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Doppelanschlag auf den Mond

Lunares Gestein – hier das eines Mondmeteoriten – galt bisher als staubtrocken. Neueste Untersuchungen stellen das in Frage. Foto: Pinter

Lunares Gestein – hier das eines Mondmeteoriten – galt bisher als staubtrocken. Neueste Untersuchungen stellen das in Frage. Foto: Pinter

Von Christian Pinter

Mit zwei infernalischen Manövern sucht die Nasa am 9. Oktober nach Eis am lunaren Pol.

Bei ihren kurzen Affären mit Frau Luna kamen die Apollo-Astronauten ohne Mondwasser aus – sie brachten das kostbare Nass zum dreitägigen Rendezvous von der Erde mit. Doch wer eine feste Beziehung anstrebt, muss bei Luna einziehen und eine Mondbasis errichten. Bei solchen Langzeitaufenthalten würde Wasser knapp werden. Die Anlieferung von der Erde erwiese sich angesichts der Transportkosten von etlichen tausend Euro pro Liter als teurer Luxus. Ein eigener Brunnen wäre für jede Mondstation von Vorteil. Er löschte den Durst der Bewohner, schenkte ihnen Sauerstoff zum Atmen und Wasserstoff für Raketentriebwerke. Doch leider gibt es auf dem Mond kein Grundwasser.

Schneemann am Mond

Man stecke einen Schneemann in die Raumkapsel und stelle ihn am Beginn der zwei Wochen währenden, finsteren Mondnacht in einem Krater auf. Die extrem tiefen Temperaturen ließen seinen Körper fast so hart wie Stein werden. Doch kaum erscheint die Sonne wieder am Horizont, verwandelt er sich in einen "Minikometen". Bei plus 120 Grad Celsius verdampft Eis geschwind. Nicht einmal eine Lacke bleibt zurück. Nur Wasserdampf, der sich in dunkle, kalte Schatten rettet, hat eine Überlebenschance. Er kondensiert dort neuerlich zu Eis. Doch wo will man solche Schatten finden? Im Lauf von 29,5 Tagen sticht die Sonne auf jeden Punkt der Mondoberfläche herab.

An den lunaren Polen ist das anders. Dort bleibt sie sechs Monate lang unsichtbar. Und auch im folgenden Halbjahr kriecht sie bestenfalls einen Finger breit über dem Mondhorizont dahin. Ihre äußerst flach einfallenden Strahlen lassen dann selbst winzige Erhebungen dramatische Schatten werfen. Die Böden kleinerer Polkrater sehen überhaupt nie direktes Licht. Sie verharren beständig im Dunkel der Kraterwälle.

Geht man von einer stabilen Lage der Mondachse aus, müssten solche Flecken seit Jahrmilliarden nur im Schatten gelegen sein und damit immerwährende Finsternis erlebt haben. Das Thermometer zeigte an manchen Stellen wohl nie mehr als minus 240 Grad Celsius an – das sind tiefere Temperaturen, als sie etwa auf dem fernen Pluto herrschen. Deshalb könnte dort, so spekulieren Forscher seit 1961, tatsächlich Wassereis existieren. Es mag von eisreichen Kometen angeliefert worden sein oder von bestimmten Meteoritentypen, die wasserhaltige Silikate beinhalten.

Bei der Suche nach diesen mutmaßlichen Eisvorkommen sorgte Frau Luna bisher für ein Wechselbad der Gefühle: 1994 studierte die US-Sonde "Clementine" die Pole, wo Krater mit Namen wie Peary, Byrd, Scott, Amundsen oder Shackleton an berühmte Arktis- und Antarktisforscher erinnern. Dabei kartierte die Sonde auch Gebiete, in denen ewige Nacht herrscht. Am Südpol ist deren Fläche größer als im Norden und übertrifft jene der Stadt Wien ums Dreißigfache. Aus der Art, wie die finsteren Kraterböden Clementines Funksignale reflektierten, schloss man tatsächlich auf das Vorhandensein von Eisflächen.

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Von der lunaren Südpolregion aus betrachtet, schwebt die Erde nur knapp über dem Horizont. Grafik: Pinter

Später sandten Techniker von der Erde aus Radarsignale zum Mond, die ebenfalls kräftig "gespiegelt" wurden – allerdings ebenfalls von gnadenlos heißen Regionen, die im Sonnenlicht badeten. Offenbar ahmten ungewöhnlich raue Mondlandschaften die funktechnischen Eigenschaften von Eis nach. Die Hoffnung auf Mondwasser schmolz dahin.

1998 fasste man neuerlich Mut. Damals entdeckte die Nasa-Sonde "Lunar Prospector" vom Orbit aus indirekt Wasserstoff an den beiden Polgebieten, im extremen Norden mehr als im Süden. Daraus schlossen Forscher auf Wassereisvorräte von Millionen bis Milliarden Tonnen. Nach Abschluss der Erkundungsarbeit schlug der Prospector hart am Südpol auf, ohne dass in der Staubwolke auch nur die Spur von Wasserdampf nachzuweisen war. Möglichweise stammte der zuvor registrierte Wasserstoff gar nicht von lunarem Eis. Er erschien nun als fragwürdiger Indikator. Wieder trat Ernüchterung ein.

Später warfen die europäische Sonde "Smart-1" und ihre japanische Kollegin "Kaguya" neugierige Blicke in den Südpolkrater Shackleton. Als Lichtquelle nutzten sie das spärliche, vom Kraterwall gestreute Sonnenlicht. Eisflächen erspähte keiner der beiden Mondsatelliten. Allerdings könnte gefrorenes Wasser auch unter einer meterdicken Trümmerdecke aus Staub und Stein verborgen liegen. Diese Regolithschicht bedeckt den Mond praktisch überall und ist das Resultat unzähliger Meteoriteneinschläge, die sein Oberflächengestein pulverisiert haben. Eis mag in diesen Regolith eingemischt sein, sei es auch nur in Form winziger Kristalle.

Tatsächlich weisen brandneue Untersuchungsergebnisse Wassermoleküle und das Hydroxyl-Radikal (OH) im Mondmaterial nach, vor allem in Polnähe. Als Lieferant könnte Sonnenwind dienen.

Im Juni 2009 feuerte die Nasa eine Atlas-V-Rakete ins All. Rasch zündete deren Centaur-Oberstufe, um zwei brandneue US-Späher mit einem Gesamtwert von 580 Millionen US-Dollar Richtung Mond zu katapultieren. Der "Lunar Reconnaissance Orbiter" (LRO) zieht seither enge Kreise um die Mondgöttin, studiert ihren Körper aus 50 Kilometer Nähe. Daher vermag er auch intimste Details von weniger als einem Meter Durchmesser abzulichten. Der Aufklärer sucht die dunklen polaren Höhlungen nun neuerlich nach Eisflächen ab. Als Beleuchtung genügt ihm dazu das schwache Licht der Sterne.

Außerdem heftet LRO den Blick auf spitze Erhebungen, die möglichst lange von Sonnenstrahlen gestreift werden. Sie wären ideale Standorte für künftige Solarkraftwerke. Ein Laser tastet die Wölbungen im Umkreis der Polkrater ab, um günstige Landeplätze zu finden. Dort könnten, irgendwann in den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts, wieder Menschen landen. Deshalb werden auch die Strahlungsbedingungen erforscht: Die einfallende kosmische Strahlung erhöht nämlich das Krebsrisiko künftiger Langzeitbesucher und könnte im Extremfall sogar zum sofortigen Tod führen.

LRO hat bereits die Fußspuren einstiger Mondfahrer fotografiert. Nun besitzt er den vorzüglichsten Beobachtungsplatz, um den geplanten Doppelanschlag der Nasa abzulichten: Dabei sollen zwei Projektile mit 9000 km/h in den Mondboden donnern. Es ist nicht das erste Mal, dass unser Erdbegleiter schwere Treffer einstecken muss: Schon vor 50 Jahren, im September 1959, schlug die sowjetische Sonde "Luna-2" nahe dem Krater Archimedes auf. Später stürzten sich weitere Mondspäher mit Absicht auf die Mondoberfläche, um in den letzten Sekunden vor dem Aufprall rasch Detailaufnahmen der Kraterlandschaften zu senden. Doch auch langlebigere Mondsatelliten enden so: Ist ihr Treibstoff einmal aufgebraucht, zwingt sie das ungleichförmige Schwerefeld zum Absturz. Zuletzt beschlossen ESAs "Smart-1", Chinas "Chang’e-1" und Japans "Kaguya" ihre Arbeit auf derart unbedankte Weise.

Während sich der LRO schon kurz nach dem Start von der Centaur-Oberstufe gelöst hat, reitet der "Lunar Crater Observation and Sensing Satellite" (LCROSS) zur Zeit noch brav an ihrer Spitze. Das Gespann pendelt zwischen der Erd- und der Mondbahn hin und her, und bereitet sich so auf sein infernalisches Ende vor. Die Centaur-Stufe ist nach den wilden Pferdemenschen der griechischen Mythologie benannt. Sie brächte auf Erden fast 2,4 Tonnen auf die Waage. Am 9. Oktober 2009 sollte sie gegen 13.30 Uhr MESZ in einem ständig schattigen Gebiet unweit des lunaren Südpols einschlagen. Im Fadenkreuz liegt der 48 Kilometer weite Krater Cabeus A. Der wurde schon früher nach dem italienischen Jesuiten und Naturphilosophen Niccolò Cabeo benannt, einem Zeitgenossen Galileis.

Die enorme Bewegungsenergie der Centaur verwandelt sich dabei in Druck und Hitze. Mit der Explosionskraft von einer Tonne TNT wird im Cabeus A ein neuer, 25 Meter weiter Kleinkrater ausgehoben. Die nur Stunden zuvor abgetrennte, leichtere Sonde LCROSS beobachtet die inszenierte Katastrophe aus geringer Distanz und fliegt sogar durch die fünf Kilometer hoch aufsteigende Auswurfswolke hindurch. Vier Minuten später wird sie sich ebenfalls in den Mondboden rammen, nicht weit vom Absturzort der Centaur entfernt.

Augenzeugen in USA

Dieser Schlag fällt deutlich schwächer aus. Die beiden Geschosse zermahlen zusammen rund 500 Tonnen eiskalten Mondmaterials, von dem etwa die Hälfte hochgeschleudert wird. Sobald die Staub- und Gasteilchen das Sonnenlicht erreichen, strahlen sie hell auf. In ihrem Spektrum wird man nach den Spuren von Wasserdampf fahnden. Diese Aufgabe übernehmen Sonden im Mondorbit und Weltraumteleskope. Auf Erden visieren vor allem Großinstrumente im Westen der USA und auf Hawaii den Mond an. Dort ist dann gerade Nacht. Deshalb könnten sogar US-Amateurastronomen mit Spiegelteleskopen ab 25 Zentimeter Durchmesser Augenzeugen des Anschlags werden. In Österreich herrscht hingegen heller Tag; außerdem ist der Mond schon untergegangen.

Seit einigen Jahren träumen mehrere Nationen von bemannten Flügen zum Erdbegleiter – neben den USA auch Japan, Indien, China, Europa und Russland. Angesichts technischer Probleme, explodierender Kosten und budgetärer Engpässe zerplatzen manche dieser Träume wohl schon bald wie Seifenblasen. Vielleicht bietet sich stattdessen eine Chance für internationale Kooperationen. Die LRO/LCROSS-Mission liefert eine Entscheidungshilfe: Weist sie tatsächlich Polareis nach, erschiene der Betrieb einer zukünftigen Mondstation zumindest ein klein wenig kostengünstiger.

Links zu Live-Webcams und aktuellen Fotos bietet die Website http://www.himmelszelt.at/lcross/

Christian Pinter, geboren 1959, schreibt seit 1991 im "extra". Heuer ist im Verlag Kremayr & Scheriau sein astronomiegeschichtliches Lesebuch "Helden des Himmels" erschienen.

Printausgabe vom Samstag, 03. Oktober 2009
Online seit: Freitag, 02. Oktober 2009 14:41:00

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