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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Tunnel in ein fremdes Universum oder Motor des Urknalls? Die Schwarzen Löcher geben den Forschern nach wie vor Rätsel auf

Monster der Galaxie

Ein 5000 Lichtjahre weiter Materiejet verrät das dunkle Monster in der Galaxie.  Foto: NASA-SScI-AURA

Ein 5000 Lichtjahre weiter Materiejet verrät das dunkle Monster in der Galaxie. Foto: NASA-SScI-AURA

Kuffner-Sternwarte in Wien, alte Heliometerkuppel.  Foto: Pinter

Kuffner-Sternwarte in Wien, alte Heliometerkuppel. Foto: Pinter

Von Christian Pinter

Aufzählung Sterne, die mit mehr als 30 Sonnenmassen geboren werden, brennen heiß und blasen den Großteil ihres Gasvorrats ins All. Dabei verzehren sie sich rasch und sterben jung.

Ist das nukleare Feuer in ihrem Innersten erloschen, wiegt der ausgebrannte Sternenkern aber immer noch mehrere Sonnen auf: er bricht unter dem eigenen Gewicht zusammen. Die Natur kennt keine Kraft, um einen solchen Kollaps zu stoppen. Während der Sternenrest schrumpft, schnellt die Schwerkraft an seiner Oberfläche ins Unermessliche hoch. Eine Rakete müsste bald 25.000 Mal schneller fliegen als der Space Shuttle, um dieser Kraft zu entkommen. Schließlich verliert sogar das so geschwinde Licht den Kampf gegen die Anziehungskraft.

Im Alltag genügt Isaac Newtons Gravitationstheorie. Kommen jedoch kosmische Massen ins Spiel, hilft nur Albert Einstein weiter. Newtons Apfel fällt zu Boden, weil ihn die Erde anzieht. Einsteins Erde krümmt hingegen die Raumzeit – bildlich gesprochen – wie eine Kugel, die auf ein gespanntes Netz drückt: Ihre Masse sorgt für eine Art "Delle" im Netz der Raumzeit, in die der Apfel "rollt". Der Krümmungsradius der Delle hängt von der Größe der Masse und der Entfernung zu dieser ab. Konzentriert man eine riesige Masse auf engstem Raum, wird die Krümmung der Raumzeit dort unendlich groß – und schneidet sich gewissermaßen vom restlichen Universum ab. Der kollabierende Riesenstern verschwindet, salopp gesagt, im Jenseits. Folgt man der Allgemeinen Relativitätstheorie, muss er sich in einem unendlich kleinen Punkt unendlich hoher Dichte befinden, der sogenannten "Singularität". Die Quantenmechanik räumt ihm wenigstens ein winziges Volumen ein.

Schwarzschild-Radius

Ein Betrachter in sicherer Entfernung könnte die Singularität nicht erkennen. Für ihn "friert" der Kollaps scheinbar ein, wenn der Stern einen bestimmten Radius unterschreitet. Der Deutsche Karl Schwarzschild, einst Assistent an der Wiener Kuffner-Sternwarte, leitete diesen Halbmesser 1916 aus Einsteins Relativitätstheorie ab. Bei einem Sternenrest von 4,5 Sonnenmassen betrüge der Schwarzschild-Radius etwa die Entfernung von Stammersdorf in die Wiener Innenstadt. Im einfachsten Fall – einer elektrisch neutralen und nicht rotierenden Sternleiche – ist dieser Radius mit dem sogenannten "Ereignishorizont" identisch. Ein Objekt, das diese immaterielle Grenzfläche passiert, findet kein Zurück mehr. Selbst Licht bleibt gefangen. Der Betrachter würde deshalb bloß eine dunkle, rundliche Scheibe vor dem Sternenhintergrund wahrnehmen. Der jüngst verstorbene US-Physiker John Wheeler prägte dafür 1967 die griffige Bezeichnung "Schwarzes Loch".

Schon nahe dem Ereignishorizont wird unsere Vorstellungskraft ordentlich strapaziert. Ein darauf zustürzendes Ding würde auf unglaubliche Weise beschleunigt, käme aus unserer Perspektive jedoch zum Stillstand. Überschreitet man gedanklich den Ereignishorizont, steht die Physik Kopf. In der Singularität werden ihre Gesetze ungültig. Kein Wunder, dass Schwarze Löcher faszinieren. Vom Urknall abgesehen, gibt es wenig, das den menschlichen Geist mehr schwindeln lässt.

Im Umfeld der Schwarzen Löcher herrscht Aufruhr. Materie, etwa Raubgut aus der Gashülle eines Begleitsterns, wird in den Strudel der Ereignisse gezogen. Sie fällt aber nicht direkt ins Loch, sondern schwenkt zunächst in eine Umlaufbahn um den Ereignishorizont ein. So bildet sich die unvorstellbar rasch rotierende, sehr weite Akkretionsscheibe aus (lateinisch: accretio, Zunahme). In ihr sorgt Reibung zwischen den Gasteilchen für Temperaturen von vielen Millionen Grad: Röntgenstrahlung entsteht. 1970 stieg der Satellit Uhuru (Suaheli: "Freiheit") nahe der Küste Kenias auf und erspähte erstmals solche Röntgenquellen: zum Beispiel den engen Doppelstern Cygnus X-1 im Schwan. Offenbar wirbelt hier ein Riesenstern alle 5,6 Tage um ein Schwarzes Loch herum. Mittlerweile kennt man Zigtausende ähnlicher Kandidaten.

Galaktische Monster

Ein hieb- und stichfester Beweis für die tatsächliche Existenz Schwarzer Löcher steht allerdings aus. Die Schattenrisse selbst sind viel zu winzig, um aus tausenden Lichtjahren Abstand wahrgenommen zu werden. Im besten Fall erreichen sie wohl flächenmäßig die Größe Österreichs. Beim kleinsten, erst jüngst entdeckten Schwarzen Loch – es wiegt gut 1,3 Millionen Erden auf! – dürfte die Silhouette nach Karl Schwarzschild nur 24 Kilometer klein sein. Doch Halt – bisher ging es ja bloß um stellare Löcher, also um die relativ "bescheidenen" Überbleibsel von Einzelsternen. In den Zentren vieler Galaxien hocken aber offenbar wesentlich üppigere, Supermassereiche Schwarze Löcher – jedes so schwer wie Millionen Sonnen. Vor kurzem erst wurde ein neuer Rekordhalter mit 18 Milliarden (!) Sonnenmassen präsentiert. Dieses Riesenloch besitzt eine dichte Akkretionsscheibe, die alle paar Jahre von einem zweiten Loch mit 100 Millionen Sonnenmassen durchpflügt wird. In den Lichtjahre weiten Akkretionsscheiben solcher Goliaths wird unglaublich viel Materie in Energie umgewandelt; mit einer Effizienz, die 20 Mal höher ist als die einer Kernfusion. Manche Scheiben strahlen heller als ihre ganze Heimatgalaxie.

Einfallendes Gas wird ionisiert. Starke Magnetfelder bündeln und beschleunigen dieses Plasma, jagen es mit nahezu Lichtgeschwindigkeit in den intergalaktischen Raum hinaus. Manchmal trifft ein solcher Materiejet sogar eine andere Milchstraße. Auch im Kern unserer eigenen Galaxis thront, 26.000 Lichtjahre entfernt, ein Monster mit knapp vier Millionen Sonnenmassen und einem Durchmesser von etwa 20 Millionen Kilometern. Sein Appetit scheint tausendmal geringer zu sein als der seiner gefräßigsten Kollegen. Tatsächlich aber ist es derzeit bloß vom weiteren Materiezustrom abgeschnitten und deshalb auf Diät gesetzt.

Niemand weiß mit Sicherheit, wie diese Supermassereichen Löcher entstanden sind. Vielleicht wuchsen sie stufenweise, und zwar beim Zusammenstoß von Galaxien, die selbst Schwarze Löcher in ihren Herzen trugen. Vielleicht aber saugten sie bloß Sterne, Gas und Staub aus ihrer Umgebung auf – und setzten so im Lauf von Jahrmilliarden langsam, aber stetig Speck an.

Nicht ausgeschlossen, dass sehr kurz nach dem Urknall auch Scharen von ursprünglichen, Primordialen Schwarzen Löchern geboren wurden – mikroskopisch klein und doch mit der Masse ganzer Gebirge. 1974 postulierte der Physiker Stephen Hawking die Existenz einer speziellen Strahlung: Sie soll durch quantenmechanische Prozesse entstehen und den Löchern zunächst gemächlich, dann jedoch immer rasanter Masse rauben. Die masseärmeren Primordialen Löcher wären dank der Hawking-Strahlung längst wieder verdampft, die schwereren hätten hingegen überdauert. Vielleicht bilden diese ja einen Bestandteil der mysteriösen Dunklen Materie: Sie offenbart sich bestenfalls durch ihre Anziehungskraft und spielte wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Galaxien.

Trotz gegenseitiger Distanzen von vielen tausend Lichtjahren, so werfen manche Mathematiker ein, könnten Schwarze Löcher über extrem labile Brücken der Raumzeit miteinander verbunden sein. Andere, ähnlich spekulativ, sehen sie gar als mögliche "Tunnel" in ein hypothetisches, fremdes Universum. Dort könnten gänzlich andere Naturgesetze gelten. Einige Theoretiker räumen Verbindungen zwischen den Schwarzen und den völlig unbewiesenen Weißen Löchern ein: Während Schwarze Löcher Energie aufsaugen, sprudeln die Weißen sie aus. So betracht, ähnelte ein Weißes Loch dem Urknall. Bezog dieser seine Schaffenskraft etwa gar aus einem gigantischen Schwarzen Loch eines anderen Universums? Solche Gedanken sind freilich schon im Reich der Spekulation beheimatet.

Weiße Löcher

Mit Spekulativem hat die Science-Fiction-Literatur naturgemäß wenige Probleme. Dort dienen Schwarze Löcher als Zeitmaschinen, überlichtschnelle Abkürzungen quer durch die Raumzeit oder Portale in Paralleluniversen. Einschlägige Filme und Bücher regten auch die 1986 in Wiener Neustadt geborene Cornelia Faustmann an. Schon als Zehnjährige wollte sie mehr als nur spekulieren. Um den tatsächlichen Aufbau des Universums zu begreifen, arbeitete sie sich selbst in die Relativitätstheorie ein. Mit 17 legte sie eine Fachbereichsarbeit über Entstehung und Eigenschaften Schwarzer Löcher vor. Das 50 Seiten starke Werk wurde 2004 von der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft sowie der Gesellschaft für Astronomie und Astrophysik prämiert.

Das wiederum machte den heute 81-jährigen Physiker Walter Thirring auf diese Studentin der Astronomie und der Lateinischen Sprache aufmerksam. Mit ihr zusammen verfasste er 2007 das Buch "Einstein entformelt – wie ihm ein Teenager auf die Schliche kam". Die Relativitätstheorie wird darin ohne komplizierte Mathematik erklärt. Und jüngst veröffentlichte Faustmann ein sehr verständliches Werk über Schwarze Löcher.

Literatur:
Cornelia Faustmann: Schwarze Löcher. Rätselhafte Phänomene im Weltall. Seifert Verlag, Wien 2008 , 187 Seiten, 24,90 Euro.

Christian Pinter, *geboren 1959, lebt als Fachjournalist in wien und schreibt seit 1991 im "extra" über astronomische Themen. Internet: members.aon.at/dr.c.pinter/

 

Printausgabe vom Samstag, 26. April 2008
Online seit: Freitag, 25. April 2008 14:42:00

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