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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Ende November scheint ein "Blue Moon" über Europa

Sinnbild der Einsamkeit

Von Christian Pinter

Es ist kein normaler Vollmond, der sich am Abend des 30. November 2001 über den Horizont schwingt. Es ist ein "Blue Moon". Zumindest im Englischen. Im Deutschen existiert der "blaue Mond" gar nicht. Kein Wunder - denn eigentlich geht die ganze Geschichte auf ein Missverständnis in den USA zurück.

Gleich vorweg: Nur wenige Menschen haben den Mond jemals "blau" gesehen. Kurz nach dem Aufgang ist der Erdbegleiter höchstens rot. Seine Strahlen fallen dann unter flachem Winkel ein, müssen einen sehr langen Weg durch die Erdatmosphäre zurücklegen. Dabei wird der Blauanteil des Mondlichts wesentlich stärker geschwächt als der rote, geradezu ausgelöscht. Klettert der Mond höher, nimmt der Effekt ab. Frau Luna färbt sich nun orange, golden, gelb, gelblich-weiß. Schließlich lacht sie praktisch reinweiß auf uns herab.

Dennoch gibt es auch Berichte von grünen und blauen Monden. Sie tauchten im Gefolge von heftigen Vulkaneruptionen wie der des Krakatau vor der Westküste Javas 1883 oder des philippinischen Pinatubo 1991 auf; auch nach schweren Waldbränden, wie jenem in der kanadischen Provinz Alberta 1951. Solche Katastrophen reichern die Luft mit Staub und Ascheteilchen an. Unter bestimmten Umständen mögen diese Partikel tatsächlich ungewöhnliche Lichtstreuungseffekte bewirken, die dann zu blauen Mondbildern führen.

Die meisten einschlägigen Beobachtungen dürften jedoch bloß Illusion sein. Die von mächtigen Vulkanen hochgewirbelten Teilchen sorgen nämlich auch für besonders intensive Verfärbungen des Dämmerungshimmels: rot, orange, purpurn. Dominiert aber eine bestimmte Farbe, nehmen wir in der Umgebung ihre Komplementärfarbe verstärkt wahr. Dieser Farbkontrast kann dem Mond in der Dämmerung scheinbar grünliche bis bläuliche Tönung ins Gesicht zaubern.

Solche Illusionen lassen sich künstlich erzeugen, indem man den Mond nächtens dicht neben hell beleuchteten orangen, gelben oder magentafarbigen Flächen betrachtet. Ohne derartige Tricks blei-

ben blaue Monde spärlich. Vielleicht führte das zur Redewendung "Once in a Blue Moon", die im Englischen die besondere Seltenheit eines Ereignisses unterstreicht. Sie lässt sich mindestens bis 1824 zurückverfolgen. Im Deutschen würden wir statt dessen etwa "nur alle Jubeljahre einmal" sagen.

Erdbeermond

Bei Vollmond ist die uns zugewandte Hälfte der Mondkugel komplett von der Sonne beschienen. Frau Luna gleißt dann besonders hell, weilt die ganze Nacht hindurch über dem Horizont. Sonne, Erde und Mond bilden eine Linie im Raum. Berechnen lässt sich dieser Zeitpunkt auf die Minute genau. Beim Blick zum Mond schätzen Betrachter die volle Phase hingegen oft mit einem Fehler von einem oder zwei Tagen ein. Für Menschen ohne Lese- und Rechenkenntnisse war der Mond trotzdem seit Urzeiten idealer Kalender. Sein Phasenspiel bildete die erste aller Kalendereinheiten.

Der Vollmondtermin wiederholt sich im Mittel alle 29,53 Tage. Jedes Jahr umfasst damit zwölf Mondmonate zu jeweils 29 oder 30 Kalendertagen. Nach diesem Dutzend sind allerdings erst 354 Tage vergangen - elf Tage zu wenig für ein komplettes Sonnenjahr. Hielten wir am Mondkalender fest, würde sich ein bestimmtes Kalenderdatum im Laufe des Lebens zweimal durch sämtliche Jahreszeiten schieben. Für den Ackerbau wäre ein reiner Mondkalender also nur bedingt geeignet.

Daher teilte Julius Cäsar das Sonnenjahr in zwölf Abschnitte und schuf damit die Basis unserer heutigen Einteilung mit ihren typischen 30- und 31-tägigen Monaten. Der Mond spielt darin keine Rolle mehr - die Anzahl der Monate und die Ähnlichkeit der Worte "Mond" und "Monat" erinnern dennoch an seine frühere Bedeutung für den Kalender.

Einst tauften wir die Monate nach bäuerlichen Arbeiten, Erscheinungen der Natur oder religiösen Festen. Der März hieß "Lenzmonat" (nach Lenz, Frühling). Dann kamen Ostermonat, Wonnemonat, Brachmonat, Heumonat, Ährenmonat und Herbstmonat. Der Oktober hieß "Wein- oder Weinlesemonat", der November "Wind- oder Nebelmonat", der Dezember "Christmonat".

Dabei verwendete man, nicht nur in der dichterischen Sprache, statt "Monat" häufig das Wort "Mond". Der Lenzmonat wurde dann also "Lenzmond", der Wonnemonat "Wonnemond" genannt. Auch der Vollmond im jeweiligen Monat hieß so. Diese Bezeichnungen waren freilich vom jeweiligen Kulturkreis abhängig. Andere Völker kannten etwa einen Krähenmond, Grasmond, Blumenmond, Milchmond, Rosenmond, Erdbeermond, Donnermond, Blutmond, Biebermond, Frostmond oder Schneemond.

Ab dem 16. Jahrhundert setzten sich langsam die uns heute vertrauten, aus dem Lateinischen stammenden Monatsnamen durch. Die Römer hatten den Jänner nach ihrem Tür- und Torgott Janus, den März nach dem Kriegsgott Mars, den Mai wohl nach dem Wachstumsgott Maius und den Juni nach Jupiters Gattin Juno getauft. Juli und August erinnerten an die Kalenderreformer Julius Cäsar und Augustus. Im Februar waren Reinigungsriten (lat. februare, reinigen) vorgesehen.

Der "April" könnte sich vom jährlichen "Öffnen der Natur" (vergleiche lat. apertus, offen) oder der griechischen Liebesgöttin Aphrodite herleiten. Deren römischer Entsprechung, Venus, war der Monat geweiht. Die Namen "September" (lat. septem, sieben) bis "Dezember" (lat. decem, zehn) gehen auf die ursprüngliche Nummerierung der Monate zurück; sie startete mit dem einstigen Jahresbeginn der Römer im März.

Missverständnis

Im Nordosten der USA hielt der Maine Farmers' Almanac Kalendertraditionen noch lange am Leben. Unter Hinweis auf Gebräuche englischer Vorfahren listete das Jahrbuch die hübschen, alten Mondnamen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein auf - jeweils drei pro Jahreszeit. Im Winter leuchteten der "Mond nach Weihnachten", der Wolfmond und der Fastenmond. Im Frühling folgten Eimond, Milchmond und Blumenmond. Im Sommer erfreuten Heumond, Kornmond und Fruchtmond die Menschen. Im Herbst strahlten schließlich Erntemond, Jägersmond sowie der "Mond vor Weihnachten" am Firmament.

Das "ideale" Jahr" kennt tatsächlich zwölf Vollmonde, jeweils drei pro Jahreszeit. Doch das eingangs erwähnte "Elf-Tage-Problem" lässt mitunter auch 13 Vollmonde im Kalenderjahr bzw. vier in einer Jahreszeit zu. Das brachte die schöne Ordnung zu Fall. So entschlossen sich die Herausgeber des Maine Almanac, nötigenfalls einen weiteren Mondnamen einzusetzen. Zählte eine Jahreszeit vier Vollmonde, wurde der dritte "Blue Moon" getauft.

So geschah es auch 1937. Damals hing der erste Sommervollmond, der Heumond, schon am 23. Juni über Amerika. Der Kornmond folgte im Juli, der Fruchtmond am

21. August. Der Erntemond wäre damit noch vor den Herbstbeginn gerutscht und, in weiterer Folge, der "Mond nach Weihnachten" vor das Christfest. Also schob man im August einen "Blue Moon" ein, rückte den "Fruchtmond" in den September. Die Unordnung war elegant beseitigt.

Laurence Lafleur berichtete über diese Praxis 1943 in der populärwissenschaftlichen US-Zeitschrift "Sky & Telescope". 1946 bezog sich der Amateurastronom James Hugh Pruett im gleichen Magazin auf Lafleurs Text. Er legte ihn aber falsch aus. Unter dem Titel "Once in a Blue Moon" schrieb Pruett über den Vollmond und seine Namen: "Der zweite in einem Monat, so interpretiere ich es, wurde 'Blue Moon' genannt".

Die US-Journalistin Deborah Byrd stützte sich im Jänner 1980 in ihrer Radiosendung StarDate auf Pruetts Artikel und machte somit ausgerechnet die falsche Regel einem größeren Zuhörerkreis bekannt. Infolge galt der zweite Vollmond eines Monats als "Blue Moon". Eine Ausgabe des Wissensspiels Trivial Persuit nahm diese Definition auf. Sie fand ab 1988 auch Eingang in die internationale Presse. Der "Blue Moon" wurde zum beliebten Titel für Firmen und Geschäfte.

Mittlerweile war die Herkunft des "Blue Moon" völlig in Vergessenheit geraten. Man sprach von einem alten Brauch, einem traditionellen Namen mit unbekannten Wurzeln. Vielleicht, so eine Mutmaßung, ginge er auf eine frühe Fehlübersetzung von "double lune" (franz., doppelter Mond) zurück.

Erst 1999 gelang es, die Sache aufzuklären. "Sky & Telescope" gestand das einstige Missgeschick ein. Nicht ohne Stolz: Ein simpler Fehler war in wenigen Jahrzehnten zur "internationalen Folklore" geworden. In Österreich heißen übrigens ein Café, ein Detektivbüro und eine Immobilienhandelsgesellschaft "Blue Moon".

Nach Ansicht mittelalterlicher Astrologen hingen menschliche Stimmungen vom Erdbegleiter ab. Unser Wort "Laune" kommt deshalb von "Luna" (lat., Mond). Die Farbe "Blau" findet sich wiederum in Wendungen wie "blaumachen", "blau sein" oder "blauäugig sein". Sogar das "Blaue vom Himmel versprechen" können wir. Im Englischen nennt man das "promise someone the moon"; man verspricht also den Mond. Außerdem gibt es dort eine Bedeutung von "blau", die sich auf seelische Stimmungen bezieht und im Deutschen fehlt: "blue" heißt auch "traurig", "melancholisch" oder "trübsinnig".

1934 komponierten Richard Rodgers und Lorenz Hart den Song "Blue Moon". Auch Ella Fitzgerald sang ihn. Der Mond hört in diesem Lied die Gebete eines einsamen Menschen, der sich nach einem Partner sehnt. Ein paar Jahre später verließ Gene Sullivan seine Heimat Texas. Auf der Reise nach Oklahoma kam ihm in einer Vollmondnacht die Idee zum Lied "When My Blue Moon Turns To Gold Again". Hier dreht sich alles um gemeinsame Erinnerungen und die Hoffnung, die Geliebte wieder zu sehen; dann sollte sich der "Blue Moon" zurück in "Gold" verwandeln. 1947 schrieb Bill Monroe "Blue Moon of Kentucky": Seine Liebe geht in mondbeschienener Nacht fort, lässt den Erzähler traurig zurück. Der "Blue Moon" möge weiter auf sie scheinen, heißt es in dem Klassiker der Bluegrass-Music.

Elvis Presley mochte den "Blue Moon" besonders: Er nahm alle drei Songs auf. Mitte der Fünfzigerjahre taufte er seine Band sogar "Blue Moon Boys". Der "Blue Moon" war also bereits Sinnbild von Liebeskummer, Einsamkeit und Sehnsucht - lange bevor er ab 1980 als astronomisch-kalendarisches Phänomen Bekanntheit erlangte. Die überaus rasche Popularisierung des Begriffs wäre ohne die Vorarbeit von Elvis & Co. kaum vorstellbar gewesen.

Später wurden weitere "Blue-Moon-Songs" eingespielt. Rosanne Cash brachte 1981 "Blue Moon With Heartache" heraus; die Tochter des legendären Johnny Cash landete damit einen Nummer-1-Country-Hit. 1984 wollte Nanci Griffith in "Once In A Very Blue Moon" ihren ehemaligen Geliebten glauben machen, ihn "nur ab und zu" zu vermissen. Schwermütigen Gedanken hing auch Toby Keith 1996 in "Does That Blue Moon Ever Shine On You?" nach. Bereut jene, die er gehen ließ, das Ende der Beziehung mittlerweile genauso wie er? Leuchtet über beiden derselbe, traurige Mond?

Wettlauf

Wer Liebeskummer hat, wird es kaum tröstlich finden: nur 3 bis 4 Prozent aller Vollmonde sind nach der heute üblichen Definition "Blue Moons". Fast immer verliert der Mond den Wettlauf mit dem Kalender. Ein Mondmonat ist mit rund 29,5 Tagen ja nur wenig kürzer als ein Kalendermonat. Der erste Vollmond muss sich daher rasch nach Monatsbeginn ereignen; nur so geht sich noch ein zweiter vor Monatsende aus.

Bei 30-tägigen Monaten wie dem November ist der Spielraum besonders gering. Stunden entscheiden. Ein "Blue Moon" über Amerika mag uns haarscharf entgehen, weil in unserer Zeitzone bereits der folgende Tag, der nächste Monat angebrochen ist. Am 30. November 2001 stellt sich der zweite Vollmond des Monats um 22 Uhr MEZ ein. Gerade rechtzeitig. In Asien ist es dann schon Dezember geworden; dort leuchtet also kein "Blue Moon".

Weitere "Blue Moons" erleben Europäer im Juli 2004, im Juni 2007 und im Dezember 2009. Ein einziger Monat kommt dafür niemals in Frage. Der Feber ist mit seinen 28 bzw. 29 Tagen kürzer als der Mondmonat, vereitelt damit stets einen Doppelauftritt des Vollmonds. Mehr noch: Im Gegensatz zu allen anderen kann dieser Monat sogar ohne einen einzigen Vollmond verstreichen. Das geschieht im Jahr 2018, wenn ein vollmondloser Feber von "Blue Moons" im Jänner und März flankiert wird. Einen eigenen Namen für dieses Phänomen, den "fehlenden Vollmond", gibt es in der Folklore nicht. Aber das mag sich ja noch ändern . . .

 

Freitag, 16. November 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 14:57:00

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