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Stelldichein mit der Venus

Der Wiener Hofastronom Pater Maximilian Hell beobachtete den Venus-Transit von 1769 in Vardö. Auf seinem Totenzettel wurde deshalb die Himmelsmuse Urania (rechts) abgebildet. Foto:  F. Kerschbaum

Der Wiener Hofastronom Pater Maximilian Hell beobachtete den Venus-Transit von 1769 in Vardö. Auf seinem Totenzettel wurde deshalb die Himmelsmuse Urania (rechts) abgebildet. Foto: F. Kerschbaum

Von Christian Pinter

Auf der Suche nach der "Astronomischen Einheit" reisten die Himmelsforscher mehrmals um den Globus, um den Transit der Planten von verschiedenen Orten aus zu beobachten.

Johannes Kepler publiziert 1609 seine ersten beiden Planetengesetze. Seither laufen die Himmelskörper auf elliptischen Bahnen um die Sonne. Neun Jahre später gelingt dem Astronomen ein weiterer Triumph. Wie er staunend erkennt, gibt es einen festen Zusammenhang zwischen der jeweiligen Umlaufszeit der Planeten und deren Sonnenabstand. Das Quadrat der Umlaufszeit entspricht der dritten Potenz der mittleren Sonnenentfernung: Der Mars schafft die Tour in 1,88 Erdenjahren. Er muss die Sonne daher in 1,52-facher Erddistanz umrunden.

Leider drückt Keplers Gesetz die Ergebnisse nicht in Meilen oder Kilometern aus, sondern bloß in Halbmessern der Erdbahn. Und niemand weiß, wie groß dieser Radius – später "Astronomische Einheit" genannt – wirklich ist. So bleibt unklar, welche Abgründe tatsächlich zwischen den Planetenbahnen klaffen. Auch die wahren Abmessungen der Himmelskörper, die sich im Fernrohr ja nur als unterschiedlich kleine Scheibchen präsentieren, bleiben weiterhin unergründlich.

Doch Kepler macht klar: Könnte man bloß die aktuelle Erd- oder Sonnendistanz eines einzigen Planeten in absoluten Zahlen ermitteln, erschlössen sich damit schlagartig alle anderen Dimensionen im Sonnensystem. Deshalb reist der Franzose Jean Richer 1672 in die südamerikanische Kolonie Guayana, um dort den Mars anzupeilen. Ein Gleiches tut Giovanni Cassini in Paris. Des enormen Standortunterschieds wegen erblicken die beiden Männer den Mars nicht exakt an der gleichen Himmelsstelle. Der rötliche Lichtpunkt verändert seinen scheinbaren Ort vor dem Sternenhintergrund – ähnlich einer Bleistiftspitze, die man abwechselnd mit dem linken oder dem rechten Auge anvisiert. Die minimale, perspektivisch bedingte Winkelverschiebung verrät die Distanz zwischen Erde und Mars. Und daraus lässt sich eine provisorische Astronomische Einheit von 138 Millionen km errechnen. So weit ist es also bis zur Sonne! Allerdings können aufgrund der damaligen Messungenauigkeit Abweichungen bis zu 30 Prozent eintreten. Im schlimmsten Fall würde der Planet Merkur bei einer solch ungenauen Berechnung kleiner als unser Mond, und stellte damit gewissermaßen die himmlische Hierarchie "auf den Kopf".

Halleys zündende Idee

Diese Vorstellung irritiert den englischen Astronomen Edmond Halley. Auf der Atlantikinsel St. Helena beobachtet er 1677, wie Merkur gut fünf Stunden lang an der Sonne vorbei zieht. Das bringt Halley auf die Idee, solche Transits zur Bestimmung der Astronomischen Einheit zu nützen. Denn auch in diesem Fall entsteht eine vom Standort abhängige Winkelverschiebung. Für den einen Beobachter zieht der Planet ein wenig näher an der Sonnenmitte vorbei als für den anderen; so erlebt er einen etwas längeren Transit. Winzige Winkel sind damals nur leidlich genau zu erfassen, Zeitspannen hingegen mit Sekundenpräzision. Deshalb schlägt Halley vor, das Planetensystem mit der Pendeluhr auszuloten. Er verspricht sich davon eine Genauigkeit bis zu zwei Promille.

Aus irdischer Perspektive schiebt sich der Merkur 13 oder 14 Mal in einem Jahrhundert an der Sonne vorbei. Doch für sinnvolle Messungen ist er zu weit entfernt. Bei der Venus stünden die Chancen besser. Doch leider zeigt sich der Nachbarplanet selten vor der Sonne. Seine Transits erfolgen nur 1761, 1769, 1874 und 1882. Umso gespannter fiebern die Nachfolger von Halley & Co. dem 6. Juni 1761 entgegen. Doch da führen England und Preußen Krieg gegen Frankreich, Russland und Österreich. Gekämpft wird auch in Nordamerika, Indien und auf den Weltmeeren.

Trotzdem lockt die Venus unerschrockene Forscher damals um den halben Globus. Der Franzose Jean Chappe d’Auteroche müht sich fünf Monate lang, das sibirische Tobolsk zu erreichen. Der Franzose Guillaume Le Gentil segelt gen Südindien, zur französischen Festung Puducherry. Allerdings wird diese von den Briten belagert und zerstört. Le Gentil muss an Bord seines schwankenden Schiffs Himmelsbeobachtungen anstellen; die so gestoppten Uhrzeiten sind wertlos. Und sein Landsmann Alexandre Pingre wird auf der Heimfahrt sogar in Gefangenschaft geraten.

Die Engländer Jeremiah Dixon und Charles Mason wollen nach Bengkulu auf Sumatra reisen. Doch gleich nach dem Auslaufen stoßen sie auf eine französische Fregatte. Mit elf toten Seeleuten an Bord kehren sie um, stechen später aber neuerlich in See. Und schaffen es wenigstens noch zum Kap der Guten Hoffnung.

Allen Widrigkeiten zum Trotz richten am Tag des Transits dann doch mindestens 120 Wissenschaftler ihre Teleskope Richtung Sonne. Spezielle Filter vor dem Objektiv schützen sie vor dem sofortigen Erblinden. Zunächst unklar, dann immer deutlicher, erspäht man am linken Sonnenrand eine kleine Delle. Es ist, als wolle die Venus ein zunehmend größeres Loch aus der Umrandung stanzen. Eine gute Viertelstunde später sollte sie gänzlich vor die Sonne getreten sein. Doch die Ränder der ungleich großen Kreisscheiben trennen sich nur widerwillig voneinander. Ein dunkler Balken verbindet sie und verformt die Venus zu einem "schwarzen Tropfen".

Der verblüffende Effekt dauert eine halbe, für manche Beobachter eine ganze Minute. Sechs Stunden später erreicht die Venus den rechten Sonnenrand, wo sie abermals zu einem schwarzen Tropfen zerfließt. Die Forscher sind sich uneins, wann sie den Sonnenrand berührt hat. Entsprechend streuen die errechneten Werte für den Erdbahnradius zwischen 125 und 155 Millionen km.

Am 3. Juni 1769 wollen es die Astronomen erneut versuchen. Gut 150 Himmelskundler aus acht Nationen beteiligen sich – diesmal in Friedenszeiten – an diesem wissenschaftlichen Großprojekt. Maximilian Hell, der Direktor der Wiener Universitätssternwarte, reist nach Vardö an der Barentssee und erspäht dort die Venus vor der Mitternachtssonne. Pingre beobachtet auf Haiti. Chappe d’Auteroche schlägt sich durch Mexiko nach Baja California durch. Nach dem Transit erkranken er und zwei Gefährten an Typhus, nur einer von ihnen überlebt. Le Gentil, der die ganze Zeit über in der Fremde verblieben ist, stellt seine Instrumente in Puducherry auf. Doch diesmal wird sein Beobachtungsort von Wolken überlagert.

Die Zarin Katharina II. will den Transit auch nutzen, um ihr riesiges Reich vermessen zu lassen. Sie holt ausländische Gelehrte ins Land. Bald besteht die russische Akademie zur Hälfte aus deutschen Mitgliedern. Die Expeditionen brechen von der Hauptstadt St. Petersburg auf und arbeiten sich in Richtung Osten vor.

In der englischen Machtsphäre geht nun die Sonne nicht mehr unter. Für das Rendezvous mit der "Liebesgöttin" Venus können die britischen Forscher daher zu verschiedenen Plätzen reisen. Ein Team überwintert, wenig romantisch, unter den strengsten Bedingungen an der Hudson Bay im Nordosten Kanadas. Ein anderes macht sich mit James Cook auf in die Südsee: Den idyllischen Ort auf Tahiti, wo man vor Anker geht, nennt man "Point Venus", nachdem schon 1761 ein Beobachtungsplatz auf Neufundland "Venus Hill" getauft worden ist. Cooks großangelegte Entdeckungsfahrt wird leider ohne den Astronomen Charles Green heimkehren: er stirbt im malariageplagten Jakarta. Rasch zeigt sich: Der schwarze Tropfen hat den Forschern neuerlich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Je nachdem, welcher Zeitnehmung man traut, schwanken die Resultate diesmal zwischen 148 und 154 Millionen Kilometern.

Fototermin mit Venus

105 Jahre muss die Astronomie auf ihre nächste Chance warten. Und 1874 sind viele US-Astronomen dabei. Sie schauen in Wladiwostok, Yokohama, Nagasaki und Peking in den Himmel. Die Russen ziehen das größte Forschungsnetz auf, vom Schwarzen Meer bis nach Ostsibirien. Vom Tropfeneffekt bleibt man diesmal weitgehend verschont. Er war offenbar durch die mangelnde Trennschärfe der früheren Teleskope entstanden, im Zusammenspiel mit den Luftturbulenzen. Der Messfehler schrumpft auf einige Sekunden zusammen. Die visuellen Zeitnehmungen werden durch tausende Fotografien ergänzt. Allerdings mindert Luftunruhe die Qualität der Abbildungen. Deshalb weichen die provisorischen Resultate bis zu einem Prozent vom korrekten Wert ab.

Im 19. Jahrhundert bemühen Astronomen aber auch alternative Verfahren: Sie peilen, diesmal mit viel ausgeklügelteren Messinstrumenten als Richer und Cassini, neuerlich den Mars am Nachthimmel an. Später frönen sie dem Eros: Dieser 1898 auf der Berliner Urania-Sternwarte entdeckte Kleinplanet, benannt nach dem Spross von Venus und Mars, wagt sich besonders nahe an die Erde heran. Dank seiner Intimität unterschreitet man 1942 endlich die Fehlergrenze von einem Promille.

Ab 1958 werden Radarwellen zur Venus gesendet, welche die Signale freundlicherweise zurückstreut. Aufgrund der Reisezeit ermittelt man die Venusdistanz mit größter Exaktheit. Heute stecken Radarastronomen den mittleren Erdbahnradius heute mit 149,597870696 Millionen km ab. Die Unsicherheitsdistanz beträgt nur noch 10 cm. Der aktuelle Sonnenabstand variiert allerdings im Jahreslauf, wächst oder schrumpft periodisch um jeweils 1,7 Prozent. Denn auch die Erde muss ja einer Keplerschen Ellipsenlaufbahn folgen.

Christian Pinter, geboren 1959, schreibt seit 1991 im "extra". Heuer ist sein Lesebuch "Helden des Himmels" erschienen.

http://www.himmelszelt.at

Printausgabe vom Samstag, 12. Dezember 2009
Online seit: Freitag, 11. Dezember 2009 15:37:00

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