Die einen sehen ihn als Kämpfer für eine starke EZB, die anderen als Fahnenflüchtigen: Die deutschen Leitartikler hadern mit dem Rücktritt Jürgen Starks. Einig sind sich alle: Deutschland verliert seine großen Geldpolitiker.
"Dresdner Neuesten Nachrichten"
"Die Front der Verfechter einer strikten Geldpolitik bröckelt. Nach Bundesbank-Chef Axel Weber im Februar wirft mit EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark jetzt bereits der zweite ranghohe Vertreter einer Geldpolitik deutscher Schule das Handtuch. Und wie Weber galt auch Stark als Kritiker der milliardenschweren Anleiheankäufe, mit denen die EZB den Euro-Krisenstaaten mehr und mehr unter die Arme zu greifen versucht. Mit dieser Position war er an der Spitze der EZB zunehmend isoliert. Auch der mögliche Nachfolger, Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen, wird kaum etwas ändern können, selbst wenn dieser sich in der Euro-Krise schon als harter Verhandler bewährt hat. Im EZB-Rat wird er aber wohl ebenso auf verlorenem Posten kämpfen. Denn die Mehrheit in dem Gremium hat sich längst für die Aufkäufe entschieden."
"Delmenhorster Kreisblatt"
"Es gibt Personalien, die erschüttern die Finanzwelt im Mark. Der Rückzug von EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark und die mögliche Nachfolgeregelung mit Jörg Asmussen gehören in diese Kategorie. Markieren sie doch einen deutlichen Kurswechsel bei der Bekämpfung der EU-Schuldenkrise: Geldwert-Stabilität ist endgültig nicht mehr oberste Priorität europäischer und deutscher Finanzpolitik. Merkel gibt so Europas Schuldenländern ein Zeichen der Solidarität. Um die Kämpfer für einen stabilen Euro dagegen wird es auch in Deutschland immer einsamer."
"Hessische/Niedersächsische Allgemeine" (Kassel)
So etwas wäre der Bundesbank niemals passiert. Sie war und ist wie die EZB zuerst der Geldwert-Stabilität verpflichtet. Der Unterschied: Die Bundesbank hält sich an ihre Prinzipien. Jürgen Stark hat sich wie auch Bundesbank-Chef Jürgen Weidmann und dessen Vorgänger Axel Weber vehement gegen die Politik des lockeren Geldes und den damit verbundenen Vertrauensverlust der EZB gestemmt. Vergeblich. Im Direktorium der EZB sitzen außer Jürgen Stark und dem französischen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet ein Spanier, ein Italiener, ein Portugiese und ein Belgier. Noch Fragen? Die EZB riskiert sehenden Auges, was gerade die Deutschen aus historischer Erfahrung am meisten fürchten: Inflation. Einen stärkeren Protest als seinen Rücktritt hätte Jürgen Stark nicht äußern können.
"Münchner Merkur"
"Um die Kanzlerin wird es einsam. Der Rücktritt des deutschen Chefvolkswirts Jürgen Stark ist das Symbol für die totale Entmachtung der Bundesbank-Vertreter in der Europäischen Zentralbank. Frau Merkel hat nicht den kleinen Finger gerührt, um ihren Mann im Kampf gegen den Ankauf von Ramschpapieren zu stützen, im Gegenteil: Sie hat die EZB gemeinsam mit Sarkozy gedrängt, mit dem verrückten und rechtswidrigen Ankauf von immer noch mehr Schrott fortzufahren. Der europäische Rettungsweg führt, das zeigt sich immer deutlicher, direkt in den Abgrund: Die Unabhängigkeit der EZB liegt in Trümmern, hunderte Mrd. Euro sind verbrannt, doch Griechenlands Bankrott ist dennoch unabwendbar. Wie viele Weckrufe braucht die Kanzlerin denn noch, um endlich zu verstehen?"
"Emder Zeitung"
"Der Zeitpunkt von Starks überraschender Verkündung kommt zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Die Euro-Zone steckt bekanntermaßen in einer tiefen Krise. Dass der Volkswirt die Segel streichen will, verschärft die Situation nur noch. Es liegt nahe, dass der konservative Stark den EZB-Kurs nicht mehr länger mitmachen wollte. Der Wirtschaftsexperte ist scharfer Kritiker der milliardenschweren Anleihekäufe, mit der die EZB kriselnde Euro-Staaten stützt. Trotzdem: Wer einen hohen Posten innehat, trägt auch eine hohe Verantwortung. Und in Krisenzeiten auf so eine Art seinen Hut zu nehmen, zeugt nicht von Stärke."
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