Literaturtipps: Highlights auf dem Buchmarkt

Wilhelm Genazino hat wie immer recht: Der Mensch ist bestenfalls ein höher entwickeltes Tier! Das schreibt er zwar nie direkt in seinem höchst unterhaltsamen und trotz aller satirischen Überspitzung auch sehr wahren Buch. Man liest diese These aber auf fast jeder Seite zwischen den Zeilen. Ein - im ganzen Text namenloser und konsequenterweise in vielerlei Hinsicht auch identitätsloser - Architekt stolpert zwischen freiberuflichen Routineengagements und bequemen erotischen Beziehungen durch sein eintöniges Leben, um dann wegen eines Bagatellbetrugs kurzzeitig im Gefängnis zu landen. Diese äußerst mager und manchmal etwas konstruiert wirkende Story wertet der Büchner-Preisträger und ehemalige "Pardon"-Redakteur Genazino durch sein schreiberisches Talent und skurrile Beobachtungsgabe zu einem fulminanten Sommerschmöker auf. Einmal eingestiegen kann man sich dem Sog des Buches bis zum Ende nicht mehr entziehen. Irgendwie entsteht immer der Eindruck, der Autor wandere durch einen Zoo - der eigentlich das real existierende Leben ist - und wundere sich pausenlos über die merkwürdigen Tiere, denen er dort begegnet. Dass es Genazino damit auch auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, versteht sich von selbst.

Ein mottenzerfressener Mantel ist das Liebhaberstück des sammelwütigen Parfümeurs Jacques Guérin. Das mit Otterfell gefütterte Gewand war das Markenzeichen von Marcel Proust, der damit spazieren ging, arbeitete und schlief. Gerettet hat Guérin das Erinnerungsstück vor Prousts Schwägerin, die viele Schriftstücke des Literaten verfeuerte. Die italienische Journalistin Lorenza Foschini rekonstruiert die Spurensuche des Proust-Verehrers Guérin und skizziert dabei auch die verschrobenen Familienverhältnisse im Hause Proust. Da sie die Ereignisse aber möglichst akribisch und detailverliebt nachzuerzählen versucht, wirkt der Text in seiner epischen Breite oft langweilig. Für Proust-Neulinge ist die "Geschichte einer Leidenschaft" ein Puzzlespiel, bei dem das große Ganze, Prousts Leben und Wirken, verborgen bleibt.

Schlafen kann er nicht. Darum spaziert er - anfangs nachts, später auch tagsüber. August Kreutzer ist Mitte 30 und Manager einer erfolgreichen Einkaufsmall. Seine Schlaflosigkeit macht ihn zum Getriebenen. Bei seinen Spaziergängen versucht er sogar, die Auswirkungen von Malls auf Innenstädte zu analysieren: Niedergang der klassischen Warenhäuser, Entstehung vieler Ramschläden sowie vereinsamte Einkaufsstraßen. Klingt nach einem langweiligen Roman? Nicht im Geringsten. Der Autor fesselt durch lakonisch-ironische Sprache und thematisiert Ausweglosigkeit, heftigen Arbeitsdruck und Angst vor dem Tod. Selge beweist sich damit als präziser Beobachter - sowohl materieller als auch psychischer Befindlichkeiten. Trotz des schwachen Schlusses ist Selge ein beachtliches Debüt gelungen.

Gans schön clever: Tom - benannt nach dem Schauspieler, der die Titelfigur der TV-Serie "Magnum" spielte - bildet sich kriminalistisch fort. Allabendlich leistet er den Bewohnern seines Campingplatzes Gesellschaft. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Nilganter Ermittlungen aufnimmt, nachdem der Reiher Neptunus Opfer eines Verbrechens wurde. Jetzt ist es also so weit: Nach Katzen und Schafen finden nun auch noch Gänse als Ermittler Eingang in das Krimigenre. Wem das Getschilpe und Geschnattere unserer gefiederten Freunde im täglichen Einerlei Musik in den Ohren ist, der mag sich auch auf die sympathisch-ironische Vogelperspektive einlassen, die Karin Bergrath in ihrem Erstlingskrimi mit viel charmantem Wortwitz und Liebe zum Detail entfaltet.