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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Die amerikanische Raumsonde Messenger macht sich demnächst auf den Weg, um Merkur, den sonnennächsten Planeten, zu erkunden

Besuch beim Götterboten

Blick aus der Sonde Messenger auf den Merkur. Foto: NASA/ Messenger

Blick aus der Sonde Messenger auf den Merkur. Foto: NASA/ Messenger

Merkurs Kraterböden werden von Lava überflutet.

Merkurs Kraterböden werden von Lava überflutet.

Von Christian Pinter

Schon das erste Rendezvous am 14. Jänner dieses Jahres war ein voller Erfolg. Demnächst, am späten Vormittag des 6. Oktober, kommt es zum neuerlichen Stelldichein zwischen der Raumsonde Messenger (englisch für "Bote") und dem flinken Merkur.

Der innerste Planet entfernt sich am irdischen Himmel nie weit von der Sonne. Doch man erspäht ihn bestenfalls nur in der hellen Dämmerung, knapp über dem Horizont. Die Alten mutete er deshalb wie ein Mittler zwischen Himmel und Erde an. Die Griechen verwoben ihn mit dem göttlichen Boten Hermes, die Römer mit ihrem Gott Merkur. Die wurden von Reisenden, Händlern und Dieben verehrt – was gut zur flinken Bewegung des Gestirns am Firmament passte. Als Erfinder der Leier bewiesen Hermes und Merkur zudem eine künstlerische Ader.

Langsame Annäherung

Die Nasa-Sonde Messenger hat eine beschwerliche Reise zu absolvieren. Seit ihrem Start im August 2004 umrundet sie die Sonne. Um vom kleinen Merkur eingefangen zu werden, ist starke "Entschleunigung" nötig. Dazu dienten bisher drei Passagen an der Erde und der Venus. Zur weiteren Abbremsung stehen drei enge Vorbeiflüge an Merkur selbst auf dem Flugplan. Der zweite erfolgt also jetzt im Oktober, der letzte im September 2009. Den Rest schafft Messengers Bremstriebwerk aus eigener Kraft: es lenkt den Späher im März 2011 in eine Umlaufbahn um den Planeten. Der erste künstliche Merkursatellit wird die Oberfläche Merkurs dann mindestens ein Jahr lang kartieren. Sie ist siebenmal kleiner als die irdische, und wäre mit Afrika und Asien bereits ausgefüllt; alle anderen Kontinente müsste man auf der Erde belassen.

Die Mission kostet 400 Millionen US-Dollar und ist dennoch kein schlechter Handel. Von den fünf klassischen, schon im Altertum bekannten Planeten ist Merkur der am wenigsten erforschte. Fast unser gesamtes Wissen über ihn stammte bis vor kurzem noch aus den Tagen von Mariner 10. Diese US-Sonde schoss 1974 und 1975 dreimal eiligst an ihm vorüber – und erblickte dabei ein Meer von Einschlagskratern. Diese steinernen Monumente legen Zeugnis ab von der Frühphase des Sonnensystems. Damals donnerte übrig gebliebenes Baumaterial in Form kleinerer Himmelskörper auf all die jungen Welten herab.

Merkurs Narben wurden mittlerweile nach bildenden Künstlern, Schriftstellern und Musikern benannt: Etwa Tizian, Dürer und Botticelli, Tolstoi, Hugo und Ibsen, Monteverdi, Ravel und Händel. Diese Namensgeber teilen sich den Platz mit den österreichischen Komponisten Gluck, Haydn, Mozart, Mahler, Schubert und Schönberg.

Mariner 10 lichtete aber nicht einmal die Hälfte der Merkuroberfläche ab. Erst 33 Jahre später reichte Messenger ein weiteres Fünftel nach. Und jetzt erkundet der US-Roboter abermals unbekanntes Terrain. Was im Jänner noch im Dunkel der Merkurnacht schlummerte, badet nämlich nun im gleißenden Sonnenschein. Der ist im Schnitt siebenmal kräftiger als auf Erden, sorgt drei Monate lang für höchst unbequeme Temperaturen von bis zu 470 Grad C. In der ebenso langen Merkurnacht stürzen sie hingegen auf minus 180 Grad ab. Zwar gilt Merkur seiner festen Kruste wegen als "terrestrischer Planet" (lateinisch: terra, Erde) – doch fehlt ihm alles, was unsere Welt so liebenswert macht: auch eine richtige Atmosphäre, die für Temperaturausgleich sorgen könnte.

Ultrafeine Gashülle

Merkurs "Lufthülle" verdient diesen Namen eigentlich nicht. Wegen ihrer extrem geringen Teilchendichte würden Erdenbürger nur von einem "Hochvakuum" sprechen. Ihre Atome sind dem Bodengestein geraubt, das von den geladenen Teilchen des Sonnenwinds und von Mikrometeoriten oft getroffen wird. Beim Vorbeiflug wies Messenger in der ultrafeinen Gashülle u.a. Sauerstoff, Natrium, Kalium, Magnesium, Silizium, Schwefel und Calcium nach – und erhielt so auch einen indirekten Einblick in die Zusammensetzung des Merkurgesteins.

Viel mehr als den Hauch von einer Atmosphäre vermag der sonnennächste und schmächtigste aller acht Planeten nicht zu halten. Er ist zweieinhalbmal kleiner als die Erde, besitzt kaum sechs Prozent ihrer Masse. Ein irdischer Zentner wöge dort nur 38 kg. Was Merkur aber einzigartig macht, ist der im Vergleich zur Gesamtgröße höchst überdimensionierte Eisenkern. Er nimmt drei Viertel des Planetenradius ein. Für den darüber ruhenden Gesteinsmantel bleiben wohl nur 600 km übrig. Dieses Missverhältnis bereitet Forschern Kopfzerbrechen. Womöglich ging Merkur einst mit der doppelten Masse ins Rennen. Sein Mantelgestein könnte dann jedoch von der jungen, wilden Sonne auf tausende Grad Celsius erhitzt und zum Verdampfen gebracht worden sein. Vielleicht wurde er vor 4,5 Milliarden Jahren aber auch von einem anderen, kleineren Himmelskörper gerammt: Diese Kollision raubte ihm große Mengen Mantelmaterial, von dem einiges, so legen es jedenfalls Computersimulationen nahe, bis zur Erdbahn katapultiert wurde. In diesem Fall bestünde unsere eigene Welt also auch aus Diebsgut vom Merkur.

Der äußere Erdkern ist noch flüssig, schenkt uns ein starkes und schützendes Magnetfeld. Der des schmächtigen Merkur sollte längst zur Gänze ausgekühlt und erstarrt sein. Doch dem ist nicht so. Offenbar verfügt auch er noch über einen äußeren Kern aus flüssiger Nickeleisenmasse. Schwefel und andere Elemente könnten deren Schmelzpunkt senken und so ihr rascheres Erstarren vereitelt haben. Als Indiz gilt das von Mariner 10 registrierte Magnetfeld, das allerdings hundertmal schwächer ist als das irdische. Messenger bewies dessen globale Natur: Eine fein gelagerte Kompassnadel würde sich also auf dem Merkur grob in Nord-Süd-Richtung drehen.

Auf den ersten Blick ähnelt der verkraterte Merkur dem öden, zernarbten Erdtrabanten. Doch der Blick trügt. Unser Mond kennt nämlich zwei sehr gegensätzliche Landschaftsformen: In seinen hellen Hochländern drängen sich Krater dicht an dicht, überlappen einander sogar. Sie entstanden fast immer vor 4,5 bis 3,9 Milliarden Jahren. Diese einschlagsreiche, ziemlich unfreundliche Epoche klang mit einem Paukenschlag aus: Während des sogenannten "letzten schweren Bombardements" schlugen marodierende Körper von ungewöhnlich mächtiger Dimension auf allen Welten ein. Auf dem Mond schufen Geschosse von der Größe einer ganzen Stadt gewaltige Einschlagsbecken – ausgedehnter als die Iberische Halbinsel.

Vor 3,8 bis 3,2 Milliarden Jahren drang dann dunkles basaltreiches Magma durch Risse in der Mondkruste aus und überflutete die tiefsten Becken. Diese grauen, weiträumigen Lavaflächen werden aus historischen Gründen "Mondmeere" genannt. Sie bilden das vertraute, mit freiem Auge erkennbare "Mondgesicht". Nach dem letzten großen Bombardement blieb die Einschlagsrate bescheiden, wie die geringe Anzahl an Kratern in diesen Lavameeren belegt.

Kleine "Meere"

Messenger stellte außer Streit: Auch Merkur ist von Lava bedeckt. Seine "Meere" sind allerdings kleiner und rarer als die des Erdmonds. Auch die Krater wirken nur halb so tief, müssen einst von flüssiger Gesteinsschmelze ausgefüllt worden sein. Sie bedeckt auch den Raum zwischen den Kratern. Also schoss einst Magma in gewaltigen Mengen durch Risse in der dünnen Kruste und erbrach sich über das Antlitz Merkurs – mitunter sogar kilometerhoch.

Die Lava radierte kleinere Einschlagsnarben aus und schuf so überraschend viel Raum zwischen den verbliebenen Großkratern. Sie trägt eine Art "Tarngewand" und ist bei weitem nicht so dunkel wie die Lava der Mondmeere. Doch das dürfte bloß an ihrem Eisenmangel liegen. Der Magmaaustritt erfolgte zudem deutlich früher als auf dem Erdmond. Denn nicht selten wurde die Lavadecke später von neuen Einschlägen durchbohrt. Übrigens hat Messenger sogar einen 95 km weiten Schildvulkan fotografiert. Er ragt aus der 1550 km weiten Caloris Planitia auf, der "Tiefebene der Hitze".

Krustenspannungen

Als Merkurs Inneres vor drei bis vier Milliarden Jahren stark abkühlte, schrumpfte der Planet um ein Promille seines Durchmessers. Dies verursachte enorme Spannungen in seiner Kruste, von denen lange, gewundene Steilwände zeugen. Diese "Klippen" wurden nach berühmten Schiffen wie Cooks "Discovery", Darwins "Beagle" oder Amundsens "Fram" benannt.

Merkurs Polgebiete werfen irdische Radarsignale kräftig zurück. Vielleicht liegt das nur an besonders rauem oder schwefelhaltigen Gestein. Staubdurchsetztes Wassereis gäbe ebenfalls einen guten Reflektor ab: Die nötige Chemie könnte von Ausgasungsprozessen stammen, oder von Kometen und Meteoriten angeliefert worden sein. Womöglich entpuppen sich die polnahen Krater tatsächlich noch als wahre Eisgruben. In diese fallen die Sonnenstrahlen nämlich stets in so flachen Winkeln ein, dass sie niemals bis zu den Kraterböden vordringen, welche somit in immerwährender frostiger Dunkelheit verharren. Messenger könnte der Nachweis solcher Eisdepots gelingen.

Nach Arbeitsende wird der US-Roboter wohl hart auf dem Merkur aufschlagen. Etwa zu dieser Zeit wird die Esa ihren Sendboten BepiColombo losschicken: Sein Name erinnert an den italienischen Mathematiker Giuseppe "Bepi" Colombo, dem seinerzeit die komplizierte Flugbahnberechnung für Mariner 10 gelang. Die europäische Sonde soll 2019 in eine Umlaufbahn um Merkur einschwenken. Wissenschafter aus elf Ländern – auch aus Österreich – entwickeln deren Messgeräte.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien. Er schreibt seit 1991 im "extra" Internet: members.aon.at/dr.c.pinter/

Printausgabe vom Samstag, 04. Oktober 2008
Online seit: Freitag, 03. Oktober 2008 15:42:00

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