf andere, ähnlich freche Objekte stießen, knüpften sie an "Achilles" an. Bei der Namenswahl kamen nun jedes Mal Figuren aus Homers "Ilias" zum Zug: Das im 8. vorchristlichen Jahrhundert verfasste Epos erzählt bekanntlich von der zehn Jahre währenden Belagerung Trojas durch Streitmächte aus ganz Griechenland. Der zweite Lichtpunkt in Jupiters Orbit wurde einem engen Freund des Achilles gewidmet: Patroclus. Er war im Kampf mit dem tapferen Hektor gefallen. Vor König Agamemnon, seinem trojanischen Gegenspieler Priamus und dessen Sohn Paris verbeugten sich die Astronomen ebenso wie vor Aeneas und seinem Vater Anchises.

1930 gesellte sich der listige Odysseus hinzu. Auf seinen Rat hin hatten die nur scheinbar absegelnden Griechen ja das "Trojanische Pferd" zurück gelassen. Die Trojaner hielten es erwartungsgemäß für eine Opfergabe an die Götter und zogen es in ihre Stadt. Nachts kletterten feindliche Krieger aus dem hölzernen Bauch, öffneten die Tore und leiteten so die Vernichtung Trojas ein.

Lagranges Beweis

Heute kennt man rund 2300 Körper in Jupiters Orbit. Jene, die dem Planeten voraus eilen, wurden fast ausnahmslos nach den griechischen Angreifern benannt, die ihm folgenden nach den Verteidigern Trojas. Astronomen fassen sie alle unter dem Oberbegriff "Trojaner" zusammen. Eigentlich sollten diese koorbitalen Objekte von Jupiter fort geschleudert werden. Doch der in Turin geborene Joseph Louis de Lagrange wies schon 1772 nach, dass dies nicht unbedingt geschehen müsse – obwohl er die Existenz der Trojaner damals nicht einmal erahnen konnte.

Dieser geniale Mathematiker fand zu jedem planetaren Orbit fünf Punkte, in denen sich die Anziehungskräfte von Sonne und Planet ausgleichen. Setzt man dort einen hypothetischen Körper mit relativ kleiner Masse aus, fliegt er ungestört weiter. Nur zwei dieser Punkte boten auch langfristig Sicherheit. Sie lagen auf dem Bahnkreis des jeweiligen Planeten und standen von diesem um jeweils 60 Winkelgrade ab. Im Fall Jupiters halten sie rund 780 Millionen km Abstand von der Sonne und dem Riesenplaneten. Ein dort ausgesetzter Beobachter würde somit keinen besseren Blick auf Jupiter genießen als wir. Und er bekäme bloß vier Prozent des uns vertrauten Sonnenscheins ab. Ein "Jahr" dauerte für ihn zwölf Mal länger als für uns.

In der Realität verschmieren sich die Lagrange-Punkte zu zwei langgestreckten, bohnenförmigen Raumgebieten. Darin richteten die Trojaner ihre beiden Heerlager ein. Ihr eindrucksvollster Recke, Hektor, misst 370 mal 200 km. Seine rabenschwarze Rüstung reflektiert kaum drei Prozent des Sonnenlichts. Deshalb hält man durchs Amateurfernrohr vergeblich nach ihm Ausschau. Profis entlarvten ihn vor kurzem als Besitzer eines winzigen Mondes (nur 15 km Duchmesser).

Poröse Miniwelten

Die allerbesten Teleskope lösten einen anderen Trojaner sogar in zwei ähnlich dimensionierte Welten von 123 bzw. 113 km Durchmesser auf: Patroclus und sein mythologischer Vater Menoetius wirbeln alle vier Tage um einander herum. Dieses Bewegungsspiel verriet jüngst ihre Massen und mittleren Dichten. Letztere liegen mit 0,8 Gramm pro Kubikzentimeter unter der von Wasser. Um so "leicht" zu werden, müsste ein steinerner Körper hohl sein wie das Trojanische Pferd. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die beiden Miniwelten nur aus leicht porösem Wassereis bestehen, verfeinert mit anderen gefrorenen Substanzen und Silikatstaub.

Viele Trojaner zeigen ein extrem dunkles, leicht gerötetes Antlitz, was sie von vielen Steinasteroiden im Kleinplanetengürtel unterscheidet. Stattdessen scheint eine enge Verwandtschaft mit den Kuiper-Gürtel-Objekten vorzuliegen. Diese im Englischen kurz "KBOs" genannten Himmelskörper bevölkern die äußerste, finsterste Zone des Planetensystems. Ihre prominentesten Vertreter heißen "Eris" und "Pluto". Was aber veranlasste solche Eiszwerge, quer durch die Machtsphären von Neptun, Uranus und Saturn zu segeln, um schließlich in den beiden sicheren Häfen Jupiters zu landen?

Gefährliche Resonanz

Der Computer kennt vermutlich die Antwort schon. Mit seiner Hilfe reisten Alessandro Morbidelli aus Nizza und seine Kollegen zurück in die Frühzeit des Sonnensystems. Wie die anderen Planeten auch, wurden Uranus und Neptun vor rund 4,5 Milliarden Jahren geboren – aber sicherlich nicht dort, wo wir sie heute sehen. Denn so weit draußen war die Materie schon zu schütter verteilt, um die Bildung derart großer Himmelskörper zuzulassen. Das Nizza-Modell rückt ihre Geburtsorte daher um die Hälfte näher heran.

Alle jungen Welten litten anfangs unter dem Beschuss durch kleine Brocken, die bei der Planetenbildung übrig geblieben waren. Die Trefferquote lag damals eine Million Mal höher als heute. Wurden die Planeten knapp verfehlt, kam es zum Austausch orbitaler Energie. Die Großplaneten Neptun, Uranus und Saturn gewannen bei den unzählig vielen Begegnungen an Schwung. Sie zogen langsam nach außen, ihre Umlaufszeiten nahmen zu. Die kleinen Trümmer hingegen spiralten Richtung Sonne. Speziell bei der Passage am "Schwergewicht" Jupiter wurden viele in weitem Bogen weggeschleudert.

Vor knapp vier Milliarden Jahren kam es zu einer kurzen, aber folgenschweren Resonanz: Der träge nach außen driftende Saturn brauchte plötzlich genau doppelt so lang für einen Umlauf wie Jupiter. Deshalb spürte er dessen Anziehungskraft nun besonders stark. Saturns Ellipsenbahn wurde gewaltig gedehnt. Uranus und Neptun flohen vor dem gestörten Planeten in noch größere Sonnendistanz. Dabei mischten sie das angrenzende, weit draußen liegende Reservoir von kleinen Eisbrocken auf, die dem planetaren "Billardspiel" bisher entgangen waren. Nur jeder tausendste Winzling hielt dieser Belagerung stand und verblieb im Kuiper-Gürtel. Milliarden von Objekten, so zeigt die Computer-Simulation, gerieten hingegen außer Kurs. Nach kurzer Odyssee steuerten etliche von ihnen das innere Sonnensystem an.

Die neuerliche Angriffswelle, das sogenannte "Letzte Schwere Bombardement", dauerte nur wenige Dutzend Millionen Jahre. Es hinterließ riesige Narben auf den Oberflächen der Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars. Auf der Erde haben tektonische Kräfte die Erinnerung daran gelöscht. Nicht so auf dem Mond. Dort entstanden vor 3,8 Milliarden Jahren mindestens 1700 neue Krater mit Durchmessern von mehr als 100 km. Die 50 weitesten waren ausgedehnter als die iberische Halbinsel, die tiefsten wurden später von Magma aus dem Mondinneren überflutet. So entstanden die "Mondmeere", die man als graue Flecken leicht auch mit freiem Auge erspäht. Ohne die marodierenden KBOs gäbe es vermutlich kein "Mondgesicht".

Nur ein Bruchteil der Eiszwerge fand sichere Schlupfwinkel. Manche schwenkten in Umlaufbahnen um die Großplaneten ein und umrundeten diese fortan als kleine Monde auf außergewöhnlich lang gezogenen Ellipsen. Andere gingen in den geschützten Lagrange-Punkten Jupiters vor Anker. Doch auch im Orbit des fernen Neptun hat man schon "Trojaner" entdeckt.

*Christian Pinter geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien. Er schreibt seit 1991 im "extra" über astronomische Themen. Im Internet siehe: members.aon.at/dr.c.pinter

 

Printausgabe vom Samstag, 29. Dezember 2007
Online seit: Freitag, 28. Dezember 2007 14:11:00

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