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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Am 4. Mai ist wieder eine totale Mondfinsternis zu beobachten

Seltenes Erdschattenspiel

Von Christian Pinter

Am Abend des 4. Mai 2004 werden sicherlich abertausende Menschen in Österreich den Blick zum Himmel richten, um eine totale Mondfinsternis zu beobachten. - Vor 500 Jahren hat ein ebensolches Schauspiel Christoph Kolumbus wohl das Leben gerettet - und ihn im Glauben bestärkt, den Seeweg nach Indien gefunden zu haben.

Es ist die vierte und letzte Reise des Genuesen. Holzwürmer durchlöchern den Rumpf der Schiffe; an Bord der letzten beiden retten sich hundert Mann im Juni 1503 ans Ufer von Jamaika. Kolumbus hatte diese Insel schon 1494 "entdeckt". Er weiß, dass sich die Bewohner gegen Plünderungen wehren. Die Seeleute errichten deshalb eine hölzerne Festung, die keiner verlassen darf. Nur eine kleine Abordnung wird ausgeschickt, um zu verhandeln. Man tauscht Glasperlen und Scheren gegen Nahrungsmittel. Zwei Kanus sollen die 200 km breite Meerenge zwischen Jamaika und Haiti überwinden. Doch die Einheimischen zögern, Kolumbus zu helfen.

Des Mondes blutrote Scheibe

Mittlerweile hat die Hälfte seiner Mannschaft gemeutert. Bevor sich die Männer schließlich unterwerfen, ziehen sie raubend durch die Dörfer. Nun stellen die Indianer alle Proviantlieferungen ein. Kolumbus sieht aber eine Chance: Der mitgeführte Almanach kündigt für die Nacht vom 29. Februar zum

1. März 1504 eine totale Mondfinsternis an. Der gleißende Vollmond wird sich in eine blutrote Scheibe verwandeln. Was die Menschen in Europa immer schon fasziniert hat, müsste auch hier Wirkung zeigen.

Man stelle sich vor, wie Kolumbus zu den Dorfältesten spricht. Gott sei ob ihres Ungehorsams verärgert, droht er, wolle sie zur Strafe mit Hunger und Seuchen plagen. Zuerst geriete der Mond in Zorn. Als die Indianer nach Sonnenuntergang zum Osthorizont schauen, staunen sie: ist der Vollmond tatsächlich verändert. Rechts unten fehlt ein großes Stück. Während nun allmählich die Dunkelheit hereinbricht, zerrinnt er zur traurigen, schmalen Lichtsichel. Und auch diese verschwindet schließlich. Nur eine matte, rötliche Scheibe erinnert noch an des Mondes einstigen Glanz.

Beunruhigt, verwirrt, ja entsetzt fleht man Kolumbus an, die drohende Strafe Gottes abzuwenden. Er lässt sich bitten. Endlich willigt er ein, zu Gott zu beten, und zieht sich zurück. Er weiß ja, wann das Himmelsschauspiel enden wird. Pünktlich tritt er vor die Indianer hin und preist die Güte Gottes, spricht von Vergebung der Sünden - und ringt den Einheimischen nochmals das Versprechen ab, ihm zu gehorchen. - Da aber leuchtet eine zarte, schlanke Lichtgestalt auf, reift zum altvertrauten Vollmond heran. Kolumbus hat triumphiert, hat nun die Indianer in der Hand. Sie versorgen ihn, bis Schiffe die Gestrandeten des Überfahrtversuchs im Juni 1504 aufsammeln. Zuvor nützt er die Mondfinsternis zu einem zweiten "Trick". Diesmal wird er jedoch selbst der Getäuschte sein.

Die Expansion des Osmanischen Reichs hatte die traditionellen

Handelsrouten nach Asien durchschnitten. Bartolomeu Diaz umschiffte deshalb das Kap der Guten Hoffnung und stieß Portugal 1487 das Tor zum Seeweg nach Indien auf. Der war Spanien aber vertraglich versperrt. Nur darum stimmte Isabella von Kastilien Kolumbus' Vorschlag zu, den fernen Osten in westlicher Richtung zu suchen.

Gelehrte zweifelten an der Machbarkeit des kühnen Seefahrtprojekts, nicht jedoch an der Kugelgestalt der Erde. Mondfinsternisse hatten dies längst bewiesen: dabei wirft die Erde stets einen kreisförmig begrenzten Schatten auf den Mond. Wie schon Aristoteles erkannt hat, vermag das nur eine Kugelgestalt.

Alexander der Große war ein Schüler des Aristoteles. 325 v. Chr. führte er sein Heer bis Westindien. In Ägypten gründete er Alexandria. Am Nil bildete Syene, das heutige Assuan, die Südgrenze des ägyptischen Riesenreichs. Eratosthenes verglich die unterschiedlichen Sonnenhöhen über Syene und Alexandria. Da der Abstand zwischen beiden Städten bekannt war, konnte er somit den Erdumfang ermitteln. Er kam dem tatsächlichen Wert von 40.000 km sehr nahe.

Alexanders Feldzüge hatten auch das geografische Wissen der Griechen erweitert. Für Claudius Ptolemäus breitete sich die Landmasse über den halben Globus aus. Doch Kolumbus zog andere Autoren vor. Er trug alles zusammen, was auf eine größere Ausdehnung des Festlands schließen ließ. Auch die Reiseberichte des Marco Polo.

Im Gegenzug schrumpfte der Atlantik. In Kolumbus' Fantasie rückte Zipangu - Japan - etwa dorthin, wo Globen heute die Ostküste der USA zeigen. In Wahrheit ist es dreimal so weit von Europa entfernt. Außerdem stutzte er den Erdumfang des Eratosthenes um ein Viertel. Am Ende lagen scheinbar nur wenige tausend Seemeilen zwischen Spanien und dem "Reich des Großen Khan". Dieser grandiose Akt der Selbsttäuschung verringerte die Risken. Der in Aussicht gestellte Goldreichtum und die zu bekehrenden "Heiden" vergrößerten den Reiz der Unternehmung.

So durfte Kolumbus am 3. August 1492 zur ersten Atlantikquerung aufbrechen - bereits als verbriefter "Admiral des Ozeans" und "Vizekönig von Indien". Auf hoher See leitete er die Position seines Schiffs aus Kurs und Geschwindigkeit ab. Die Richtung wies der Kompass. Der Polarstern diente ebenfalls zur Orientierung, obgleich er damals weiter vom Himmelspol entfernt war als heute. Die Geschwindigkeit an Bord war nur schwer abzuschätzen. Sie variierte von Tag zu Tag. Nimmt man den mehrwöchigen Durchschnitt, kamen die drei Schiffe im Schritttempo gen West voran!

Nikolaus Kopernikus studierte 1492 in Krakau. Die Sonne drehte sich damals noch um die Erde. In 24 Stunden zog sie über alle 360 Längengrade hinweg - auf Westkurs. Ebenfalls nach Westen segelnd, verzögerten sich ihre Auf- und Untergänge für Kolumbus im Schnitt um vier Minuten pro Tag. Messen konnte er das nicht, zumal die Sonne der einzige Zeitgeber war.

Ohne Uhr war die Bestimmung der geografischen Länge unmöglich. Besser stand es mit der geografischen Breite. Die Seeleute lasen sie an der Höhe von Gestirnen ab, die sie mit einfachen Visiergeräten über dem Südhorizont anpeilten.

Nach zehnwöchiger Fahrt landete Kolumbus am 12. Oktober 1492 in der anderen, der "neuen" Welt. Er "entdeckte" die Inseln Guanahani (heute San Salvador), Hispaniola (heute Haiti) und Kuba. Die im Bordbuch eingetragene - geschätzte - Wegstrecke passte zu Kolumbus' kleiner Erdkugel. Für ihn bestand kein Zweifel, auf asiatischen Inseln gelandet zu sein.

Furcht vor den Sternen

Wie viele Seeleute, fürchtete Kolumbus bestimmte Planetenkonstellationen, die angeblich Sturm und Unwetter erzeugten. Angaben zum Planetenstand entnahm er astronomischen Werken. Welche er tatsächlich an Bord hatte, ist umstritten. Historiker nennen den Almanach Perpetuum des Abraham Zacuto, vor allem aber die Ephemeriden des Regiomontanus.

Plinius der Ältere, Schriftsteller und Flottenkommandant im Römischen Reich, hatte einst geschrieben: Eine Mondfinsternis erblicken alle Menschen gleichzeitig, wo immer auf Erden sie auch weilen mögen. Der westlichste Betrachter sieht sie in der Abend-, der östlichste in der Morgendämmerung. Die Zeitspanne zwischen dem Sonnenuntergang und dem Beginn bzw. dem Ende der Finsternis ist also von der geografischen Länge abhängig.

Das wusste Kolumbus, als er die Mondfinsternis vom 29. Februar 1504 auf Jamaika beobachtete. Der Almanach nannte ihm diese Zeitspanne für einen Referenzort in Europa. Seine Sanduhr maß jene am Schiffsort. Bei vereinfachter Berechnung hätte der Unterschied zwischen den zwei Spannen, in Stunden gemessen und mit 15 multipliziert, die Längendifferenz der beiden Orte in Graden ergeben müssen. Doch Kolumbus verkalkulierte sich um zweieinhalb Stunden. Jamaika rutschte um 37 Grad zu weit nach Westen - eigentlich in jenen Ozean, den wir "Pazifik" nennen und von dessen Existenz der Seefahrer nichts ahnte. Vielleicht saß er einmal mehr einer Selbsttäuschung auf; eine solche war ja die Grundlage all seiner Unternehmungen gewesen. Jedenfalls unterlief ihm bei der Mondfinsternis am 15. September 1494 ein ähnlicher Fehler. Damals rückte er Haiti allzu weit von Spanien fort.

Kolumbus starb im Mai 1506, immer noch fest davon überzeugt, die "Länder Indiens" betreten zu haben. Amerika wurde, als eigener Kontinent entlarvt, nach dem Florentiner Amerigo Vespucci getauft. Haiti, Jamaika, Kuba und andere Inseln behielten mit "Westindien" einen falschen Sammelnamen, ebenso die "Indianer".

Früher nannte man den Vollmond des Mai "Wonnemond". Um ihn am Abend des 4. Mai 2004 beobachten zu können, braucht es einen Ausguck mit freier Sicht bis ganz tief hinab zum Südosthorizont. Auf offener See kein Problem; an Land schon, speziell in verbautem Gebiet. Man schaue sich besser rechtzeitig nach einem geeigneten "Ankerplatz" um. Im Großraum Wien klettert der Vollmond um 20 Uhr über den Horizont. Eine Viertelstunde später versinkt die Sonne. Jetzt stehen wir im Schatten unseres eigenen Planeten. Am Osthorizont taucht bald nach Sonnenuntergang ein dunkles, blaugraues Segment auf. Das ist der Erdschatten, von Molekülen der Luft wahrnehmbar gemacht. Langsam höher steigend, wird sein oberer Rand verwischt und löst sich auf.

Draußen im All gibt es keine natürliche Projektionsfläche. Der Erdschatten ist dort unsichtbar. Das ändert sich um 20.48 Uhr. Nun beginnt der Mond die Projektionsleinwand zu spielen. Zunächst wirkt er bloß angeknabbert. Doch eine halbe Stunde später ist er schon halb verschlungen. Helle Sterne funkeln jetzt am Firmament, obwohl wir die Horizontlinie noch immer gut erkennen: Jahrhundertelang haben Seefahrer diese Dämmerungsphase zur Messung von Gestirnhöhen genützt. Deshalb heißt sie "nautische Dämmerung". Recht tief im Westen strahlt die Venus. Hoch im Süden glänzt Jupiter. Eingeweihte erkennen auch Mars und Saturn.

Sonderbares "Nachglühen"

Ab 21.52 Uhr ist der Wonnemond zur Gänze in den Erdschatten eingetreten und total verfinstert. Unser Planet hat sich wie ein schwarzer Schild in den Strahlengang geschoben. Er blockt das Sonnenlicht ab. Dennoch verschwindet "Frau Luna" nicht völlig. Sie glimmt in düsterem Rot weiter, wenngleich mit weniger als einem Tausendstel des vertrauten Glanzes. Wie ist das "Nachglühen" zu erklären?

Die Strahlen der für uns längst versunkenen Sonne streifen tangential an der Erdkugel vorbei. Sie queren den Luftraum über Ostaustralien, Neuguinea, Südjapan, Ostchina, dem mittelsibirischen Bergland, der Kara- und der Barentssee, Schottland, Irland, den Azoren, Ostbrasilien, den Falklandinseln, Feuerland und Teilen der Antarktis. Dort geht die Sonne gerade auf bzw. unter.

Die lange Reise durch dichte Atmosphäreschichten schwächt das Sonnenlicht. Die Luftteilchen streuen vor allem den Blauanteil aus, lassen den roten eher passieren. Außerdem bricht das Medium Luft die Strahlen. Sie folgen nicht mehr der ursprünglichen Richtung, sondern werden ein wenig um die Erde herum gelenkt. So gelangen sie in den dunklen Schattenkegel und hellen ihn auf. Eine gute Sekunde nach der Erdpassage treffen sie, geschwächt, verfärbt und gebrochen, den verfinsterten Mond. Sie tauchen seine Oberfläche in blutiges Rot. Einen Herzschlag später erreicht dieses Licht, vom Mondboden reflektiert, unsere Augen.

Um 22.30 Uhr verzeichnet der Almanach die Finsternismitte. Auch die Dämmerung ist vorbei. Das ist der dunkelste Zeitpunkt der ganzen Nacht. Überall sollte man jedoch Zuben Elgenubi, den Hauptstern der Waage, erkennen können: knapp oberhalb der Mondscheibe. Diese hat nur wenig an Höhe gewonnen. Keine Handspanne trennt sie vom Südosthorizont.

Unbeirrbar hält der Mond Kurs auf seiner Reise durch den Erdschatten. Um 23.08 Uhr berührt er dessen Rand. Dann manövriert er sich allmählich weiter heraus. Zwölf Minuten nach Mitternacht ist er wiederhergestellt. Dann ist auch die Jubiläumsfinsternis Geschichte.

Freitag, 30. April 2004 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 12:14:00

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