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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor 225 Jahren starb der Mannheimer Astronom Christian Mayer, dessen neue Theorien über Fixsterntrabanten viel Verwirrung – und den Unmut eines Wiener Kollegen auslösten.

Doppelsterne: Disput der Hofastronomen

Der Wiener Astronom Maximilian Hell unternahm 1769 eine Reise an den Polarkreis (hier im Bild), deren Forschungsergebnisse von seinem Konkurrenten Mayer sehr kritisiert wurden.  Foto: Franz Kerschbaum

Der Wiener Astronom Maximilian Hell unternahm 1769 eine Reise an den Polarkreis (hier im Bild), deren Forschungsergebnisse von seinem Konkurrenten Mayer sehr kritisiert wurden. Foto: Franz Kerschbaum

Von Christian Pinter

Aufzählung Mannheim, 1775: Endlich geht die neue Sternwarte in Betrieb. Konzipiert vom Astronomen Christian Mayer. Dieser, am 20. August 1719 in der Nähe von Brünn geboren, kennt Wien aus seinen Studententagen, ahnt aber noch nicht, dass ihm gerade von dort aus heftigste Kritik entgegen schlagen wird.

Während Mayer durch sein 85-fach vergrößerndes Teleskop blickt, zerfallen etliche Sterne in jeweils zwei ganz eng beisammen stehende Lichtpunkte. Derartige Sternzwillinge sind seit 1617 bekannt. Damals hatte Galileo Galilei, angeregt von Benedetto Castelli, den Stern Mizar im Großen Bären geteilt. Der Luzerner Johann Cysat und der Tiroler Anton Schyrle erspähten mittels der neuen Erfindung "Fernrohr" weitere Mehrfachsterne im Orion und im Krebs. Giovanni Odierna legte 1654 bereits eine kurze Liste solcher Objekte vor.

Auch bei jenen Doppelsternen, die Christian Mayer nun in bis dahin unerreichter Zahl entdeckt, glänzt eine Komponente oft stärker als die andere. Nach Ansicht der meisten Astronomen besitzen aber alle Sterne die gleiche Größe und Leuchtkraft. Das schwächere Sternchen müsste demnach deutlich weiter von uns entfernt sein als das hellere, im Raum also weit hinter diesem weilen. Ihr enges Beisammensein wäre als ein Spiel der Perspektive zu erklären. Doch einige Gelehrte widersprechen: Dem Engländer John Michell erscheint die Anzahl solcher Doppelsonnen schon 1767 zu hoch, um noch an Zufall glauben zu können. Und der Elsässer Johann Heinrich Lambert mutmaßt, dass jene Sternpartner Nachbarn sind, welche einander umkreisen.

Unstete Fixsterne

Auch bei gewöhnlichen Einzelsternen hat man ein überraschendes Phänomen beobachtet. Beim Vergleich von antiken und modernen Sternkatalogen bemerkte Edmond Halley 1718, dass einige der sogenannten "Fixsterne" ihre Position verändert hatten. Das hieße aber, dass sie durch den Raum ziehen. Diese Eigenbewegung hat es Christian Mayer in Mannheim angetan. Er will sie jetzt rasch sichtbar machen. Dazu benötigt er verlässliche Markierungspunkte am Firmament.

Die engen Doppelsterne scheinen ihm hierzu vorzüglich geeignet: Die schwächere Komponente soll den Referenzpunkt abgeben, um die Wanderschaft der helleren zu erkennen. Zunächst glaubt auch Mayer an ein scheinbares, rein perspektivisch bedingtes Beisammenstehen. Später schließt er sich der Außenseitermeinung an, wonach es sich um wirkliche, physikalische Sternsysteme handelt: Die beiden Partner reisen eben gemeinsam durchs All. Den jeweils schwächeren Stern nennt er "Fixsterntrabant".

Im Oktober 1777 unterbreitet Mayer seine "schöne" und "neue" Methode der Kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften. Der Titel seiner Abhandlung: "Über hundert Fixsterntrabanten und ihren hervorragenden Nutzen für die Bestimmung der Eigenbewegung der Fixsterne". Auch die "Mannheimer Zeitung" berichtet davon. Das erzürnt Mayers Wiener Kollegen Maximilian Hell, den Gründungsdirektor der hiesigen Universitätssternwarte. Die Lebenswege der beiden ehemaligen Jesuiten weisen Parallelen auf. Auch der kaum jüngere, in Schemnitz geborene Hell hat mit 31 Jahren die Priesterweihe erhalten. Beide Gelehrte errichteten mehr als nur eine Sternwarte. Sie befassen sich außerdem mit Experimentalphysik. Mayer ist Hofastronom des Pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor, Hell jener des Kaisers Joseph II.

Im Juni 1769 studierten die beiden Himmelsforscher den seltenen Vorübergang der Venus vor der Sonnenscheibe. Mayer reiste zu diesem Zweck in die russische Hauptstadt Sankt Petersburg, Hell hingegen ins einsame Vardö, weit jenseits des Polarkreises. Während Mayers Beobachtungen schon im nächsten Monat vorlagen, erschien Hells Bericht, der langen Heimreise wegen, erst im Jahr darauf. Seither beschuldigt man ihn, seine Ergebnisse nachträglich an die anderer Astronomen angepasst zu haben.

Wieder in Wien, beschrieb der um seinen Ruf besorgte Hell ein Verfahren, mit dem Fernrohrbesitzer die geografische Breite ihres Standorts bestimmen konnten. Mayer hatte hingegen schon in Petersburg "eine neue Methode" präsentiert, um Russland "in kurzer Zeit und mit geringen Kosten" zu kartieren. Dabei sollten die Koordinaten möglichst vieler Orte an Land nach Art englischer Seefahrer "vom Himmel" abgelesen werden. Hell stellt die Neuheit von Mayers Vermessungsverfahren sofort in Abrede. Und jetzt nimmt er dessen "Fixsterntrabanten" aufs Korn. Der Begriff "Trabant" bedeutet "Diener", "Begleiter" oder "Mond". Er lässt zunächst an einen planetaren Sternbegleiter denken. Bereits 1722 hatte der Gießener Professor Johann Georg Liebknecht gemeint, die Bewegung eines schwachen Lichtpünktchens nahe dem Doppel-stern Mizar nachgewiesen zu haben – und dieses irrigerweise zu einem fernen Planeten erklärt. Mayers Fixsterntrabanten lösen neuerlich Verwirrung aus.

Rätsel "Exoplaneten"

Durch einschlägige Briefe und mündliche Anfragen fühlt sich der kaiserliche Hofastronom Hell bald "sehr belästigt". Er klagt darüber ab 8. November 1777 in der "Wiener Zeitung". Die ist damals übrigens bereits 74 Jahre alt und erscheint jeden Mittwoch und jeden Samstag unter dem Namen "Wienerisches Diarium".

Wie Hell betont, könne es sich bei Mayers "Trabanten" nur um kleine, fernere Fixsterne handeln, nicht aber um fremde Planeten. Das Teleskop zeige zudem Tausende, nicht bloß Hunderte solcher "Nebensterne". Übrigens hätte er, Hell, der Pariser Akademie bereits 1758 zwei Register mit der Eigenbewegung von Sternen gesandt, erstellt nach einem Positionsvergleich mit älteren Katalogen. Mayers alternative Messmethode sei also weder neuartig noch unbekannt. Sie wäre wahrscheinlich viel zu ungenau oder zu mühsam – in jedem Fall "unbrauchbar". Alles in allem könne der Mannheimer Astronom der Welt nichts Neues und Besseres sagen, als diese nicht bereits wüsste.

Hätten die beiden ihre Debatte in privaten Briefen ausgetragen, wäre sie wohl sachlicher verlaufen. Auch Mayer entgegnet öffentlich, kontert mit anonym verfassten Artikeln in der "Mannheimer Zeitung". Vielleicht, so unterstellt er darin, hätte Hell ja auch "nur daran gedacht", nach Paris zu schreiben. Hell wirft dem "anonymischen Verfasser", hinter dem er natürlich Mayer vermutet, daraufhin "unüberlegte Dreistigkeit" vor. Dieser verbreite "unverschämte Unwahrheiten" und versuche, "den Ruhm einiger wahrer Gelehrter zu beschmutzen". Schließlich wünscht Hell sogar, dass die "hochlöbliche Akademie der Wissenschaften zu Mannheim die Zensur über die in die Mannheimer Zeitung einzudruckenden gelehrten Artikel übernehme" – damit Leser nicht wieder "irre gemacht", die "Astronomen gefoppet" und durch "unnütze Ankündigungen" gestört würden.

Tatsächlich ist Mayers Terminologie zweideutig. Sind seine "Fixsterntrabanten" nämlich tatsächlich Begleitsonnen, stellt sich für etliche Zeitgenossen die Frage nach Sinn und Zweck solcher Doppelgestirne: Die Natur käme, so glaubte man damals, ganz gut ohne sie aus. Wären es hingegen planetare Körper, dürfte man sie ja gar nicht sehen. Die viel kleineren Planeten leuchten nämlich nicht selbst, sondern reflektieren bloß Sternenlicht, wären also einfach zu dunkel. Mayer räumt beide Möglichkeiten ein. Er glaubt sogar, fremde Planeten anhand ihres geringeren Funkelns von Sternen unterscheiden zu können.

Freilich ist die Vorstellung, dass auch andere Sonnen Planeten besitzen könnten, nicht neu. Der radikale Kopernikaner Giordano Bruno vertrat sie schon im 16. Jahrhundert – aus rein philosophischen Erwägungen. Nachweisen wird man solche Exoplaneten aber erst 1995. Allerdings nur mit ausgefuchsten, indirekten Methoden; nicht durch direkte Fernrohrsichtung. Der spätere Direktor der Berliner Sternwarte, Johann Elert Bode, würdigt Mayers Fleiß. Er nimmt dessen Doppelsternverzeichnis ins "Astronomische Jahrbuch" auf. Auch Wilhelm Herschel rühmt das "exzellente" Werk: Der englische Hofastronom interessiert sich ebenfalls für Doppelgestirne, wenngleich aus anderen Gründen.

Herschels Beweis

Mit Hilfe viel mächtigerer Teleskope stöbert Herschel später fast jede Nacht weitere Exemplare auf; 1802 hält er schon bei 700. Zunächst glaubt auch er bloß an ein perspektivisches Phänomen. Als Herschel Jahrzehnte später jedoch zu seinen ersten Funden zurückkehrt, haben 50 Sternpartner "wirklich ihre Stellung gegeneinander geändert" : Sie ziehen Kreise oder Ellipsen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt, vereint "durch das Band ihrer eigenen wechselseitigen Anziehung". Sie bilden also tatsächlich physikalische Systeme.

Diesen Beweis ist Christian Mayer schuldig geblieben. Er starb bereits am 16. April 1783 in Mannheim. Für die meisten Astronomen gilt daher nicht er, sondern Wilhelm Herschel als "Vater" der Doppelsternforschung.

Literatur:
Maximilian Hell: Artikel im Wienerischen Diarium, 8.11., 10., 13. und 20. 12. 1777. Internet: anno.onb.ac.at/zeitungen.htm
Alexander Moutchnik: Forschung und Lehre in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Naturwissenschafter und Universitätsprofessor Christian Mayer SJ (1719-1783). Dr. Erwin Rauner Verlag, Augsburg 2006.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra".

Im Internet ist er zu finden unter der Adresse:
members.aon.at/dr.c.pinter/

 

Printausgabe vom Samstag, 12. April 2008
Online seit: Freitag, 11. April 2008 14:09:00

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