Vor vier Jahren entdeckten Forscher spektakuläre Dinosaurierfährten westlich von Hannover. Mit modernen Methoden wollen sie nun ergründen, warum sich vor 140 Millionen Jahren ausgerechnet hier so viele urzeitliche Riesenechsen tummelten. Die Fundstelle ist auch für Besucher geöffnet.
Er ist mehr als drei Meter lang, gefiedert und erinnert an einen harmlosen Emu. Doch mit seiner messerscharfen Sichelklaue konnte der etwa 1,40 Meter hohe Raubsaurier sogar wesentlich größeren Dinos gefährlich werden. Der Fund von Fährten des Raptoren aus der Familie der Troodontidae ist eine Weltsensation. Nirgendwo sonst in Europa waren zuvor Spuren dieses Raubsauriers nachweisbar. Ein täuschend lebensechtes Modell des niedersächsischen Troodontiden wird in Kürze im Landesmuseum Hannover präsentiert.
Torsten van der Lubbe ist der vogelartige Saurier besonders ans Herz gewachsen. Bei gutem Wetter verbringt er Stunden in den Oberkirchener Sandsteinbrüchen auf den Knien und säubert Spuren. Die Fährten fotografiert er dann mit einem speziellen Verfahren, um dreidimensionale Modelle zu erstellen. "Die 3-D-Photogrammetrie ist ein Meilenstein in der Fährtenforschung. So kann ich mich mit Experten in aller Welt austauschen", sagt van der Lubbe und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Hinter ihm reißen Radlader riesige Steinblöcke aus dem Berg.
Das Team der Dinoforscher arbeitet auf einer 400 Quadratmeter großen Platte, die mit Spuren übersät ist. 2209 Abdrücke hat van der Lubbe bisher gezählt. "Hühnerhof" haben die Wissenschaftler diesen weltweit einmaligen Fundort getauft. "Der Begriff "chicken yard" hat sich international etabliert", erzählt Projektleiterin Annette Richter, Paläontologin am Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. Im April waren führende Dinoforscher aus aller Welt zu einem Symposium in Obernkirchen zusammengekommen. Ein Buch über die spektakulären Spuren soll bei einem renommierten US-Wissenschaftsverlag erscheinen.
Jetzt geht es darum, Erklärungsansätze zu finden, warum sich an diesem Ort so viele Dinos trafen. Besonders die Häufung von Raubsaurierabdrücken - neben Raptoren auch Allosaurus - ist ungewöhnlich. Oberhalb des "Hühnerhofes" liegt eine zweite etwa 2000 Quadratmeter große Ebene mit Hunderten Spuren. Hier sind ganze Familienverbände von schweren Pflanzenfressern von Süden nach Norden durch den Schlamm gewatet. In der unteren Kreidezeit war der Ort ein Wattenmeer. Möglicherweise gab es eine Süßwasserquelle in der Nähe, vielleicht auch einen beliebten Nistplatz.
Annette Richter hockt am Boden und fährt mit dem Finger über den Abdruck eines bis zu acht Meter großen pflanzenfressenden Iguanodon. Sogar die Umrisse der Zehennägel sind erkennbar. "Diese Pseudo-Hacke erinnert an die Fährte eines echten Entenschnabel-Dinosauriers. Der kann in der Unterkreide aber noch nicht gelebt haben", sagt die Naturkundlerin. Möglicherweise seien die Pflanzenfresser hintereinandergegangen und in die Spuren des vorderen Tiers getreten. "Diese Elefantenparade-Hypothese haben amerikanische Kollegen angeregt. Wir werden ihr nachgehen."
Das niedersächsische Wissenschaftsministerium unterstützt die Dinoforscher finanziell. Ministerin Johanna Wanka (CDU) ist begeistert über die Fortschritte: "Früher wurde eher fundstellenbezogen geforscht. Heute haben wir eine viel stärkere Vernetzung erreicht, fügen also die einzelnen Puzzleteile zu einem immer größeren Bild zusammen und merken, dass die Welt der Dinosaurier viel größer und bunter gewesen ist, als bislang vermutet", sagt die Ministerin. "Es gibt noch so viel zu entdecken, besonders im Dinosaurierland Niedersachsen."
Ein im Herbst eingerichteter Naturerlebnispfad mit neun Stationen weiht die Besucher in die Geheimnisse der Dinospuren ein. Seit diesem Frühjahr gibt es regelmäßig Führungen zur oberen Fährtenplatte. Den eigentlich nur für die Forscher zugänglichen "Hühnerhof" können Besucher am Tag der Offenen Tür der Sandsteinbrüche am 18. September aus der Nähe betrachten. Dann geben der Steinbruchbetrieb, die Wissenschaftler und ihre ehrenamtlichen Helfer Einblicke in ihre Arbeit. Torsten van der Lubbe erklärt die Faszination: "Es ist so, als ob wir einen Mordfall lösen wollen, der 140 Millionen Jahre zurückliegt."
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