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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

1808 entdeckte Alois von Widmanstätten in Wien das bizarre Muster der Eisenmeteorite – doch nicht als Erster, wie man heute weiß.

Kosmische Wasserzeichen

Das hübsches Balkenspiel des Meteoriten Toluca, gefunden 1776 in Mexiko.  Fotos: Pinter

Das hübsches Balkenspiel des Meteoriten Toluca, gefunden 1776 in Mexiko. Fotos: Pinter

Die „Hraschina-Plättchen“ machten Widmanstätten berühmt.

Die „Hraschina-Plättchen“ machten Widmanstätten berühmt.

Von Christian Pinter

Unter Donner und Blitz regnen am Abend des 16. Juni 1794 um die 200 Steine bei Siena auf die Erde herab. Ein Jahrhundert zuvor soll Ähnliches geschehen sein. Doch diese älteren Stücke, außen schwarz und innen mit Eisen versetzt, gingen verloren. Noch wollten Gelehrte nichts vom Fall himmlischer Steine hören: Zu oft wurden sie mit Erzählungen abergläubischer Laien belästigt, vor deren Augen angeblich Blut, Wolle, Milch oder Geldstücke zu Boden gestürzt seien. Als 1751 zwei Eisenmassen im kroatischen Hraschina landeten, half selbst ein Protokoll des Agramer Bischofs nicht. Wenigstens behielt man den größeren der beiden Eisenbrocken, verwahrte ihn später in der Kaiserlichen Naturaliensammlung zu Wien.

Nur der 1756 in Wittenberg geborene Ernst Florens Chladni nimmt solche Berichte ernst. Er vergleicht sie, trennt Glaubwürdiges von Märchenhaftem und findet Gemeinsamkeiten in der Beschreibung der Fundstücke. Sein anfangs höchst umstrittenes Buch "Über den kosmischen Ursprung der Meteorite und Feuerkugeln" ist erst zwei Monate alt, als Siena 1794 Ziel eines zweiten Steinschauers wird. Eine Probe geht an William Hamilton, den britischen Gesandten am Königshof von Neapel. Dieser "Liebhaber des Vulkans" – so wird ihn Susan Sontag 1992 in ihrem gleichnamigen Roman nennen – berichtet der Royal Society in London von einem Vesuvausbruch am Tag zuvor. Obwohl die Schauplätze 380 km voneinander getrennt sind, will der begeisterte Vulkanologe einen Zusammenhang zwischen der Eruption und den Siena-Steinen nicht ganz ausschließen. Wenige Jahre später wird Hamiltons Gattin Emma den englischen Admiral Horatio Nelson kennen lernen. Die folgende Dreiecksbeziehung erlangt Berühmtheit.

Kosmisch oder irdisch?

Mathematikprofessor Ambrogio Soldani sendet eine Probe aus Siena auch an den befreundeten Mineralogen William Thomson: 1761 in Worcester geboren, hat der englische Mediziner seiner Heimat längst den Rücken gekehrt – nach einem uns unbekannten Vorfall, der für große Aufregung gesorgt haben muss. Mit italianisiertem Vornamen "Guiglielmo" oder "Guglielmo" wohnt Thomson nun in Neapel und widmet sich ebenfalls dem Vulkangestein. Auch er hält den Brocken aus Siena für Gestein irdischen Ursprungs. Andere Gelehrte tun es ihm gleich. Sie sehen darin bloß Vulkanaschen oder Dünste, die sich hoch in der Luft zu neuem Gestein verfestigt hätten.

Seit sieben Jahren besitzt Thomson auch ein kleines Stück des sogenannten "Pallas-Eisens", dem Chladnis Buch soviel Beachtung schenkt. Der deutsche Forschungsreisende Peter Simon Pallas hatte die ursprünglich 700 kg schwere Eisenmasse aus dem sibirischen Krasnojarsk nach Europa gebracht. Weil sie sich sowohl von Roh-, als auch von Schmiedeeisen unterscheidet, zerbrechen sich Gelehrte den Kopf über ihre Entstehung.

Rostprobleme

Als sich Rostflecke auf Thomsons Eisenstück zeigen, bearbeitet er es mit verdünnter Salpetersäure. Dabei taucht ein hübsches Muster auf, das zuvor noch nie ein Mensch erblickt hat. Offenbar besteht das Eisen in Wirklichkeit aus drei Komponenten, die unterschiedlich rasch von der Säure angegriffen werden. Thomson sieht ein Spiel einander kreuzender lamellenförmiger Balken. Sie werden von sehr widerstandsfähigen, haarfeinen Bändern eingefasst. Die dritte Varietät füllt den Raum zwischen den Balken aus. Er beschreibt die eigentümliche Entdeckung im französischsprachigen Aufsatz "Über das geschmeidige Eisen, gefunden in Sibirien von Prof. Pallas". Der erscheint 1804 in der Genfer Zeitschrift "Bibliothèque Britannique", die sich vor allem den Errungenschaften englischer Wissenschafter widmet. Während Chladni die Genesis aller abgestürzten Stein- und Eisenmassen im Kosmos ortet, bleibt für Thomson selbst das Fundstück aus Sibirien nur ein ungewöhnliches, irdisches Eisen.

Seine letzten Lebensmonate verbringt der erst 45-Jährige auf Sizilien. Hier, in Palermo, hat Giuseppe Piazzi am 1. Jänner 1801 die Ceres aufgestöbert, den ersten Himmelskörper zwischen Mars und Jupiter. Noch ahnt aber kaum jemand den Zusammenhang zwischen solchen Kleinplaneten und den Meteoriten. Am wenigsten wohl Thomson. Er stirbt an einem unbekannten Tag des Jahres 1806 – irgendwo auf Sizilien.

Auf Betreiben seines Freundes Soldani erscheint der erwähnte Artikel zwei Jahre später nochmals; diesmal auf Italienisch, in den "Akten der Akademie der Wissenschaften von Siena". Danach breitet sich Vergessen über den Autor aus.

Direktor Widmanstätten Mittlerweile hat der 1754 in Graz geborene Druckersohn Alois von Widmanstätten eine 13-Zimmerwohnung in der Wiener Wipplingerstraße gemietet. Auf kaiserlichen Wunsch entsteht hier das Fabriksprodukten-Kabinett. Tausende Musterstücke präsentieren Erzeugnisse der heimischen Industrie. Sie sollen Fabrikanten zur Nachahmung anspornen. Direktor Widmanstätten lernt den jüngeren Carl von Schreibers kennen. Der geborene Pressburger leitet das kaiserliche Naturalienkabinett. Er übernimmt es samt dem kroatischen Hraschina-Eisen, dem Pallas-Eisen und drei weiteren Meteoriten. Ab 1808 baut Schreibers den Bestand systematisch aus: Seit Siena hat man immerhin von zwei Dutzend weiteren Meteoritenfunden gehört.

Im selben Jahr zeigt Schreibers seinem Freund Widmanstätten die Eisenmasse aus Hraschina bei Agram. Der Grazer will wohl prüfen, wie sich ein kleines Plättchen dieses Materials beim starken Erhitzen verhält: An die Flamme gehalten, bilden sich unterschiedliche Anlauffarben aus. Diese verraten, wenngleich recht schemenhaft, ein zierliches, überraschend regelmäßiges Muster. Nach dem Ätzen mit verdünnter Salpetersäure sieht Widmanstätten die millimeterbreiten Balken deutlicher, in mattem Glanz und eisengrauer Farbe. Das nun tastbare Relief von "mehr oder weniger erhabenen und vertieften Figuren" erinnert ihn an die einst so vertrauten Druckletter. Also bestreicht er das Plättchen mit Schwärze und drückt es auf ein Blatt Papier. Eine reizvolle, "vollkommen getreue und leicht vervielfachbare Darstellung" des Musters entsteht. Bald gelingt ihm das Gleiche mit dem Pallas-Eisen aus Krasnojarsk und anderen Eisenmeteoriten.

Späte Anerkennung

Die beiden Gelehrten wollen darüber eine Abhandlung verfassen. Doch das setzt "eine Reihe von mühsamen und ununterbrochenen Versuchen und Untersuchungen" voraus. "Allein Zeitumstände und Verhältnisse erschwerten unsere Arbeiten" , erinnert sich Schreibers später. Direktor Widmanstätten kämpft seit 1811 verbissen um den Weiterbestand seines Produkten-Kabinetts. Es wird schließlich geräumt, er selbst in den Ruhestand versetzt. Schreibers belässt es lange Zeit bloß bei mündlichen Mitteilungen. Erst 1820 hält er den Fund in den "Beyträgen zur Geschichte und Kenntnis meteorischer Stein- und Metallmassen" fest: "Es ist die Entdeckung dieser Eigenthümlichkeit des Gediegeneisens, wahrhaft meteoritischen Ursprunges, schon seit mehreren Jahren ziemlich bekannt; denn Herr Director v. Widmanstätten machte sie bereits im Jahre 1808 bey Gelegenheit der ersten physisch-technischen Versuche, die er mit der Agramer Eisenmasse vornahm."

Offenbar weiß damals niemand, dass Thomson das Muster schon 1804 beschrieben hat. So prägt Schreibers dafür die Fachbezeichnung "Widmanstätten’sches Gefüge". Für dessen drei Bestandteile ersinnt Karl von Reichenbach, ebenfalls in Wien, später Eigennamen: "Balkeneisen" (Kamazit), "Bandeisen" (Taenit) und "Fülleisen" (Plessit). Die Figuren sind deshalb so schön regelmäßig, weil das nickelarme Mineral Kamazit plattige Kristalle ausbildet. Diese ordnen sich wiederum parallel zu den vier Flächenpaaren eines sechseckigen Oktaeders an.

Die meisten Himmelssteine – auch jene von Siena – sind Reste jener Urmaterie, die im Kleinplanetenreich sich nie zu einem wirklich mächtigen Himmelskörper zusammenfügen konnte. Hingegen stammen Himmelseisen wie jene von Krasnojarsk oder Hraschina wohl von einst größeren, später aber zersplitterten Kleinplaneten ab.

Massereich genug, schmolzen solche Welten zuvor durch den Zerfall radioaktiver Isotope oder durch gegenseitige Kollisionen auf. Schwere Elemente wie Eisen oder Nickel sanken dabei ab, formten einen metallischen Kern. Der wiederum dürfte von einem dicken Mantel aus Silikaten eingehüllt worden sein. Doch von diesen ausgedehnten Mänteln besitzen wir irritierend wenige Meteorite. Auch dieser Diskrepanz wegen glauben manche Forscher, dass die Himmelseisen niemals Teil größerer Kleinplaneten waren – und somit auf ganz andere Weise entstanden sein müssen.

Eines ist aber gewiss: Für die meisten Eisenmeteorite ist das von Thomson und Widmanstätten entdeckte Figurenspiel charakteristisch. Es gleicht einem kosmischen "Wasserzeichen." Im weltberühmten Meteoritensaal des Naturhistorischen Museums in Wien kann man sich selbst ein Bild davon machen.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist für Astronomie in Wien. Im Internet unter:

members.aon.at/dr.c.pinter/

 

Printausgabe vom Samstag, 08. März 2008
Online seit: Freitag, 07. März 2008 16:21:00

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