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Merken   Drucken   22.09.2011, 16:44 Schriftgröße: AAA

Euro-Schuldenkrise: Wo die Griechen den Rotstift ansetzen

Athen spart und spart und spart - es reicht trotzdem nicht. Die Regierung ist inzwischen zu empfindlichen Einschnitten bei Staatsbediensteten, Rentnern und Geringverdienern bereit. Eine Analyse der neuen Kürzungen.
© Bild: 2011 dapd/KOSTAS TSIRONIS
Athen spart und spart und spart - es reicht trotzdem nicht. Die Regierung ist inzwischen zu empfindlichen Einschnitten bei Staatsbediensteten, Rentnern und Geringverdienern bereit. Eine Analyse der neuen Kürzungen. von Fabian Löhe und Kai Beller  Berlin
Ohne weitere Kürzungen steht für die Hellenen die Auszahlung der nächsten Tranche in Höhe von 8 Mrd. Euro aus dem Hilfspaket über 110 Mrd. Euro auf dem Spiel. Unter der Beobachtung der Troika aus EU, IWF und EZB hat Athen daher sein Programm überarbeitet, mit dem die drohende Zahlungsunfähigkeit des Landes abgewendet werden soll.
Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos verspricht: "Wir werden tun, was auch immer nötig sein wird." Tatsächlich summieren sich die Einsparungen nach Regierungsangaben jedoch lediglich auf 3,2 Mrd. Euro, während die Troika laut Medienberichten rund 6 Mrd. Euro fordert.
Die griechische Bevölkerung stemmt sich derweil in breit angelegten Streiks gegen die Kürzungen. Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes, Taxifahrer und Lehrer legten am Donnerstag ihre Arbeit nieder, um gegen Pläne der Regierung zu protestieren. Der wichtigste griechische Nachrichtensender Skai kommentierte, die Wirtschaft werde abgewürgt - ein soziales Chaos könnte ausbrechen. FTD.de beschreibt, wen die neuste Sparrunde wie hart trifft.
Die Regierung will Renten unterhalb von 1200 Euro pro Monat unangetastet lassen. Aber Pensionäre, die über höhere Einkünfte verfügen, werden künftig diesen Betrag mit 20 Prozent versteuern müssen. Zudem will Athen die Frühpensionäre stärker zur Kasse bitten: Rentner unter 55 werden auf alle Einkünfte, die über 1000 Euro monatlich liegen, einen Steuersatz von 40 Prozent entrichten müssen. Nach Angaben von griechischen Regierungsvertretern fordert die Troika darüber hinaus, für staatliche Renten eine Obergrenze von 1700 Euro monatlich einzuführen. Dies ist jedoch noch nicht beschlossen.
Zwei Rentner in Athen   Zwei Rentner in Athen
Die Rentenkürzung ist ein heikles Thema: Im Mai hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Vorwurf des Populismus zu kämpfen, als sie unter anderem von den Griechen verlangt hatte, später in Rente zu gehen und weniger Urlaub zu machen, um eine drohende Staatspleite in den Griff zu bekommen. Der Präsident des portugiesischen Gewerkschaftsdachverbands CGTP, Manuel Carvalho da Silva, warnt Merkel daraufhin vor "Kolonialismus". Und die Athener Zeitung "Ta Nea" wies ihre Leser darauf hin, dass die Griechen ohnehin schon stufenweise in den kommenden Jahren fast so lange bis zur Rente arbeiten müssten wie deutsche Kollegen.
Allerdings hatte vor gut einem Jahr eine griechische Durchsicht der staatlichen Ausgaben ergeben, dass Tausende Ruheständler Bezüge weit über ihren Tod hinaus erhalten hatten. Das Ministerium für Arbeit und Soziales entdeckte, dass unter den Rentenempfängern des Landes rund 8500 Menschen älter als 100 Jahre sein müssten. Mitunter hatten die Kinder und andere Bevollmächtigte seit Jahren die Rente der Verstorbenen kassiert. "Wir prüfen jetzt gründlich alle Renten für diese Altersgruppe", hieß es damals aus dem Ministerium.
Passiert ist indes wenig: Erst kürzlich musste die Regierung einräumen, dass Griechenland weiterhin Renten an rund 4500 verstorbene Pensionäre zahlt. Die fehlerhaften Überweisungen kosteten den Staat jährlich fast 16 Mio. Euro.
Geringverdiener werden noch stärker zur Kasse gebeten, das steuerfreie Mindesteinkommen nochmals gesenkt. Künftig ist schon steuerpflichtig, wer ein Einkommen von 5000 Euro pro Jahr erzielt. Der Steuerfreibetrag wurde bereits bei der vorangegangenen Sparrunde Ende Juni herabgesetzt: damals von 12.000 auf 8000 Euro. Der Eingangssteuersatz in Griechenland liegt bei 18 Prozent.
Zum Vergleich: In Deutschland sind Jahreseinkommen von bis zu 8004 Euro steuerfrei. Der Eingangssteuersatz liegt bei 14 Prozent. Nach Angaben der deutschsprachigen "Griechenland Zeitung" müssten damit 500.000 weitere Griechen Einkommensteuer zahlen. Die erwarteten zusätzlichen Einnahmen fallen mit 100 Mio. Euro vergleichsweise gering aus.
30.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes werden in einer sogenannten "Arbeitsreserve" geparkt. Ihnen stehen damit nur noch 60 Prozent ihres Gehalts zu. Ursprünglich sollten lediglich 20.000 Staatsbedienstete von diesem Schritt betroffen sein. Ein Jahr lang haben die Mitarbeiter Zeit, sich einen neuen Job im öffentlichen Dienst zu suchen. Gelingt ihnen das nicht, werden sie gefeuert - obwohl sie bei ihrer Einstellung eine lebenslange Jobgarantie erhalten hatten.
Der aufgeblähte Staatsdienst gilt als eine der Ursachen für die griechische Misere. 770.000 Menschen des Elf-Millionen-Volkes sind im staatlichen Sektor beschäftigt. Viele Griechen arbeiten für Staatsbetriebe wie dem Energiekonzern DEI.
Der Staatsdienst war von allen bisherigen Sparrunden betroffen. So wurden Gehälter gekürzt und ein Einstellungsstopp verhängt. Im dritten Sparpaket vom Juni 2011 beschloss die Regierung, 150.000 Stellen abzubauen. Die verbleibenden Staatsdiener sollen länger arbeiten. Für die regierenden Sozialisten aber auch die oppositionellen Konservativen sind solche Einschnitte heikel. Egal welche Partei in Athen regierte, sie hat treue Anhänger und Wahlhelfer in der Vergangenheit mit lukrativen Jobs im Staatssektor belohnt.
Der Preis für Heizöl in Griechenland wird wohl steigen, die steuerliche Subventionierung aufgehoben. Heizöl dürfte damit bald so teuer sein wie Diesel-Kraftstoff. Aus Kreisen des griechischen Finanzministeriums hieß es, die Troika fordere lediglich die Einhaltung längst gegebener Zusagen. Darunter sei der Ausgleich des Preises für Heizöl (bislang rund 90 Eurocent) mit dem Treibstoffdiesel (etwa 1,40 Euro). Die "Griechenland Zeitung" geht davon aus, dass dies unweigerlich auch zu steigenden Gaspreisen führen werde.
Athen will die Immobilensteuer zwei Jahre länger erheben   Athen will die Immobilensteuer zwei Jahre länger erheben
Zudem soll eine neue Immobilien-Sondersteuer erhoben werden. Jeder Besitzer eines Hauses oder einer Wohnung soll je nach Wert der Immobilie zwischen 0,5 bis 16 Euro pro Quadratmeter zahlen. Dieser Obulus, der aus Sorge um korrupte oder inkompetente Steuerbeamte über die Stromrechnung eingetrieben wird, soll nun nicht nur bis 2012, sondern auf unbestimmte Zeit gelten.
Die Troika hatte Griechenland vor knapp einer Woche gewarnt, dass die geplante Immobiliensteuer aber nicht zum Stopfen des riesigen Haushaltslochs reichen wird. Aus Athener Regierungskreisen verlautete, die Troika erwarte, dass die griechische Immobiliensteuer nur 1 Mrd. Euro einbringen werde. Angepeilt waren 2 Mrd. Euro.
  • FTD.de, 22.09.2011
    © 2011 Financial Times Deutschland,
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