Fall Mladic: Raus aus der Naziecke
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2011 AFP/MARTIN MEISSNER
Am Freitag hatte Ratko Mladic seinen ersten Auftritt vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag, und es war nicht schwer vorherzusagen, was sich dort ereignen würde. Es wurde nur eine Zusammenfassung der Anklage verlesen - Mladic weigerte sich, auch nur einen "einzigen Buchstaben oder Satz" des eigentlichen Textes zu hören. Den Regeln des Gerichts entsprechend kann der Angeklagte sich dann schuldig oder nicht schuldig bekennen. Mladic wollte dazu nichts sagen, nun hat er noch 30 Tage Bedenkzeit. Dass der Angeklagte bockig und ausfallend werden muss, steht nicht in den Regeln, man könnte es aber ebenso gut hineinschreiben. Radovan Karadzic und Slobodan Milosevic waren auch nicht eben kooperativ. Geholfen hat es ihnen nicht.
Was etwas aufregender war: Schon vor dem Auftritt des bosnisch-serbischen Generals gab es peinliche Fragen, die gar nichts mit dem Angeklagten selbst zu tun hatten. Sie betrafen einen der drei Richter im Mladic-Fall, den deutschen Juristen Christoph Flügge. Er habe in einem "Spiegel"-Interview den Völkermord von Srebrenica geleugnet, der auch Mladic zur Last gelegt wird. Das klingt nach Holocaustleugnern wie David Irving und Mahmud Ahmadinedschad. Allein die Wahrheit sieht doch ein wenig anders aus.
Was war passiert? Der "Spiegel"-Redakteur konfrontierte Flügge damit, dass der Begriff des Völkermords in Bezug auf Srebrenica umstritten sei. Das Massaker, die Tötung von bis zu 8000 muslimischen Männern und Jungen durch bosnisch-serbische Truppen im Jahr 1995, spielt immer noch eine bedeutende Rolle in verschiedenen Verfahren vor dem Tribunal. Aber sich zu einer rechtlichen Bewertung in den Medien zu äußern ist eine klassische Richterfalle. Wer da hineintappt, muss sich am nächsten Tag im Gerichtssaal mit der Anschuldigung beschäftigen, dass er offensichtlich befangen sei.
Flügge wusste das und hat sofort klargestellt, dass er zu Srebrenica keine Angaben mache. Nur: Was er stattdessen tat, ist fast ebenso gefährlich. Er hat laut über die Zukunft des Völkerstrafrechts nachgedacht. Der Begriff "Völkermord" stimmte ihn nicht glücklich. Vielleicht sollte man sich einen neuen Tatbestand überlegen, zum Beispiel "Massenmord"? Und dann entwischt ihm noch ein besonders unglücklicher Satz: "Der Begriff Völkermord passt streng genommen nur auf den Holocaust."
Das geht natürlich nicht. Völkermord ist nicht nur ein historisches Ereignis, er ist auch ein Straftatbestand, verankert in der Völkermordkonvention und den Statuten des Jugoslawien- und des Ruanda-Tribunals. Gerade deswegen kann der Begriff auf jüngere Ereignisse angewendet werden - und internationale Gerichte haben das auch getan. Vor dem Ruanda-Tribunal, das sich mit den Massakern gegen die Tutsi im Jahr 1994 befasst, sind Verurteilungen wegen Völkermords an der Tagesordnung. Im Fall Jugoslawien sind entsprechende Urteile und selbst Anklagen weit weniger häufig, aber nicht unbekannt, Srebrenica spielt dabei regelmäßig eine Rolle. "Völkermord" ist leider keineswegs eine Erscheinung, die mit dem Holocaust verschwunden wäre.
Was Flügge meinte, ist aber vermutlich etwas anderes: dass der Begriff des Völkermords ("genocide") sehr unter dem Eindruck der Naziverbrechen entstanden ist. Das ist auch heute noch an seinen Eigenschaften abzulesen. So sind nur bestimmte Gruppen von der Völkermordkonvention geschützt (nationale, ethnische, rassische und religiöse), die unter der Naziherrschaft schon bedroht wurden.
Teil 2: Die Konvention tut, was sie eigentlich verhindern soll
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FTD.de, 11.06.2011
© 2011 Financial Times Deutschland
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