FTD.de » Politik » International » Dessous-Streit in Saudi-Arabien

Merken   Drucken   08.01.2012, 14:14 Schriftgröße: AAA

Frauenrechte: Dessous-Streit in Saudi-Arabien

Mit der Verbannung männlicher Damenwäsche-Verkäufer können 40.000 saudische Frauen Arbeit finden. Das Dekret des Königs erzürnt die Sittenwächter.
© Bild: 2012 AFP/AMER HILABI
Mit der Verbannung männlicher Damenwäsche-Verkäufer können 40.000 saudische Frauen Arbeit finden. Das Dekret des Königs erzürnt die Sittenwächter. von Astrid Frefel, Kairo und Raniah Salloum, Berlin
"Welche Körbchengröße?" Um diese Frage nicht von einem Mann gestellt zu bekommen, hat die saudi-arabische Frauenrechtlerin Eman al-Nafdschan ihre Unterwäsche seit Jahren auf ihren Reisen im Ausland gekauft. Doch das wird nun nicht mehr nötig sein. Seit Donnerstag ist in dem streng islamischen Land ein Gesetz in Kraft, das männliche Verkäufer aus den Geschäften für Damenwäsche verbannt. König Abdullah hat höchstselbst per Dekret dafür gesorgt, dass nur noch Frauen BHs, Slips und Dessous verkaufen dürfen. "Wir danken dem König", sagt Fatima Garub, die die Facebook-Kampagne "Genug Peinlichkeit" mitgegründet hat. "Er hatte Mitgefühl mit unseren Problemen."
Dass alles, was die Damenwelt im streng islamischen Königreich unter der Abaya trägt, nur noch Frauensache ist, dürfte ganz im Sinne der religiösen Sittenwächter sein - müsste man meinen. Doch der konservative Klerus in dem Wüstenstaat läuft Sturm gegen das neue Gesetz. Denn wenn Männer nicht mehr hinter dem Tresen der über 7000 Damenwäsche-Geschäfte stehen, werden es - Gott bewahre! - Frauen sein. 28.000 haben sich nach Angaben des saudischen Arbeitsministeriums bereits beworben. Über 40.000 Arbeitsplätze exklusiv für Frauen könnten nun entstehen.
Großmufti Abdel Asis al-Scheikh ist deshalb ebenso wie andere Top-Kleriker außer sich. Tausende Frauen wären damit nicht nur fern des heimischen Herds und der häuslichen Kontrolle. Es könnte auch sein, dass ein Mann in ein solches Geschäft kommt und mit einer Verkäuferin über Unterwäsche zu sprechen genötigt ist. Zwar müssen Unterwäschegrößen und -modelle auch jetzt schon geschlechterübergreifend besprochen werden, aber es stört die Geistlichen trotzdem. Frauen anzustellen sei "ein Verbrechen und ist nach der Scharia verboten", wettert der Großmufti.
Tatsächlich ist der Lingerie-Streit Teil eines größeren Konflikts in Saudi-Arabien. Angesichts der Aufstände in der arabischen Welt, der Forderungen nach Freiheit und Demokratie versucht König Abdullah einen etwas liberaleren Weg zu gehen. Noch gibt es zwar keine größeren Demonstrationen in der absoluten Monarchie. Doch vorbeugend hat der König schon vergangenes Jahr über 130 Mrd. Dollar zur Verfügung gestellt, um finanziell schlechter Gestellte und Arbeitslose mit Sozialleistungen und günstigen Krediten ruhigzustellen.
Da es besonders in der weiblichen Bevölkerung brodelt, hat er außerdem im September überraschend bekannt gegeben, dass Frauen künftig an den Kommunalwahlen teilnehmen dürfen. Die Stadträte haben zwar nicht viel zu sagen. Aber dennoch ist es eine Sensation in einem Land, wo Frauen nicht einmal Auto fahren und nur mir Genehmigung ihres Vormunds reisen oder arbeiten dürfen.
Deshalb ärgert sich der Innenminister, Prinz Naif Bin Adb al-Asis auch so über die Beschlüsse des Königs. Der 78-Jährige steht den religiösen Hardlinern unter den Klerikern nah - und ist der nächste in der Thronfolge. Dass der greise König mit seinen 87 Jahren nun noch wichtige Weichen stellt, ärgert den Prinzen ungemein. Erst jüngst ließ er eine Frau, die Auto gefahren war, zu Peitschenhieben verurteilen - aus Rache für das Frauenwahlrecht. Und als Warnung an den König.
Doch der Geist könnte bereits aus der Flasche sein. Die saudische Bürgerrechtsbewegung feiert das Frauengebot in Unterwäscheläden als Meilenstein. Der Einzug der Frauen in die Lingeriegeschäfte "mag den Menschen im Westen als nichts erscheinen", sagt die Frauenrechtlerin al-Nafdschan. Aber Tausende Frauen hätten nun die Chance, sich an einem Arbeitsplatz zu bewähren. "Deshalb ist es ein Sieg für die ganze Frauenbewegung." Ibrahim al-Mugaiteeb glaubt sogar, nun sei der Wandel nicht mehr aufzuhalten. "Der Marsch hat begonnen", sagte er dem TV-Sender ABC. "Wir werden auch bei der Vormundschaft und beim Autofahren für Frauen einen Durchbruch erleben."
Doch wird die Revolution erst noch in den Kosmetikgeschäften Saudi-Arabiens Einzug halten. Auch Lippenstifte und Wimperntusche sollen ab kommenden Juli nur noch Frauensache sein.
  • FTD.de, 08.01.2012
    © 2012 Financial Times Deutschland,
Jetzt bewerten
Bookmarken   Drucken   Senden   Leserbrief schreiben   Fehler melden  

Den Parameter für die jeweilige Rubrik anpassen: @videoList
  • Wertstofftonne: Kein Müllmonopol

    2015 sollen Plastik- und Metallmüll in einer Tonne gesammelt werden. Ein Kampf um die Zuständigkeit für den wertvollen Abfall ist entbrannt: Die Kommunen wollen die Privatwirtschaft mit Scheinargumenten heraushalten. mehr

  •  
  • blättern
Tweets von FTD.de Politik-News

Weitere Tweets von FTD.de

FTD-Wirtschaftswunder
Wirtschaftswunder - Alles über Konjunktur und Economics
Weitere FTD-Blogs

alle FTD-Blogs

Newsletter:   Newsletter: Eilmeldungen Politik

Ob Regierungsauflösung oder Umfragehoch für die Linkspartei - erfahren Sie wichtige Politik-Nachrichten, sobald sie uns erreichen.

Beispiel   |   Datenschutz
 



DEUTSCHLAND

mehr Deutschland

EUROPA

mehr Europa

INTERNATIONAL

mehr International

KONJUNKTUR

mehr Konjunktur

 
© 1999 - 2012 Financial Times Deutschland
Aktuelle Nachrichten über Wirtschaft, Politik, Finanzen und Börsen

Börsen- und Finanzmarktdaten:
Bereitstellung der Kurs- und Marktinformationen erfolgt durch die Interactive Data Managed Solutions AG. Es wird keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben übernommen!

Über FTD.de | Impressum | Datenschutz | Disclaimer | Mediadaten | E-Mail an FTD | Sitemap | Hilfe | Archiv
Mit ICRA gekennzeichnet

VW | Siemens | Apple | Gold | MBA | Business English | IQ-Test | Gehaltsrechner | Festgeld-Vergleich | Erbschaftssteuer
G+J Glossar
Partner-Angebote