Neue Musik: Veröffentlichungen der Woche

So ein reif klingendes Debütalbum habe ich schon lange nicht mehr gehört: Auf dem Plattencover sieht Jonathan Jeremiah wie der junge Cat Stevens aus - Gott sei Dank klingt er anders. Der Mann mit dem Dreigroschenoper-Namen orientiert sich musikalisch an ganz großen Gefühlen. Bei seinen mit Orchester eingespielten schwermütigen und trotzdem leichtfüßig intonierten Songs denkt man an Scott Walker, O. C. Smith und sogar an Frank Sinatra. Hier donnern auch mal die Streicher, säuseln die Flügelhörner. Einige Stücke wie das berauschend schöne "All the Man I'll Ever Be" sind ganz großes Poptheater. Angeblich hat der junge Mann aus London sich von der riesigen Plattensammlung seines Vaters inspirieren lassen und das Lebensgefühl der kalifornischen Sixties-Szene schon in frühester Jugend aufgesogen. Die englische Presse ist komplett aus dem Häuschen: "Großartige Stimme, super Songs", schwärmte die "Sunday Times", "Elegant, zeitlos", lobte der "Guardian". Dem ist nur wenig hinzuzufügen. Ein Ausnahmetalent, dem man jede Menge Standfestigkeit wünscht. Mit so einer Stimme und vor allem einem so anspruchsvollen Konzept wird man in den Mühlen der immer auf ex und hopp getrimmten Musikindustrie leicht aufgerieben.

Jeder kennt die Ouvertüre dieser Oper - die eigentlich gar nichts mit Schillers Drama zu tun hat. Denn Gioachino Rossinis Oper "Guillaume Tell" geht auf einen französischen Roman und auf ein Schauspiel rund um Tells berühmten Apfelschuss zurück. Deswegen steht sie wohl dem Genre der französischen Grand Opéra näher als der italienischen, sehr melodienseligen Belcanto-Welt. Dirigent Antonio Pappano hat die letzte Oper Rossinis erstmals ungekürzt als Konzertmitschnitt aus Rom eingespielt. Man erlebt eine Oper mit ziemlich dramatischem Sängerfutter: Hier begeistern vor allem Bariton Gerald Finley in der Titelpartie und Tenor John Osborne. Mit Verve und sehr klangfarbenreich musizieren der Chor und das Orchester dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia.

Nein, Jazz muss nicht wehmütig stimmen. Selbst dann nicht, wenn er in kammermusikalischer Triobesetzung erklingt - die mit Klavier, Bass und Schlagzeug schon die Tendenz zur Melancholie in sich trägt. Dafür bringt das Tingvall Trio auch zu viel Spielfreude mit, schlägt Komponist und Pianist Martin Tingvall allzu gern Brücken zum Rock sowie Pop und entwirft einen weiten Klangkosmos. Ja, der Schwede und seine Mitstreiter Omar Rodriguez Calvo und Jürgen Spiegel haben ihren ganz eigenen "Vägen" (Weg) gefunden zwischen flirrenden Sounds und kraftvollen, treibenden Beats. Dass dieser Weg immer wieder zu wunderbar schlichten Melodien führt und gleichzeitig auch Stücke von poetischer Schönheit entstehen lässt, schließt sich keineswegs aus - im Gegenteil: Wer kann und will schon immer nur gut drauf sein?

Sexy sein ist eine Bürde. Popsirene Beyoncé hat einmal gesagt, sie habe davon die Schnauze voll. Fünf junge Damen und ein Herr aus Saõ Paulo nahmen sich das zu Herzen und nannten ihre Band CSS (Abkürzung für "Cansei de Ser Sexy": Keine Lust mehr, sexy zu sein). Entsprechend wetterten sie auf ihrem Debüt gegen fleischgewordenen Stumpfsinn ("Meeting Paris Hilton") und proklamierten "Music Is My Hot Hot Sex", was auch aus einem iPod-Werbespot bekannt sein dürfte. Musikalisch verpackten sie ihre Tiraden in dreckigen Discopunk - zu Beginn ihrer Karriere auch, weil keine der Damen ein Instrument spielen konnte. Inzwischen sind CSS besser geworden. So ist von Rumpeln und Schrammeln nicht mehr viel zu hören. Stellenweise fehlt sogar ein bisschen der Biss - Spaß macht die CD trotzdem.