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Europa

Mehr Chancen als Risiken durch Arbeitnehmerfreizügigkeit

Mo, 18.04.2011
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen sieht mit dem Inkrafttreten der Freizügigkeit für EU-Arbeitnehmer aus Osteuropa ab dem 1. Mai "deutlich mehr Chancen als Risiken für den deutschen Arbeitsmarkt". Ziel sei, nicht abzuschotten, aber ganz klar soziale Leitplanken einzuführen und zu kontrollieren.
Frage : Wie wird sich die Arbeitswelt beziehungsweise der Arbeitsmarkt ab dem 1. Mai hier bei uns in Deutschland verändern?
 
von der Leyen: Wir erwarten deutlich mehr Chancen als Risiken für den deutschen Arbeitsmarkt. Man muss einfach dazu wissen, dass wir sieben Jahre Übergangszeit gehabt haben, um langsam die Märkte anzupassen. Das Gute ist, dass zum Beispiel in Polen das Lohn- und Bildungsniveau in diesen sieben Jahren deutlich gestiegen ist. Das kommt uns entgegen. Wir erwarten eigentlich eher die jungen, gut ausgebildeten Menschen, die hier Arbeit suchen. Das zeigt sich auch darin: diejenigen, die hier schwarz ganz billig arbeiten wollten, sind schon da. ... Die Akademiker sind auch schon hier. Aber jetzt kommt der fleißige Mittelbau.
 
Die Fachkräfte, die gesucht werden, kommen jetzt mehr. Mir sagt das Handwerk, dass sie in den grenznahen Betrieben Chancen sehen, jetzt auch auf Lehrstellen, wo kein Jugendlicher sich mehr beworben hat, die leer stehen, jetzt junge Menschen zum Beispiel aus Polen oder Tschechien zu haben, die hier ausgebildet werden.
 
Frage : Andere Länder haben ihre Grenzen schon etwas frühzeitiger geöffnet. Die Erfahrungen sind eigentlich sehr gut. Die anderen Länder sind zufrieden damit. Trotzdem gibt es in Deutschland den einen oder anderen, der Angst vor dieser Öffnung hat. Was bedeutet die erste Befürchtung - die nehmen uns jetzt die Arbeit weg?
 
von der Leyen: Das Gegenteil ist eigentlich eher der Fall, dass wir dringend Menschen brauchen. Uns geht nicht die Arbeit aus, uns gehen im Augenblick die Arbeitskräfte aus. Das wird in den nächsten Jahren noch zunehmen. Ich verstehe allerdings Menschen, die ganz gering qualifiziert sind, also im Niedriglohnbereich arbeiten, dass da Sorge herrscht. Da muss man auch sehr genau hinschauen. Es gibt eigentlich nur noch zwei Bereiche, wo bisher nicht entsandt werden durfte aus den neuen EU-Ländern. Das sind das Baugewerbe und die Gebäudereinigung. In beiden Branchen haben wir Mindestlöhne. Das ist ganz wichtig, dass unter einer Schwelle nicht eingestellt werden darf. Neu haben wir jetzt einen Mindestlohn in der Zeitarbeit eingeführt. Das ist auch eine Branche, wo ich mir Sorgen gemacht habe. Deshalb war es so wichtig, zum 1. Mai den Mindestlohn in der Zeitarbeit auch einzuführen, damit wir keine Dumpinglöhne haben, die über das Ausland hier nach Deutschland importiert werden.
 
Wir wollen hier einfach die Öffnung Europas, die auch eine Riesenchance für unser Land ist, sozial flankieren. Man darf nicht vergessen, dass Deutschland am meisten von Europa profitiert, denn Deutschland selber exportiert in den europäischen Markt zwei Drittel seiner Güter. Das ist für uns der größte Markt, der europäische. Insofern ist diese europäische Vision, also zu sagen, wir sind ein gemeinsamer Markt und damit auch ein großer gemeinsamer Arbeitsmarkt, richtig und wird unserem Land mehr Vorteile als Nachteile bringen.
 
Frage: Sie haben jetzt all die Vorteile aufgezählt. Lohndumping sehen Sie scheinbar auch nicht, dass das eine Gefahr werden könnte. Wo könnten denn Risiken dennoch entstehen?
 
von der Leyen: Immer ist die Frage der Niedriglohnsektor: Da bin ich der festen Überzeugung, wenn wir den guten Weg in Deutschland weitergehen, Branchenlöhne, für jeweilige Branchen die kritisch sind, festzulegen, dass innerhalb der Branche der Mindestlohn ausgehandelt wird und dann die Politik ihn für die gesamte Branche erstreckt, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Das ist in der Zeitarbeit, jetzt auch in der Pflegebranche passiert. Da haben wir auch einen Mindestlohn. Das ist im Baugewerbe so, in der Gebäudereinigung, bei den Dachdeckern, nur um einige zu nennen. Diesen Weg halte ich für richtig.
 
Also, nicht abschotten - wir wollen ja selber vom europäischen Markt profitieren -, aber ganz klar soziale Leitplanken einführen und eisern kontrollieren, was Schwarzarbeit oder Unterlaufung der Mindestlöhne angeht. Da unsere Behörden noch mal genau hinschauen lassen, wer schwarz arbeitet, wer illegal dieses System ausnutzt, der kriegt die rote Karte. Das geht nicht. Da müssen wir ganz eisern sein und hinterher sein zu kontrollieren.
 
Das Interview führte Dunja Hayali für das ZDF-Morgenmagazin.
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