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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor 400 Jahren stellte Johannes Kepler in Prag sein Werk "Astronomia Nova" vor. Es sollte dem kopernikanischen Weltbild zum Sieg verhelfen

Kühner Feldzug gegen den Mars

Von Christian Pinter

Prag, vor genau 400 Jahren: Endlich kann Johannes Kepler sein neues Buch "Astronomia Nova" präsentieren, an dem er so lange gearbeitet hat. Fertig ist es ja schon seit 1606.
2803Ekepler

Das Kepler-Denkmal im Grazer Stadtpark. Foto: Pinter

Doch Geldmangel und andere Widrigkeiten verzögerten den Druck. Vielleicht liest der Kaiser wenigstens den Anfang; kaum anzunehmen, dass er sich durch alle 70 Kapitel müht. Der Mystiker Rudolf II. hat Prag zur Reichshauptstadt erhoben, zum Brennpunkt des geistigen Schaffens gemacht. Doch auch hier hängen die meisten Gelehrten noch der antiken Kosmologie des Ptolemäus an, derzufolge die Erde unbewegt im Zentrum der Schöpfung ruht. Sonne, Planeten, ja der ganze Kosmos wirbeln täglich um sie herum.

Nikolaus Kopernikus indes hatte 1543 die Erde mehrfach "angeschubst": Er versetzte sie in Rotation und ließ sie um die Sonne kreisen. Keplers Zeitgenossen schwindelt es bei diesem Gedanken. Kaum jemand glaubt, dass sich die schwere Erde tatsächlich rührt. Auch der aus Dänemark stammende Protestant Tycho Brahe nicht, der, wie einst Martin Luther, Widersprüche zur Bibel ortet. Da er aber auch die Ungenauigkeiten der alten Astronomie bemängelt, ersinnt er eine Art "Mittelweg" zwischen Kopernikus und Ptolemäus. In Brahes Mischkosmologie jagen zwar die Planeten um die Sonne – doch diese tanzt, nun mit dem planetaren Tross im Gefolge, weiterhin um die festgenagelte Erde herum.

Kreisbahn der Planeten

Diesem Kompromiss fehlt jedoch der mathematische Unterbau. Deshalb lädt Brahe den begnadeten Rechner Johannes Kepler im Oktober 1600 zu sich ein, obwohl dieser ein entschiedener Kopernikaner ist. Ein Jahr lang disputieren die beiden Gelehrten an der Moldau über den wirklichen Aufbau des Universums.

Immer wieder verweist Tycho Brahe auf den Mars, dessen Position am Firmament bis zu neun Vollmonddurchmesser von allen Kalkulationen abweicht; von den alten ptolemäischen ebenso wie von den neuen kopernikanischen. Folglich wäre dieser Planet der beste Prüfstein für Brahes Kosmologie.

Als Brahe im Oktober 1601 stirbt, wird Kepler umgehend mit seiner Nachfolge betraut: Der frischgebackene kaiserliche Mathematiker hofft, nun rasch in den Besitz aller Beobachtungsergebnisse Brahes zu gelangen. Denn der hat den Lauf des Mars am Firmament zwei Jahrzehnte lang akribisch vermessen, präziser als jeder andere Astronom bisher. Doch Tychos Nachfahren zögern. Sie kennen den Wert des Erbes und wollen entschädigt werden. Außerdem ahnen sie, dass Kepler damit nicht Brahes Mischmodell, sondern die höchst umstrittene kopernikanische Kosmologie untermauern will.

Kopernikus selbst hatte sich übrigens nicht als Revolutionär gesehen. Er wollte die griechische Astronomie lediglich verbessern. Deshalb hielt er an antiken Dogmen fest: Der Kreis galt auch ihm als die ideale geometrische Figur. Selbst die angeblich völlig gleichförmige Raumgeschwindigkeit der Planeten behielt er bei. Die Himmelskörper des Kopernikus umrundeten die Sonne daher auf Kreisbahnen, ohne dabei ihr Tempo zu wechseln. Da dieses Modell dem tatsächlichen Lauf der Planeten am Himmel nur bedingt entsprach, wandte er komplizierte Kniffe an. So fielen etwa die Mittelpunkte der planetaren Kreisbahnen bei Kopernikus nicht exakt mit der Sonne zusammen. Die Planeten umrundeten diese auch nicht direkt, sondern folgten kleinen Aufkreisen, deren leere Mittelpunkte erst auf größeren Trägerkreisen dahin rollten.

Dann endlich liegen Brahes Beobachtungsbücher auf Keplers Tisch! Er glaubt, mit deren Hilfe die kopernikanische Theorie rasch optimieren zu können. Sofort stürzt sich dieser Schwabe auf den Mars. Doch es dauert Jahre. Immer wieder sucht Kepler nach Bahnlösungen, die zu Tychos Himmelsbeobachtungen passen. Er modifiziert die Lage und Größe der kopernikanischen Auf- und Trägerkreise. Dann lässt er das verzwickte Zirkelwerk fallen und experimentiert mit einer "pausbackigen", also eiförmigem Bahnkurve. Der Restfehler beträgt jetzt nur noch ein Viertel des Vollmonddurchmessers. Trotzdem ist Kepler nicht zufrieden. Er rechnet weiter und weiter, bis er schließlich erkennt: Die Bahn des Mars muss einer Ellipse gleichen!

2803Esonnensystem

Keplers Modell des Sonnensystems. Foto: Wikipedia

Ein Rundholz, zum Beispiel: Setzt man die Säge im rechten Winkel an, ist der Umfang der Schnittfläche kreisrund. Verändert man den Ansatzwinkel, wird er zur Ellipse. Je schräger die Säge, desto größer die Abweichung von der Kreisform. Auf der Längsachse liegen zwei mathematische Punkte, die Kepler "Fokusse" nennt: Die Summe ihrer Entfernungen zu jedem beliebigen Ellipsenpunkt ist stets gleich. Deshalb kann man die Ellipse auch mit einem geschlossenen Bindfaden zeichnen, den man um die Brennpunkte legt. Rückt man die Fokusse ganz zusammen, verwandelt sich die Ellipse in einen Kreis.

Bei den planetaren Bahnellipsen ist einer der Brennpunkte leer. Doch im anderen thront, ganz exakt, die Sonne. Diese Erkenntnis wird im 18. Jahrhundert rückblickend "1. Keplersches Gesetz" genannt. Schon zuvor hat Kepler erkannt: In Sonnennähe läuft die Erde rascher als in Sonnenferne. Die Verbindungslinie Erde–Sonne variiert also in ihrer Länge. Dennoch überstreicht sie in gleichen Zeiträumen gleich große Flächen. Dieser Flächensatz wird später zum "2. Keplerschen Gesetz" erhoben. Damit lässt sich die Position der Erde, des Mars und jedes anderen Planeten exakt kalkulieren, und zwar für jeden beliebigen Zeitpunkt.

All das gelingt Kepler noch vor Erfindung des Fernrohrs. Er behält den Grundsatz der kopernikanischen Philosophie, die zentrale Sonne, bei. Doch die Kreisbahnen und die vorgebliche Tempokonstanz verwirft er. Jetzt ziehen die Planeten nicht mehr um leere Mittelpunkte, sondern um einen wirklichen Zentralkörper. Und damit ist der Schritt von der reinen Mathematik hin zur himmlischen Physik getan. Der überlange Titel des neuen Werks unterstreicht dies: "Neue ursächlich begründete Astronomie oder Physik des Himmels, dargestellt in Untersuchungen über die Bewegungen des Sterns Mars."

Perspektivenwechsel

Die Astronomia Nova will das alte, erdzentrierte Weltbild des Ptolemäus obsolet machen, ebenso das Mischmodell Brahes. Dennoch ist Kepler voll des Lobs für den verstorbenen Meister der Beobachtungskunst. Das neue Gebäude sei auf Brahes Grund und Boden errichtet, notiert er, und zwar mit dem von ihm entlehnten Baumaterial. Nur der frühe Tod hätte diesen "Hohepriester des Herrn im Sterngewand" um den Lohn seiner Arbeit gebracht. Kepler hebt aber auch die Unterschiede hervor: Bei Tycho stand die Erde fest mitten im All, bei ihm selbst zieht sie hingegen "als Stern durch den Äther". Doch nur, weil Brahe mit dem Visiergerät zum Himmel hinauf geschaut hatte, könne er, Kepler, nun von oben herab auf den Lauf der Erde blicken. Was für ein treffliches Bild für den großen kopernikanischen Perspektivenwechsel!

In seiner Widmung an Kaiser Rudolf II. bezeichnet Kepler sein beharrliches Studium als "Krieg" gegen den Mars. Dessen rötlicher Schein provozierte ja früh Assoziationen mit Feuer und Blut, sodass der Wandelstern in Verbindung zum griechischen Kriegsgott Ares gebracht wurde. Die Römer verehrten die rohe Gottheit unter dem Namen "Mars", sahen darin den Vater des sagenhaften Stadtgründers Romulus. Soldaten exerzierten auf dem flachen campus martius (lat. campus: Platz, Feld). Später bekamen auch andere Städte ein "Marsfeld", einen "Marsplatz" oder eine "Marswiese". Der Name des Gottes wurde zum Synonym für Krieg, Schlacht, Kriegsglück und Tapferkeit. Er ist im Monatsnamen "März" und im Begriff "martialisch" (grimmig, kriegerisch) enthalten.

Wie Kepler betont, sei Brahe "der oberste Anführer in diesem Feldzug" gegen den Mars gewesen, hätte er doch in zwanzig Jahren alle Gewohnheiten des Feindes ausgekundschaftet, "die ganze Art seiner Kriegsführung beobachtet, alle seine Pläne aufgedeckt und diese bei seinem Tod in Büchern aufgezeichnet hinterlassen". Oft weilte Mars an unvermuteten Orten. Erst als der Kriegsgott Keplers Zielstrebigkeit erkannte, sah er ein, dass "er in seinem Reich ringsum nirgends mehr sicher und geborgen war".

Nun kamen ihm endlich Friedensgedanken. "Nachdem er sich Freiheit innerhalb der freiwilligen Fesseln ausbedungen hatte", so Kepler, ging Mars "munter und aufgeräumt in mein Lager über" und "legte jegliche feindselige Gebärde ab". Weshalb er seinem Kaiser den Kriegsgott nun also als "hochedlen Gefangenen zur öffentlichen Schaustellung" vorführen könne.

1618 findet Johannes Kepler sein drittes Gesetz. Es stellt die mathematische Beziehung zwischen den leicht messbaren Umlaufszeiten der Planeten und ihren mittleren Sonnendistanzen her. Diese Erkenntnis macht es später möglich, die tatsächliche Dimension des Planetensystems auszuloten. Als treibende Kraft hinter dem Planetenlauf vermutet Kepler eine von der rotierenden Sonne ausgehende Strömung. Hinzu kämen anziehende und abstoßende magnetische Kräfte der Planeten. Hier allerdings irrt der große Astronom.

Keplers Gesetze beschreiben die Planetenbewegung erstmals exakt. Dennoch findet seine "neue Astronomie" anfangs wenig Gehör. Erst später überzeugt ihre unerhörte Genauigkeit, die dem kopernikanischen Weltbild zum Sieg verhelfen wird.

Christian Pinter, geboren 1959, schreibt seit 1991 im "extra" über astronomische Themen. Sein jüngst im Wiener Planetarium präsentiertes Lesebuch, "Helden des Himmels", widmet Leben und Werk Keplers breiten Raum. Internet: http://www.himmelszelt.at

Printausgabe vom Samstag, 28. März 2009
Online seit: Freitag, 27. März 2009 15:21:00

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