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Merken   Drucken   21.09.2011, 12:55 Schriftgröße: AAA

Pro und Contra: Darf der Papst im Bundestag reden?

Kommentar Benedikt XVI. spricht am Donnerstag vor dem deutschen Parlament. Einige Volksvertreter halten den Besuch des Kirchenoberhaupts für verfassungswidrig, andere begrüßen die Einladung. Die Kontroverse geht auch quer durch die SPD. Ein Pro und Contra von Wolfgang Thierse und Rolf Schwanitz.
Wolfgang Thierse, SPD, ist Vizepräsident des Deutschen Bundestags.
Bereits im Jahr 2006 hat Bundestagspräsident Norbert Lammert Papst Benedikt XVI. zu einer Rede im Deutschen Bundestag eingeladen. Er tat das nach eigenem Bekunden in der Erwartung, dass der Papst (angesichts des damals bevorstehenden 50-jährigen Jubiläums der Römischen Verträge) etwas zu den geistigen Grundlagen Europas sagen würde. Diese Einladung hat Lammert vor kürzlich wiederholt; er hat dafür die Zustimmung des Ältestenrats des Bundestags gefunden; die Fraktionsführungen aller im Bundestag vertretenen Parteien haben dieser Einladung nicht widersprochen: Der Papst kommt also auf Einladung des deutschen Parlaments in das Hohe Haus! Er kommt als Staatsoberhaupt des Vatikanstaats und als Oberhaupt einer weltumspannenden Religionsgemeinschaft. Er ist das in einer Person.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse   Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse
Päpste sind in den vergangenen Jahrzehnten vor verschiedenen Parlamenten und vor der Generalversammlung der Uno aufgetreten. Aber dieser Papst ist seit Jahrhunderten der erste Deutsche im Papstamt. Es ist nicht zu erwarten, dass es diese Konstellation in den nächsten 100 Jahren wieder gibt. Seine Einladung ist deshalb verständlich, zugleich ist aber auch nicht zu erwarten, dass Papstauftritte im Deutschen Bundestag zur Regel werden - zur Beruhigung mancher Aufregung sei's gesagt.
Verletzt der Auftritt des Papstes im Bundestag die weltanschauliche Neutralität des Verfassungsorgans? Widerspricht dieser Auftritt der in unserem Lande geltenden Trennung von Staat und Kirche? Ich meine nicht und halte solche Befürchtungen für ziemlich übertrieben. Denn weder wird der Papst den Plenarsaal als Bühne für eine religiöse Ansprache oder eine Predigt nutzen, noch müssen die Abgeordneten den Ansichten des Papstes zustimmen oder muss das Parlament sich diese zu eigen machen.
Bundestagsabgeordnete wollen die Papst-Rede boykottieren. Das ist ...

 

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Innerhalb und außerhalb des Bundestags gelten Meinungs- und Religionsfreiheit, das gilt auch bei und nach dem Papstbesuch, selbstverständlich. Kein Abgeordneter ist übrigens gezwungen teilzunehmen - das war bei früheren Auftritten von Staatsoberhäuptern oder anderen Politik- und Geistesgrößen schon so. Aber es sollte auch in diesem Fall gute parlamentarische Sitte sein, dem Redner mit Respekt, vielleicht sogar mit Neugier zuzuhören. Erst danach übrigens kann man ein begründetes kritisches Urteil fällen. Mehr souveräne Gelassenheit bitte, liebe papstkritische Atheisten und Laizisten!
Was ich selbst von der Papstrede erwarte, ist einfach und schwierig zugleich. Er sollte darüber sprechen, was eine tief zerklüftete Welt auf friedliche Weise zusammenhalten kann, eine Welt, die durch Krisen und Kriege und ökonomische wie weltanschauliche Gegensätze zerrissen ist. Denn wir sehen doch, dass nicht die Märkte, nicht die Finanzströme und Finanzmanager, nicht die globalen Unternehmen dies leisten können. Es bedarf vielmehr gemeinsamer geistiger und ethischer Grundlagen und Werte, es bedarf fundamentaler Übereinstimmungen zwischen den verschiedenen Kulturkreisen, Interessenverbünden, Weltanschauungsgemeinschaften. Dazu könnte und sollte das Oberhaupt einer weltumspannenden, wirklich globalen Religionsgemeinschaft etwas zu sagen haben. Das intellektuelle Format dafür hat der Papst gewiss.
Ihm dabei zuzuhören heißt nicht, alle seine Überzeugungen in Fragen von Moral und Lebensgestaltung teilen zu müssen. Ihm zuzuhören wäre aber ein kleiner Beitrag des deutschen Parlaments und der Öffentlichkeit zu jenem Dialog zwischen den Kulturen, Religionen, Weltanschauungen, den so viele immer wieder fordern - um einer friedlichen Welt willen.
Rolf Schwanitz ist SPD-Bundestagsabgeordneter und war Staatsminister im Kanzleramt unter Gerhard Schröder
Noch niemals zuvor hat ein religiöses Oberhaupt vor dem Deutschen Bundestag gesprochen. Dafür gab und gibt es gute Gründe. Das Grundgesetz formuliert im Blick auf Religionen ein fundamentales Verfassungsgebot: Es verpflichtet den Staat deutlich zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität. Das heißt, der Staat muss sich in religiösen und weltanschaulichen Fragen strikt unparteiisch verhalten.
Das Bundesverfassungsgericht fordert, dass sich der Staat, auch wenn er aus guten Gründen mit einer Religionsgemeinschaft zusammenarbeitet oder sie fördert, keinesfalls mit einer bestimmten Glaubensrichtung identifizieren darf. Dies ist nach Auffassung der Karlsruher Richter eine wesentliche Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinander in unserer Gesellschaft. Denn in Deutschland leben Menschen mit ganz unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Ansichten, die sich oft genug sogar gegenseitig ausschließen. Deshalb kann der Staat nach Überzeugung des Gerichts das friedliche Zusammenleben auf Dauer nur garantieren, wenn er selbst in Weltanschauungs- und Glaubensfragen ausdrücklich Neutralität beweist.
SPD-Bundestagsabgeordneter Rolf Schwanitz   SPD-Bundestagsabgeordneter Rolf Schwanitz
Mit dem Auftritt des Papstes im Bundestag wird diese Neutralität des Staates verletzt. Wenn mit "Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI.", wie die offizielle Anrede in der Einladung lautet, nun erstmals ein Religionsoberhaupt an das Rednerpult tritt, müssen viele Menschen den Eindruck bekommen, dass unser Parlament damit dem katholischen Glauben eine besonders wichtige Rolle zuweist. Dieser Eindruck ist ebenso zwingend wie fatal. Denn diese privilegierte Hervorhebung durch den Bundestag wird auch als eine Zurücksetzung anderer Religionen und Weltanschauungen verstanden werden. Deshalb ist dieser Auftritt ein Fehler und mit der Neutralität des Staates unvereinbar. Zudem schafft er einen falschen Präzedenzfall für die Zukunft.
Deshalb sind Ablehnung und Protest gegen diesen Auftritt legitim und nicht überraschend. Das liegt an der veränderten Glaubenslage in unserem Land: Der Anteil der Katholiken liegt in Deutschland bei gerade einmal 29 Prozent. 35 Prozent der Deutschen sind konfessionsfrei, 29 Prozent evangelisch und rund fünf Prozent gehören dem muslimischen Glauben an.
Nicht nur im Osten, sondern auch in vielen Großstädten ist der Anteil der Konfessionsfreien dominierend. Viele Menschen empfinden den Auftritt des Papstes nicht zuletzt deshalb als unerträglich, weil sie das Gefühl haben, der Bundestag wolle nun auch dessen politische Positionen besonders hervorheben. Die katholische Kirche ist schließlich selbst Akteur in der Innen- und Weltpolitik und nimmt dabei allzu oft rückwärtsgewandte, dogmatische und reaktionäre Positionen ein. So stoßen sich viele Menschen berechtigterweise an der Haltung des Papstes zu den Rechten der Frau, zu Fragen der sexuellen Orientierung, zum Kondomverbot oder an seiner Bewertung einer modernen und offenen Gesellschaft. Deshalb ist Protest gegen seine Rede schlichtes Bürgerrecht.
Häufig wird die Rede des Papstes im Parlament damit gerechtfertigt, er sei ja auch ein Staatsoberhaupt. Das ist zwar formal richtig, schließlich lautet Artikel 1, Absatz 1 der Verfassung des Vatikans: "Der Papst besitzt als Oberhaupt des Vatikanstaates die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt." Jedoch hat diese letzte absolute Monarchie in Europa weniger als 1000 Einwohner.
Es ist deshalb völlig klar, dass der Papst von der Öffentlichkeit als geistliches Oberhaupt und nicht als Chef eines autoritären Zwergstaats wahrgenommen wird.
  • FTD.de, 21.09.2011
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Kommentare
  • 23.09.2011 12:40:06 Uhr   Herbie Schmitz: Papstrede im Bundestag

    Ja, das war richtig. Ich bin auch kein Freund des Papstes aber die Beiträge und Äußerungen zu Contra zeigen mir wie dumm die Menschen zwischenzeitlich geworden sind. Da wird eine Diskussion entfacht über einen Mann der mit seiner Rede ein Meisterstück der philosophischen Rechtspolitik ablieferte und von der Intelligenz 90 Prozent aller Politiker haushoch überragt. Wenn aber ein Massenmörder namens Puttin im Bundestag eine Rede hält regt sich niemand auf......unfassbar.

  • 22.09.2011 11:09:10 Uhr   Hiram Erzmeister: @Eckhard Block
  • 21.09.2011 18:45:19 Uhr   Uwe K. Korupp: papst Besuch in Deutschland
  • 21.09.2011 17:43:07 Uhr   Meine Meinung: Was wundern wir uns
  • 21.09.2011 17:00:13 Uhr   wolfram: Rolf Schwanitz: Dieser Auftritt ist ein Fehle...
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